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SMS, WhatsApp & Co. Gattungsanalytische, kontrastive und variationslinguistische Perspektiven zur Analyse mobiler Kommunikation Katharina König und Nils Bahlo (Hrsg.)

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SMS, WhatsApp & Co.

Gattungsanalytische, kontrastive und variationslinguistische

Perspektiven zur Analyse mobiler Kommunikation

Katharina König und Nils Bahlo (Hrsg.)

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Katharina König, Nils Bahlo (Hrsg.)

SMS, WhatsApp & Co.

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Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster

Reihe XII

Band 12

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Katharina König, Nils Bahlo (Hrsg.)

SMS, WhatsApp & Co.

Gattungsanalytische, kontrastive und variationslinguistische Perspektiven zur Analyse mobiler Kommunikation

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Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster herausgegeben von der Universitäts- und Landesbibliothek Münster http://www.ulb.uni-muenster.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Buch steht gleichzeitig in einer elektronischen Version über den Publikations- und Archivierungsserver der WWU Münster zur Verfügung. http://www.ulb.uni-muenster.de/wissenschaftliche-schriften Katharina König, Nils Bahlo (Hrsg.) „SMS, WhatsApp & Co. Gattungsanalytische, kontrastive und variationslinguistische Perspektiven zur Analyse mobiler Kommunikation“ Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster, Reihe XII, Band 12 © 2014 der vorliegenden Ausgabe: Die Reihe „Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster“ erscheint im Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG Münster www.mv-wissenschaft.com Dieses Werk ist unter der Creative-Commons-Lizenz vom Typ CC BY 3.0 DE lizenziert: http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/ ISBN 978-3-8405-0105-0 (Druckausgabe) URN urn:nbn:de:hbz:6-62319555217 (elektronische Version) direkt zur Online-Version: © 2014 Katharina König, Nils Bahlo (Hrsg.) Alle Rechte vorbehalten Satz / Titelbild: Katharina König, Nils Bahlo Umschlag: MV-Verlag Druck und Bindung: MV-Verlag

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Katharina König/Nils Bahlo (Hrsg.)

SMS, WhatsApp & Co. Gattungsanalytische, kontrastive und variationslinguistische Perspektiven zur Analyse mobiler Kommunikation

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Inhalt

„SMS, WhatsApp & Co. – Forschungsstand und Analyseperspektiven“

Katharina König und Nils Bahlo __________________________________________ 1

„,Hast du eigentlich was neues von Jb gehört?‘ – Klatschen und Plaudern in SMS“

Eike Krabbenhöft _____________________________________________________ 17

„Begrüßungen 2.0 – Eine kontrastive Darstellung der Einstiegssequenzen in SMS und

privaten Nachrichten im sozialen Netzwerk Facebook“

Julian Graffe _________________________________________________________ 41

„Sequenzielle Muster und Frageformate im Kontext von SMS-Verabredungen“

Sarah Kim, Christine Wall und Kristina Wardenga ___________________________ 59

„WhatsApp: Kommunikation 2.0. Eine qualitative Betrachtung der multimedialen

Möglichkeiten“

Katja Arens __________________________________________________________ 81

„Komparative Analyse von Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS-

Nachrichten“

Wiebke Quader ______________________________________________________ 107

„Kontrastive Studie zum Anredeverhalten in chinesischer und deutscher SMS-

Kommunikation“

Qiang Zhu __________________________________________________________ 125

„SMS-Nutzung unter besonderer Berücksichtigung von Code-Switching“

Ying Ma ____________________________________________________________ 145

„SMS-Kommunikation von Männern und Frauen am Beispiel von Begrüßungs- und

Verabschiedungsformeln – Zur (Ir-)Relevanz des Zusammenhangs von Sprache und

Geschlecht“

Marianne Wieczorek __________________________________________________ 173

„Funktionen unterschiedlicher Codes in niederdeutscher SMS-Kommunikation von L1-

Sprechern“

Kathrin Weber und Timo Schürmann ____________________________________ 193

Liste der Beitragenden ___________________________________________________ 219

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„SMS, WhatsApp & Co. – Forschungsstand und Analyseperspektiven“ KKatharina König und Nils Bahlo1

Seit 1992 die erste SMS verschickt wurde, hat die handyvermittelte schrift-liche Kommunikation immer mehr an Bedeutung in der Alltagsinteraktion gewonnen. Zahlreiche Nutzungsstudien zeigen, dass SMS mittlerweile etwa für Verabredungen, Geburtstagsgrüße oder Beziehungskommunikation ge-nutzt werden2 und somit vor allem der phatischen Kommunikation dienen.3 Der Versand mobiler Kurznachrichten nimmt also eine zentrale Rolle im kommunikativen Alltag von (nicht nur jugendlichen) HandynutzerInnen ein. Technische Neuerungen wie die Einführung von internetfähigen smart pho-nes und internetgestützten messenger-Systemen (z.B. Viber, WhatsApp, Threema, ChatOn) haben die mobile schriftliche Kommunikation in den letzten Jahren nachhaltig beeinflusst (vgl. Dürscheid/Frick 2014). Das Ver-senden von Nachrichten ist nun auch innerhalb von Gruppen-Chats mög-lich; die Einbindung von multimedialen Formaten wie Bildern, Audio- und Videodateien hat an Bedeutung gewonnen (siehe Abschnitt 3). Die Linguis-tik hat sich solchen handyvermittelten Kurznachrichten aus verschiedenen Perspektiven genähert. Im Folgenden wird ein Überblick über bisherige sprachwissenschaftliche Forschungsarbeiten zu SMS, WhatsApp und Co. gegeben, in dem die wichtigsten Analysegegenstände exemplarisch skiz-ziert werden, um hieran anschießend die in dem vorliegenden Band ge-sammelten Arbeiten vorzustellen.

1 Für die Unterstützung bei der Konzeption und Fertigstellung des vorliegenden Bandes möchten wir uns bei Susanne Günthner, Yvonne Beyer und Qiang Zhu bedanken.

2 Zu nennen sind hier etwa Studien von Döring 2002a, Höflich/Rössler 2000, Nowotny 2005, Krause/Schwitters 2002, Ling/Baron 2013; Schlobinski et al. 2001), die so-wohl auf der Basis von Nutzerbefragungen als auch von Korpusanalysen erstellt wur-den.

3 „[T]exting presents itself in the broadest terms as a social technology par excel-lence.“ (Thurlow/Poff 2013: 174). Siehe auch Ling 2004, Pöschl/Döring 2012, Spag-nelli/Gamberini 2007 und Spilioti 2011 zur Diskussion der sozialen Funktionen der Handynutzung.

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1. Aspekte einer „SMS-Sprache“

Die Beschreibung von SMS-typischen kommunikativen Verfahren stellt ei-nen zentralen Gegenstand linguistischer Arbeiten zur Erforschung der me-dial schriftlichen handyvermittelten Kommunikation dar. So werden etwa in Abgrenzung zu anderen Kommunikationsformen wie dem Telegramm (vgl. Schwitalla 2002) oder der E-Mail (vgl. Dürscheid 2007, Höflich/Gebhardt 2005, Schnitzer 2012) Besonderheiten der SMS-Kommunikation herausge-arbeitet. Die Annahme eines solchen kommunikationsform-typischen Re-pertoires an verbalen und non-verbalen Mitteln spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Publikation eines SMS-Lexikons (Schlobinski 2009).4 Ebenso deuten zahlreiche Webseiten, die sich mit Eigenheiten der SMS-Sprache befassen, auf die Existenz der Ethnokategorie einer eigenständigen „SMS-Sprache“ hin.5 Im Einzelnen befassen sich linguistische Arbeiten zu typischen kommuni-kativen Verfahren der SMS-Interaktion etwa mit Fragen nach der Vorkom-menshäufigkeit und der kommunikativen Funktion von Emoticons oder Emojis (vgl. Arens/Nösler 2014, Moraldo 2002, Schnitzer 2012). Emoticons können zur Markierung von Humor, Ironie oder Verärgerung eingesetzt werden. Kontrastive Studien weisen zudem auf unterschiedliche semioti-sche Repertoires in verschiedenen Ländern hin (vgl. etwa Schlobinski/Wa-tanabe 2006, Watanabe 2005; vgl. ebenso Schlobinski 2009). Der folgen-de Dialog eines Pärchens (Schreiber A (Nachrichten auf der linken Seite) ist 23 Jahre alt, Schreiberin B (Nachrichten auf der rechten Seite) ist 20 Jahre alt) kann exemplarisch für einen solchen Einsatz von Emoticons herange-zogen werden.

4 Siehe jedoch auch Schlobinski 2012, wo eine solche homogenisierende Sicht (am Beispiel der Kategorie „netspeak“) kritisch diskutiert wird.

5 Exemplarisch seien hier etwa die in Deutschland und der Schweiz gehosteten Seiten http://www.sms-sprache.de/ und http://www.smszeichen.ch/sms/ genannt.

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Dialog #1383 (Quelle: SMS-Datenbank)6

Hey Schatz:) und wie wars heute? Ich bin total platt irgendwie:/ was macht ihr denn heute abend schönes? Kommt ihr morgen abend auch? Markus hatdoch auch morgen geburtstag oder?:*Nachricht #1 - 30:07.2010 - 17:08:05

Hi meine liebste, bin auch voll müde und kaputt! Wollte eigentlich mit lukas und marvin nach Dortmund aber das habe ich mal lieber gelassen bevor ich da noch einschlafe:) hab es heute endlich zum frisör geschafft:)tja wenn du morgen da bist versuche ich vorbei zu kommen:) kann es schon nicht mehr abwarten dir endlich wieder einen kuss zu geben:) hdl

Nachricht #2 - 30.07.2010 - 23:29:05

Gruselig ich gucke grad dreizehn geister...alleine, aaah!:DNachricht #3 - 30.07.2010 - 23:43:05

Tja du bist nicht ganz alleine ich gucke den film nämlich auch:)Nachricht #4 - 30.07.2010 - 23:45:05

Oha na ja der anwalt steht den geistern ja nun mit geteilter Meinung gegenüber:/ ich erzähl dir morgen wie der film ausgeht:PNachricht #5 - 30.07.2010 - 23:49:05

Zum einen können allein in diesem kurzen Dialog fünf verschiedene Emoti-cons identifiziert werden. Neben dem am häufigsten vorkommenden grin-senden Smiley („:)“, gleich viermal allein in Nachricht #2) findet sich in dem Dialog auch ein lachendes Smiley („:D“ mit offenem Mund), ein Smiley, das eine herausgestreckte Zunge symbolisiert („:P“, Nachricht #5), ein Kuss-Smiley („:*“, Nachricht #1) sowie ein Smiley, das einen schräg

6 Zu einer Beschreibung der SMS-Datenbank siehe Abschnitt 4.

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nach unten gezogenen Mund zeigt („:/“, von Schreiber A in Nachricht #1 und Nachricht #5 verwendet). Zum anderen können für die genannten Emo-ticons unterschiedliche Kontextualisierungspotenziale beschrieben wer-den. So wird etwa das Smiley mit herausgestreckter Zunge in Nachricht #5 zur nachträglichen Kontextualisierung einer frotzelnd-spaßhaften Modalität eingesetzt (vgl. Günthner 2013 zur Aktivität des Frotzelns); Schreiber A deutet hier an, dass Schreiberin B das Ende des genannten Films wohl ver-schlafen wird.7 Das Smiley mit schräg nach unten gezogenem Mund in Nachricht #1 wird ebenfalls zur nachträglichen Rahmung der vorhergehen-den Äußerung genutzt – hier in der Funktion, die Statusmitteilung „Ich bin total platt irgendwie :/“ als negative Wertung zu markieren. Diese exempla-rische Analyse eines einzelnen SMS-Dialogs weist also zahlreiche Formen und Funktionen des kommunikativen Mittels der Emoticons auf. Als weitere expressive Mittel der medial schriftlichen SMS-Kommunikation werden häufig auch Iterationen („Waaas?“) sowie Großschreibung zur Emu-lation von Prosodie aufgeführt (vgl. Hauptstock/König/Zhu 2010, Moraldo 2002, Schnitzer 2012). In dem vorliegenden Dialog wird etwa bei der Inter-jektion „aaah“ in Nachricht #3 eine „Dehnung“ durch die zweimalige Wie-derholung des Graphems „a“ angezeigt. Abkürzungen werden ebenso als spezifische sprachliche Merkmale der SMS-Kommunikation beschrieben. Neben häufig vorkommenden Akronymen wie „HDL“ („hab dich lieb“, siehe Nachricht #2 im dem oben angeführten Dialog) werden auch weniger ge-bräuchliche Abkürzungsformate wie „dubidodo“ („du bist doch doof“) ge-nannt (vgl. Schlobinski 2009). Auch syntaktische Kurzformen werden bei der Analyse von SMS-spezi-fischer Sprache in den Blick genommen (vgl. Bieswanger 2007, Moraldo 2006, Schlobinski 2005, Schnitzer 2012). So stellt Döring (2002b) etwa fest, dass es in SMS-Nachrichten häufig zur Tilgung der Personalpronomen „ich“ und „du“ kommt. In unserem Beispieldialog lässt sich dies exempla-risch in Nachricht #2 zeigen, wo es etwa bei den Äußerungen „bin auch voll müde“, „Wollte eigentlich mit lukas und marvin nach Dortmund“, „hab es heute endlich zum frisör geschafft“ sowie „kann es schon nicht mehr ab-warten“ gleich viermal innerhalb eines Dialogzuges zu einer Tilgung des

7 In Nachricht #2 hat Schreiberin B ja bereits angedeutet, recht müde zu sein.

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Subjektpronomens „ich“ kommt. Solche sprachlichen Verfahren der Abkür-zung und der syntaktischen Reduktion werden dabei meist in einen funkti-onalen sprachökonomischen Zusammenhang mit der Begrenzung auf 160 Zeichen pro Nachricht gestellt (etwa Bieswanger 2007). Neuere Arbeiten befassen sich zudem mit der Frage, welche Sprachreper-toires in der SMS-Kommunikation zum Einsatz kommen. So wird etwa in einem Teilbereich des Projekts „sms4science“ die Mischung von Sprachen und Varietäten genauer untersucht, die als ein typisches Merkmal von den in der Schweiz gesammelten SMS-Nachrichten gefasst wird (vgl. Dür-scheid/Stark 2011 und Stähli et al. 2011 zu einer Projektbeschreibung).8 Hieran können sich auch Analysen von Sprach- und Varietätenmischungen und Sprach- und Varietätenwechseln in bundesdeutschen SMS anschlie-ßen.9 Insgesamt lässt sich für viele der in diesem Abschnitt genannten Arbeiten die Tendenz beschreiben, dass vor allem Einzelnachrichten in den Blick genommen werden.10 SMS werden also nicht immer in ihrer konkreten Ein-bindung in ein gemeinsames kommunikatives Projekt untersucht, sondern werden häufig nur dekontextualisiert betrachtet (siehe auch die Kritik bei Spagnolli/Gamberini 2007: 345). Einzelne sprachliche Merkmale werden meist ohne eine funktionale Rückbindung an die jeweilige Gattung, für die und in der sie genutzt werden, oder an die Gruppe von SchreiberInnen, für die die dargestellten Merkmale einen spezifischen Code darstellen können, untersucht. Neuere dialogische und variationslinguistische Ansätze wen-den sich daher vermehrt diesen Desideraten in der Erforschung mobiler Kurznachrichten zu.

8 Erste Ergebnisse für die untersuchten Daten finden sich bei Grünert 2011 (zu SMS mit der Matrixsprache Rätoromanisch) und Pekarek Doehler 2011 (zu SMS mit der Matrixsprache Französisch).

9 In dem vorliegenden Band befassen sich die Beiträge von Ma und Weber/Schürmann mit dem Phänomenbereich Code-Switching.

10 Hinzuweisen ist allerdings auf das Subkorpus „Max und Petra“ aus dem Projekt „sms4science“, in dem SMS-Dialoge eines Liebespaares zusammengefasst sind (vgl. Stähli et al 2011: 7-10). Hier wird explizit darauf verwiesen, dass die Analyse dialogi-scher Strukturen einer stärkeren Fokussierung bedarf.

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2. Neue Perspektiven bei der Analyse mobiler schriftlicher Kommunikation

Schon zu Beginn der linguistischen Forschung zu SMS wurde auf die dialo-gische Ausrichtung und Einbindung der handyvermittelten Kurznachrichten verwiesen (vgl. Schmidt/Androutsopoulos 2004: 53). So werden SMS-Nachrichten als „getippte Gespräche“ oder „getippte Dialoge“ (Dürscheid/ Brommer 2009, siehe auch Dürscheid 2002), „adjazente Quasi-Dialoge“ (Dittmann 2006: 84) oder als dialogische Kommunikation, die aus Paarse-quenzen besteht (Schwitalla 2002: 48f.), bezeichnet. Wie diese dialogi-sche Grundausrichtung mobiler Kurznachrichten in einer konversationsana-lytischen Herangehensweise konzeptionalisiert werden kann, wird etwa bei Günthner (2011; 2012) umfassend herausgearbeitet.11

SMS-Nachrichten stellen […] keine monologischen, interaktionslosgelösten Kommunikationsformen dar, sondern sie richten sich – selbst wenn sie nicht in eine Face-to-face-Situation eingebettet sind, sondern der Rezipient räum-lich entfernt ist und zeitlich verzögert reagiert – dialogisch an einem Gegen-über aus: Sie nehmen häufig Bezug auf vorherige kommunikative Handlun-gen des Gegenübers und machen Folgehandlungen erwartbar. (Günthner 2011: 7)

Betrachtet man den sequenziellen Aufbau sowie die dialogische Ausrich-tung von SMS-Nachrichten am jeweiligen Gegenüber, so lassen sich etwa Verfahren der Verstehensdokumentation, der Bearbeitung von Verstehens-problemen sowie die Anzeige von Antworterwartungen bzw. -normen be-schreiben (vgl. Laursen 2005). Bei der Analyse des internen Aufbaus eines Dialogzuges arbeitet Günthner (2011; 2012) typische rituelle Rahmungen sowie spezifische Abfolgen von Adjazenzpaaren heraus.12 In diesem Analyseparadigma sind ebenfalls Studien zu nennen, die sich mit der Beschreibung verschiedener SMS-Gattungen bzw. von Gattungsre-pertoires in spezifischen Schreibergruppen befassen (vgl. Hauptstock/Kö-nig/Zhu 2010, Ling/Julsrud/Yttri 2005. Schmidt 2006). Androutsopoulos/

11 Siehe auch Günthner/Kriese 2012 sowie Günthner 2014 zu deutsch-chinesisch kon-trastiven Untersuchungen dialogischer Merkmale der SMS-Kommunikation.

12 So zeigt Günthner 2011 etwa, dass eine einer Nachricht häufig mehrere erste Paartei-le aneinandergereiht werden, die in dem folgenden Antwortzug chronologisch durch die Reihung der entsprechenden zweiten Paarteile „abgearbeitet“ werden.

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Schmidt 2002 beschreiben etwa das Kommunikationsverhalten in einer Gruppe von Freunden; ebenso werden die Bedeutung von SMS in der Be-ziehungskommunikation (Schmidt/Androutsopoulos 2004) sowie spezielle „fishing“-Formate in Liebes-SMS untersucht (vgl. Imo 2012). Auch ein Sprach- und Varietätenwechsel in handyvermittelten schriftlichen Interaktionen muss in seiner dialogischen Ausrichtung und sequenziellen Einbettung untersucht werden (vgl. Morel et al. 2012). So ist etwa in dem folgenden SMS-Dialog zwischen einer Rheinländerin und einer Münster-länderin der auf Englisch verfasste Kommentar „i got no clue how to write that correctly“ in Nachricht #2 in Bezug zu setzen zu der englischen Ab-schlussformel „That would be nice!“ in der vorhergehenden Nachricht. Dialog #761 (Quelle: SMS-Datenbank)

Bringst du mir bitte hamburger und pizza und pommes und einen dönerteiller mit? That would be nice!

Nachricht #1 - 27.04.2011 - 14:53:01

Boa,schreib mir doch nicht so etwas geiles wenn ich hier müde und hungrig rumhänge-ICH WILL FALAFFEL!(i got no clue how to write that correctly)Nachricht #2 - 27.04.2011 - 14:56:01

Ja die himym13-burger-folge hat mich grad fast umgebracht.so you know what to do,grüß toni von mir.

Nachricht #3 - 27.04.2011 - 15:01:01

Auch in der letzten Nachricht des dreizügigen Dialogs wird ein englisch-sprachiger Kommentar eingefügt („so you know what to do“). Insgesamt ist der Sprachwechsel in das Englische hier also als sprachspielerisches Ele-ment gerahmt (vgl. auch Tagg 2013), das von der Dialogpartnerin sequen-ziell aufgenommen und ausgebaut wird. Die Betrachtung von Einzelnach-

13 Die Schreiberin bezieht sich hier mit dem Akronym „himym“ auf die Fernsehserie „How I met your mother“.

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richten allein reicht also nicht aus, um das volle funktionale Potenzial sol-cher Sprachmischungen zu erfassen (vgl. Abschnitt 1). Ein dialogischer Ansatz zur Analyse von mobilen Kurznachrichten hebt also insgesamt die grundsätzliche Variabilität und kommunikative Passung in der SMS-Kommunikation hervor. Ein solcher Ansatz geht davon aus, dass es nicht nur eine einheitliche SMS-Sprache gibt. Stattdessen muss in den Fokus gerückt werden, dass mobile Kurznachrichten von unterschiedlichen Personen oder Personengruppen in unterschiedlichen Situationen zu un-terschiedlichen Zwecken verfasst werden. Die SchreiberInnen können über verschiedene Codes verfügen; sie können zwischen Sprachen oder Dialek-ten wechseln und dabei bestimmte Rahmungen oder Kontextualisierungen vornehmen. All diese Faktoren verdeutlichen, dass das Feld der mobilen, medial schriftlichen Handykommunikation so vielfältig und diversifiziert ist, dass zukünftige linguistische Arbeiten, die einem dialogischen Ansatz folgen, weiterführende Erkenntnisse versprechen.

3. Technische Neuerungen und terminologische Heraus-forderungen

Durch die Einführung von internetfähigen smart phones haben sich neben der klassischen SMS weitere medial schriftliche Kommunikationsformen bei der Nutzung des Mediums Handy etablieren können. Im Bereich der Kurzmitteilungen hat vor allem die Einführung von messenger-Systemen wie WhatsApp oder Viber zu nachhaltigen Veränderungen geführt. Eine Zei-chenbegrenzung pro Nachricht fällt nun endgültig weg,14 die Zahlentastatur wird meist durch eine virtuelle Tastatur auf dem Touchscreen des Mobil-funkgeräts ersetzt. Neben dem Verschicken von Fotos, das zuvor auch schon per MMS möglich war, können nun auch Audio- und Videodaten über solche messenger-Systeme in schriftliche Dialoge eingebettet und von Mo-bilfunkgerät zu Mobilfunkgerät verschickt werden (vgl. Dürscheid/Frick 2014). Das bisherige dialogische Repertoire mobiler Kurnachrichten (1:1- oder 1:many-Kommunikation) wird nun durch die Möglichkeit der Kommu-

14 Auch wenn es zuvor schon durch SMS-Flats zunehmen irrelevant geworden ist, wie viele Nachrichten man schickt, wurde bei den meisten Handymodellen eine Zählung der Anzahl von Nachrichten noch beibehalten.

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nikation in Gruppen-Chats erweitert. Für das Jahr 2013 vermeldet der Bran-chenverband BITKOM erstmals seit der Einführung der SMS-Kommunika-tion eine rückläufige Quote bei der Anzahl der in Deutschland verschickten SMS.15 Mit der technischen Weiterentwicklung der Übermittlungsmedien geht eine terminologische Debatte innerhalb der linguistischen Forschung einher (vgl. Crystal 2011, Herring 2007): Prinzipiell, so etwa Herring/Stein/Virta-nen 2013, seien Handys als Computer und alle hierüber verschickten Kurz-nachrichten als „computer-mediated communication“ einzustufen. Übli-cherweise, so halten Jucker/Dürscheid 2012 dagegen, werden Mobilfunk-geräte jedoch nicht als PCs aufgefasst. Sie schlagen daher den umfassen-den Begriff der „keyboard-to-screen communication“ vor, der etwa auch Facebook- und Twitter-Nachrichten einschließt. Diese Konzeptionalisie-rung, die den Modus der Texteingabe per Tatstatur und der Textrepräsenta-tion auf dem Bildschirm als zentrales verbindendes Element auffasst, wird wiederum von Herring/Stein/Virtanen 2013 als zu spezifisch abgelehnt, da sie wichtige multimediale Formate wie das Versenden von Audio- und Vi-deoausschnitten ausblendet. In dem vorliegenden Band soll nicht versucht werden, ein einheitliches terminologisches „Gerüst“ vorzugeben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Analysefragen den Gegenstandsbereich so mitbestim-men, dass bestimmte begriffliche Alternativen relevant gemacht werden, andere hingegen in den Hintergrund rücken. So sind zwar etwa SMS-Verab-redungen der Kategorie der „keyboard-to-screen“-Kommunikation zuzu-rechnen, jedoch ist die Tatsache, dass sie über eine Tastatur eingegeben werden, bei einer dialogische Untersuchung der nachrichteninternen und der sequenziellen Folgestruktur nicht notwendigerweise im Fokus der Ana-lyse. Für eine solche Fragestellung kann hingegen die Abgrenzung zwi-schen Medium, Kommunikationsform und kommunikativer Gattung nütz-licher sein (vgl. Dittmann 2007, Dürscheid 2005). Die Frage danach, wel-chen Einfluss die Vorgaben des Mediums und der Kommunikationsform auf die untersuchten Formate der medial schriftlichen handyvermittelten Kom-

15 Insgesamt ist der Versand von SMS im Vergleich zum Jahr 2010 um mehr als 20 Pro-zent gesunken (vgl. http://www.bitkom.org/de/markt_statistik/64086_77919.aspx).

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munikation haben, wird letztlich immer wieder neu zu stellen sein. Eine zu starre Terminologie könnte den Blick hierauf verstellen.

4. Zu den Beiträgen

Der vorliegende Band versammelt vornehmlich Arbeiten, die in Zusam-menhang mit Lehrveranstaltungen am Centrum Sprache und Interaktion (CeSI) am Germanistischen Institut der WWU Münster entstanden sind. Diese Arbeiten greifen auf Daten der am CeSI entwickelten SMS-Datenbank zurück. Die Datenbank umfasst derzeit 2.078 SMS-Dialoge bestehend aus 11.114 einzeln gesendeten Nachrichten (Stand Juni 2014). Die von Studie-renden der WWU bereitgestellten Nachrichten umfassen getippte Dialoge zwischen Studierenden, aber auch zwischen Studierenden und ihren El-tern, KollegInnen oder Arbeitgebern. Bei der Einstellung der SMS-Dialoge in die Datenbank werden neben Metadaten zu den SchreiberInnen (Alter, Ge-schlecht, Beruf) und Schreibbedingungen (Tarif, T9-Unterstützung) auch Kategorisierungen für die SMS-Dialoge eingegeben (vgl. Imo 2012: 24). In einer aktualisierten Version der Datenbank werden nun auch Metadaten zu der genutzten Kommunikationsform (SMS, WhatsApp, Viber etc.) erhoben. Ebenso finden sich in dem vorliegenden Band auch über die Arbeit am CeSI hinausreichende Beiträge, die auf speziell erhobenen Individualkorpora basieren. So befassen sich die Artikel von Ying Ma, Qiang Zhu und Wiebke Quader etwa mit spezifischen Strukturen in chinesischen SMS-Nachrich-ten. Die von Kathrin Weber und Timo Schürmann untersuchten niederdeut-schen SMS- und WhatsApp-Dialoge bilden kommunikative Praktiken einer ausgewählten Freundesgruppe ab. Auch die Analyse der Interaktion in Gruppen-Chats bei WhatsApp, wie sie etwa Katja Arens untersucht, basiert auf eigens für diese Untersuchung erhobenen Daten. Im Folgenden werden die einzelnen Beiträge kurz vorgestellt und verortet. Der Aufsatz von EIKE KRABBENHÖFT befasst sich mit einer Gattungsanalyse von Klatsch- und Plauder-SMS. Sie nimmt dabei besonders den sequenziel-len Aufbau der untersuchten Dialoge in den Blick. JULIAN GRAFFE vergleicht in seinem Beitrag SMS- und Facebook-Kommunikation. Anhand von Ein-stiegssequenzen diskutiert er Gemeinsamkeiten und Unterschiede die sich aus den unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kommunikationsfor-

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men ergeben. Verabredungs-Nachrichten in einer Freundesgruppe bilden den Analysegegenstad des Beitrags von SARAH KIM, CHRISTINE WALL UND KRIS-

TINA WARDENGA. Gesondert wird hier auf das Vorkommen verschiedener Fra-getypen eingegangen. KATJA ARENS stellt WhatsApp als „poly-coded-sign-system“ vor. Hierbei arbeitet sie die Funktion und Einbindung multimedia-ler Kommunikationsmittel in einem konversationsanalytischen Ansatz her-aus. In einem kontrastiven Zugang widmet sich WIEBKE QUADER kommunikativen Mustern von Vorwürfen in der medial schriftlichen mobilen Handykommu-nikation. Quader untersucht deutsche und chinesische SMS auf vorwurfs-typische syntaktische und lexikalische Muster. QIANG ZHU arbeitet in seinem Beitrag ebenfalls kontrastiv mit deutschen und chinesischen SMS. Er be-fasst sich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Anrede spezi-fisch bei Nachrichten im Kontext Hochschule und bei Liebes-SMS. YING MA beschreibt Praktiken des Code-Switching sowie des Script-Switching in chinesischen SMS. Der Beitrag von MARIANNE WIECZOREK widmet sich in einer explorativen Untersuchung der Frage, ob sich geschlechtsspezifische Un-terschiede bei Anredepraktiken in der SMS-Kommunikation beschreiben lassen. Es wird abschließend versucht, sequenzspezifische Erklärungen für verschiedene Muster der Anrede zu finden. KATHRIN WEBER und TIMO SCHÜR-

MANN untersuchen auf Basis eines Korpus von WhatsApp- und SMS-Nach-richten einer emsländischen Freundesgruppe mit der L1 Niederdeutsch die interaktiven Funktionen von Code-Switching zwischen Hoch- und Nieder-deutsch. Neben lexikalischen Insertionen werden auch codebezogene Aushandlungsprozesse innerhalb der schriftlichen Dialoge der untersuch-ten community of practice betrachtet. Die in diesem Band versammelten Beiträge widmen sich dem Forschungsgegenstand der medial schriftlichen handyvermittelten Kommunikation also insgesamt sowohl unter gattungs-analytischen, kontrastiven und variationslinguistischen Fragestellungen und erweitern somit aktuelle dialogische Analyseansätze in dem Themen-feld.

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12 Katharina König/Nils Bahlo

Literatur

Androutsopoulos, Jannis K./Gurly Schmidt (2002): SMS-Kommunikation: Ethnographische Gattungsanalyse am Beispiel einer Kleingruppe. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 36, 49-79.

Arens, Katja/Nadine Nösler (2014): Jaaaa :) alles klar!! bis morgen hdl :-*. Der Ausdruck von Emotionen in SMS. In: Frieda Berg/Yvonne Mende (Hg.). Verstehen und Verständigung in der Interaktion Analysen von Online-Foren, SMS, Instant Messaging, Video-Clips und Lehrer-Eltern-Gesprächen. Mannheim, 46-60.

Bieswanger, Markus (2007): 2 abbrevi8 or not 2 abbrevi8: A Contrastive Analysis of Different Space- and Time-Saving Strategies in English and German Text Messages. In: Texas Linguistics Forum 50, <http://stu dentorgs.utexas.edu/salsa/proceedings/2006/Bieswanger.pdf>.

Crystal, David (2011): Internet Linguistics: A Student Guide. London, New York.

de Oliveira, Sandi Michele (2013): Address in computer-mediated commu-nication. In: Susan C. Herring/Dieter Stein/Tuija Virtanen (Hg.). Prag-matics of Computer-Mediated Communication. Berlin, 291-313.

Dittmann, Jürgen (2006): Konzeptionelle Mündlichkeit in E-Mail und SMS. In: Ulrike Reeg (Hg.). Interkultureller Fremdsprachenunterricht: Grund-lagen und Perspektiven. Bari, 79-97.

Dittmann, Jürgen/Hedy Siebert/Yvonne Staiger-Anlauf (2007): Medium und Kommunikationsform am Beispiel der SMS. In: Networx 50.

Döring, Nicola (2002a): „1x Brot, Wurst, 5 Sack Äpfel I.L.D.“ - Kommunika-tive Funktionen von Kurzmitteilungen. In: Zeitschrift für Medienpsycho-logie 14 (3), 118-128.

Döring, Nicola (2002b): „Kurzm. wird gesendet“ Abkürzungen und Akrony-me in der SMS-Kommunikation. In: Muttersprache 1, 97-114.

Dürscheid, Christa (2002): SMS-Schreiben als Gegenstand der Sprachrefle-xion. In: Networx 28.

Dürscheid, Christa (2005): Medien, Kommunikationsformen, kommunikati-ve Gattungen. In: Linguistik online 22 (1), 1-16.

Dürscheid, Christa (2007): E-Mail und SMS – ein Vergleich. In: Arne Zieg-ler/Christa Dürscheid (Hg.). Kommunikationsform E-Mail. Tübingen, 91-114.

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„,Hast du eigentlich was neues von Jb gehört?‘ – Klatschen und Plaudern in SMS“ EEike Krabbenhöft1

1. Einleitung

In Deutschland werden mittlerweile jedes Jahr Milliarden von SMS2 ver-schickt (Günthner 2011: 4). Menschen verabreden sich per SMS, bekunden ihre Liebe oder versenden Glückwünsche. In der Forschung werden daher inzwischen verschiedene kommunikative Gattungen3 unterschieden, um die SMS-Kommunikation systematischer beschreiben. Bislang gibt es allerdings noch keine Arbeiten zu SMS-Botschaften, deren Gegenstand „Klatsch“ ist. Dabei bietet sich SMS-Kommunikation aufgrund ihrer „dyadische[n] und primär private[n]“ (Imo 2012) Ausrichtung beson-ders für diese kommunikative Gattung an, da sie durch die medialen4 Be-dingungen der Kommunikationsform unterstützt wird. So ist nach Berg-mann (1987) die triadische Konstellation von Personen die Ausgangslage für „Klatsch“, wobei der „Klatschproduzent“ und der „Klatschrezipient“ in einer guten Beziehung zueinander stehen müssen und das „Klatschobjekt“ abwesend sein muss. Ein weiterer interessanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Vermi-schung von „klatschen“ mit „plaudern“ in SMS. „Plaudern“ stellt insofern eine Besonderheit für die SMS-Kommunikation dar, als dass es nicht ziel-gerichtet ist (Lappé 1983, Müller 2009). Dieses steht zunächst einmal im

1 Der Artikel beruht auf meiner Bachelorarbeit „SMS-Gattungen im Vergleich. Eine em-pirisch-dialogische Untersuchung“ (SS 2011), in der verschiedene Gattungen der SMS-Kommunikation analysiert wurden.

2 Im Folgenden werden die Begriffe „SMS“, „Kurzmitteilung“, „Text-Nachricht“, „SMS-Botschaft“, „SMS-Nachricht“ und „SMS-Text“ synonym verwendet, da in der For-schung noch keine ausgereifte Terminologie zu diesem Forschungsgegenstand be-steht. Die verwendeten Begriffe sollen allerdings nicht dazu verleiten, die SMS als monologisch ausgerichteten Text zu betrachten.

3 Siehe hierzu ausführlich Günthner (2011), Hauptstock et al. (2010) und Imo (2012). 4 „Medial“ ist hier im Sinne Hollys (1997) zu verstehen.

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18 Eike Krabbenhöft

Widerspruch zu den medialen Bedingungen der Kommunikationsform im Sinne von Zeit und Kosten. Der vorliegende Beitrag geht folglich dem Fragenkomplex nach, wie die kommunikative Gattung „Klatsch“ in ihrer Dialogizität sprachlich ausge-staltet ist, welche Strategien ihr zugrunde liegen und wie sie mit Formen des Plauderns verknüpft ist.

2. Forschungsstand

Während der Forschungsstand zur SMS-Kommunikation 2002 noch als „unterrepräsentiert“ (Androutsopoulos/Schmidt 2002: 50) eingestuft wur-de, finden sich gegenwärtig vermehrt Arbeiten innerhalb dieses Untersu-chungsfeldes. Zentral für den vorliegende Beitrag sind dabei die Ansätze, die den dialogischen Charakter der SMS-Kommunikation fokussieren und sie somit für Methoden der Konversations- und Gattungsanalyse zugäng-lich machen (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2004, Schmidt 2006, Haupt-stock et al. 2010, Günthner 2011). Sie gehen davon aus, dass es nicht die SMS-Sprache gibt, sondern dass vielmehr unterschiedliche interaktionale Aufgaben durch bestimmte, routinisierte sprachliche Muster von den SchreiberInnen gelöst werden (Hauptstock et al. 2010: 6). Sind diese Mus-ter verfestigt, handelt es sich um kommunikative Gattungen (Dürscheid 2005: 11). Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass sich innerhalb der Kommu-nikationsform SMS verschiedene Gattungen5 herausgebildet haben (vgl. Hauptstock et al. 2010). Bislang wurden die Gattungen „Verabredung“ (Hauptstock et al. 2010), „Glückwünsche“ (Hauptstock et al. 2010) und „Liebesbekundungen“ (Imo 2012) untersucht. Diese Arbeiten sollen im Folgenden um die Gattung „Klatsch“ erweitert werden. In diesem Zusammenhang wird zunächst analysiert, inwieweit sich die Er-gebnisse Bergmanns (1987) auf Klatsch-SMS übertragen lassen. Weiterhin wird betrachtet, wie die medialen Bedingungen den Umfang und die Aus-gestaltung von Klatsch- beziehungsweise Plauder-SMS beeinflussen.

5 Der Begriff „Gattung“ wird im Folgenden im Sinne von kommunikativen Gattungen verstanden.

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„Klatschen und Plaudern in SMS“ 19

3. Korpusbeschreibung und Methodik

Das Korpus besteht aus 234 SMS-Nachrichten, von denen hier exempla-risch 26 Botschaften analysiert werden.6 Die Erhebung erstreckt sich über den Zeitraum von 2009 bis 2011. Die Personengruppe der SMS-Schreibenden setzt sich aus Studentinnen und „Hausfrauen“ zusammen, die zwischen 20 und 30 Jahren alt sind und in Schleswig-Holstein leben. Genauere Informationen über die Beziehungen der Interagierenden zuei-nander sind bekannt und werden bei Bedarf zur Erläuterung angeführt.7 Die SMS-Kommunikation setzt folglich ethnografische Erhebungsmethoden voraus (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2004). Da es in der Analyse primär um die Betrachtung kommunikativer Gattungen geht, wurde davon abge-sehen, Daten über die Nutzungsgewohnheiten, technischen Voraussetzun-gen und Erwartungen bezüglich der SMS-Kommunikation zu erheben.8 Da es in der Forschung bislang keine einheitliche Darstellungs- und Ano-nymisierungsweise von SMS-Botschaften gibt, dient das Vorgehen von Hauptstock et al. (2010) als Orientierungsrahmen:

1. Bei Vor- und Nachnamen in der SMS werden diese mit großen Initia-len abgekürzt, z.B. „Marie Mustermann kommt heute nicht.“ „MM kommt heute nicht.“

2. Kommt nur der Vorname in der SMS vor, wird dieser mit den groß- und kleingeschriebenen Initialen für Vor- und Nachnamen abgekürzt, z.B. „Marie kommt heute nicht.“ „Mm…“

3. SMS-Schreibende werden im Analysetext mit den Initialen für Vor- und Nachnamen dargestellt, z.B. Marie Mustermann MM

6 Hierbei handelt es sich um einen Teil der Analyseergebnisse aus der oben genannten Bachelorarbeit. Die Auswahl der Kurzmitteilungen aus dem Gesamtkorpus erfolgte zunächst übergeordnet nach der ‚Minimaldefinition‘ Bergmanns (1987), wonach sich zwei Personen über eine dritte Person austauschen. Die Untersuchung ist folglich qualitativ-empirisch ausgerichtet.

7 Im Sinne von Androutsopoulos/Schmidt (2004: 68) ist dieses eine Grundvorausset-zung, um sowohl „die dialogische Strukturierung der Kurzmitteilung als auch die si-tuativen Wissenszusammenhänge der interaktiven Mediennutzung“ zu erkennen.

8 Vgl. hierzu Schlobinski/Fortmann et al. (2001:6) und Dittmann et al. (2007: 29ff.).

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20 Eike Krabbenhöft

4. Orte, Dörfer, Institutionen werden in den SMS zu z.B. [Café], [Restau-

rant], [Dorf], [Arzt].9 5. Kose-/Spitznamen werden meist direkt wiedergegeben oder abge-

wandelt z.B. „Mariechen kommt…“ „Mmchen kommt…“ (in der SMS) MMchen (im Analysetext)

Die nachfolgenden Beispielsequenzen10 sind fortlaufend von 1-3 durch-nummeriert und die einzelnen Turns11 zusätzlich mit Großbuchstaben mar-kiert. Kleine Buchstaben weisen hingegen auf SMS hin, die allein stehen. Es ergibt sich demnach für jede einzelne SMS-Botschaft im Analyseteil ein individueller Code aus Zahl und Buchstabe.

4. Analyse 4.1 Kommunikative Gattung: Klatsch

In der Sprachwissenschaft gibt es bislang nur wenige Arbeiten, die sich ex-plizit mit der kommunikativen Praxis des „Klatschens“ beschäftigen. Berg-mann (1987: 33ff.) betrachtet dieses alltägliche Phänomen aus der sozio-logischen Perspektive und bezieht sich dabei auf das Konzept der kommu-nikativen Gattungen. Seine Beschreibungen bilden daher im Folgenden die Grundlage der Definition von „Klatsch“. Bergmann (1987: 61) schickt zunächst voraus, dass mit „Klatsch“ sowohl der Inhalt einer Kommunikation, als auch der Kommunikationsvorgang an sich bezeichnet werden. Gegenstand von Klatsch sind beobachtete, über-mittelte oder vermutete Geschichten über beispielsweise persönliche Ei-

9 Die Groß- und Kleinschreibung berücksichtige ich nur, wenn es Auffälligkeiten gibt. Hauptstock et al. (2010: 14f.) verweisen bereits darauf, dass die Orthografie stark an die medialen Bedingungen geknüpft ist und Abweichungen von der schriftlichen Norm daher nicht als „Fehler“ zu bewerten sind.

10 Günthner (2011) überträgt den Begriff der „Sequenzialität“ aus der Konversations-analyse auf die SMS-Kommunikation. Auf diese Weise macht sie deutlich, dass SMS-Kommunikation aus einer „zeitlichen Abfolge von Beiträgen besteht, die sowohl me-thodisch geordnet als auch den jeweiligen Kontexten situativ angepasst sind und Zug um Zug von den Teilnehmenden hergestellt werden.“ (Günthner 2011: 15).

11 Der Begriff des „Turns“ wird – ebenfalls in Anlehnung an die Konversationsanalyse – für eine SMS-Botschaft verwendet, die innerhalb einer Sequenz die Funktion eines Dialog-Beitrags übernimmt (vgl. Hauptstock et al. 2010, Günthner 2011, Imo 2012).

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„Klatschen und Plaudern in SMS“ 21

genarten, Ungehörigkeiten und blamable Fehltritte einer dritten Person (Bergmann 1987: 21). Der Kommunikationsvorgang ist gekennzeichnet durch die Beziehung zwi-schen den Kommunikationsteilnehmern: „Geklatscht wird nur über Freunde und Bekannte und nur mit Freunden und Bekannten“ (Bergmann 1987: 96). Entscheidend ist dabei die triadische Konstellation der Beteiligten (Bergmann 1987: 66). Das Klatschobjekt muss abwesend und sowohl dem Klatschproduzenten als auch dem Klatschrezipienten bekannt sein (Berg-mann 1987: 67f.). Der Klatschproduzent weiß um persönliche Angelegen-heiten des Klatschobjektes und übermittelt diese an den Klatschrezipien-ten (Bergmann. 1987: 74f.). Dessen Zuhörbereitschaft ist zwar kommunika-tionstechnisch erforderlich, aber erst seine Beziehung zum Klatschobjekt im Sinne einer Bekanntschaft lässt das Gespräch zu Klatsch werden (Berg-mann 1987: 93f.). Von dieser Bedingung hängt folglich ab, ob die Klatsch-Sequenz glückt oder nicht. Im Folgenden werden beide Möglichkeiten an-hand von Beispielen in der SMS-Kommunikation genauer betrachtet.

4.2 Geglückte Klatsch-Sequenz

In der vorliegenden SMS-Sequenz tauschen sich die beiden Freundinnen MS und EK über zwei ihnen bekannte Männer JB und CH aus:

Beispiel 1 Hey baby. Wie wars denn nun gestern überhaupt mit deiner klausur?Nachricht 1A: MS

Hey baby!joa,war wohl ganz ok.könnte überall was hinschreiben:)und wie is fh?Nachricht 1B: EK

Bestens!:-) dann hat sich das daumendrücken ja gelohnt.. Hast du eigentlich was neues von Jb gehört? So weit i weiß wurde Ch von seiner freundin verlassen. Das erklärt dann die sms, die Jb dir geschrieben hat, oder?Nachricht 1C: MS

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Ach du kacke..aber das würde passen..weißt du warum sie ihn verlassen hat?Nachricht 1D: EK

Nein, nicht wirklich. Das hat Mo mir nur gestern erzählt. Das war alles an Jbs geb u dann hat Ch sich abends bei ihm einen gebrannt alleine. Den grund weiß ich nicht, aber das kind ist auf jeden fall bei ihr.

Nachricht 1E: MS

Oh man,das is echt scheiße..tut mir voll leid für die kleine familie..Nachricht 1F: EK

Ja, mir auch. Er ist sogar bisher alle 3 tage zur vorlesung gewesen.. Er wohnt jetzt wieder bei seinen eltern. Ich seh Jb nachher, vielleicht erzählt er ja noch was

Nachricht 1G: MS

Die infos hätte ich dann auch gern;)kann mich nicht überwinden aufzustehen..wir haben gestern straftraining bekommen und sind nur gelaufen..

Nachricht 1H: EK

Die Sequenz beginnt mit der Begrüßung EKs durch MS mit „Hey Baby“ (1A). Damit wird soziale Nähe kontextualisiert, die EK mit dem Gegengruß „Hey Baby“ (1B) bestätigt. EK beantwortet die Frage und erfüllt somit den zwei-ten Teil der Paar-Sequenz. Sie stellt daraufhin die recht allgemeine Frage „wie fh12 is“ (1B). MS geht zwar noch auf EKs Antwort ein (1C: „dann hat sich das daumendrücken ja gelohnt..“), aber nicht mehr auf ihre Frage (1B). Sie erkundigt sich stattdessen nach neuen Informationen über JB. Anstatt jedoch die Beantwortung des ersten Teils der Paarsequenz (Frage nach JB)

12 Bei „fh“ handelt es sich um eine gängige Abkürzung für „Fachhochschule“.

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„Klatschen und Plaudern in SMS“ 23

abzuwarten, berichtet MS noch im selben Turn die neusten Informationen über CH, einen engen Freund von JB. CH ist von seiner Freundin, mit der er auch ein Kind hat, verlassen worden und wohnt wieder bei seinen Eltern. MS erklärt mit diesem Vorfall auch eine SMS, die JB EK einige Zeit zuvor ge-schrieben hatte (1C: „Das erklärt dann die sms, die Jb dir geschrieben hat, oder?“). Die von Bergmann (1987: 111) aufgestellte These, dass Klatschgespräche im Grunde immer in eine Interaktionsfolge eingebunden sind, findet sich somit auch in der hier analysierten SMS-Sequenz wieder. Im vorliegenden Beispiel leitet MS die Sequenz zunächst mit einer Nachfrage bezüglich der geschriebenen Klausur ein (1A). Sie beantwortet EKs anschließende Frage (1B) jedoch nicht mehr (1C), sondern kommt in ihrem zweiten Turn (1C) di-rekt auf „die Neuigkeit besonderer Art“ (Bergmann 1987: 61) zu sprechen. Auffällig ist, dass die für Klatsch-Gespräche typische „Prä-Sequenz“ nur an-gedeutet wird. In dieser werden normalerweise die Positionen von Klatsch-produzent und -rezipient lokal ausgehandelt (Bergmann 1987: 119). Der Klatschproduzent etabliert über ein Klatschangebot (Bergmann 1987: 27) zunächst das Klatschobjekt (Bergmann 1987: 115). Er überprüft darin au-ßerdem, ob das Klatsch-Gespräch vom Interaktionspartner überhaupt prä-feriert wird (Bergmann 1987: 114) und ob die Klatschinformationen für den Rezipienten neu und relevant sind. Zwar realisiert MS in diesem Zusam-menhang den ersten Teil der Paar-Sequenz, „klatscht“ aber im selben SMS-Turn bereits los (1C). Die sequenzielle Struktur weicht somit deutlich von Bergmanns Befunden für die Face-to-face-Interaktion ab. Dass es sich da-bei eher um die Regel als die Ausnahme handelt, kann durch die umfang-reicheren Analysen im Rahmen der Bachelorarbeit belegt werden. Als möglicher Grund dafür kommt die kontextualisierte soziale Nähe zwi-schen EK und MS in Frage. Diese lässt den Schluss zu, dass MS zum einen davon ausgeht, dass EK sowohl JB als auch CH kennt, und zum anderen, dass EK „klatschen“ präferiert (vgl. Bergmann 1987: 132). Auffällig ist die sehr vage gehaltene Formulierung „So weit i weiß“ (1C) in MS“ Turn. Dies ist nach Bergmann (1987: 149) ein Merkmal für das Anbringen von Klatsch-wissen. So vermeidet der Klatschproduzent den Eindruck, das Klatschob-jekt bespitzelt zu haben.

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24 Eike Krabbenhöft

EKs Reaktion fällt sprachlich verhältnismäßig rüde aus (1D: „kacke“), was durchaus typisch für klatschende Personen ist (Bergmann 1987: 141). Ihre Antwort zeigt, dass sie MS“ Klatschvorschlag aufnimmt und somit die Gat-tung Klatsch ratifiziert, denn sie erfragt genauere Informationen, die „pi-kanten Details“. Damit verneint sie implizit auch die Frage, ob sie „was von Jb gehört“ hat. MS liefert daraufhin alle ihr bekannten Informationen, wobei sie sich auf einen weiteren Bekannten MO (1E) beruft, von dem sie das alles gehört hat. Bergmann (1987: 136ff.) weist darauf hin, dass das Klatschwissen fast immer als passiv erworbenes Wissen gekennzeichnet wird, da das Klat-schen an sich sozial geächtet ist (Bergmann 1987: 28). MS distanziert sich folglich mit Verweis auf MO von ihrem Klatschwissen. EK kommentiert MS“ Schilderungen wiederum recht rüde mit „scheiße“ (1F). Obwohl sie keine weitere Nachfrage stellt, gibt MS im folgenden SMS-Turn weitere Details heraus. Diese Sequenzierung kommt der Gesprächsor-ganisation beim Klatschen nahe, denn auch dort hat der Klatschproduzent den größeren Redeanteil (vgl. Bergmann 1987: 115 ff.). EKs SMS ist somit als „quasi-Hörersignal“ interpretierbar, mit dem sie MS zu weiteren Ausfüh-rungen ermuntert. MS gibt daraufhin die restlichen Informationen preis und deutet einen möglichen Zugewinn an potenziellem Klatschwissen durch ein Gespräch mit JB an (1G). EK äußert im anschließenden SMS-Turn (1H) ihr Interesse an diesen Infor-mationen und schließt damit die Klatschsequenz ab. Sie geht noch in der gleichen SMS zu einem neuen Thema über: das schwere Aufstehen, wegen des Straftrainings am vorherigen Abend. Bergmann (1987: 189) konnte keinen Beendigungsmechanismus für die Gattung Klatsch ausmachen. Das Ende ergibt sich seiner Ansicht nach meist durch die Unterbrechung oder die Erschöpfung des Klatsches. In der analysierten SMS-Sequenz trifft Letz-teres zu. Bergmann (1987: 43ff.) hebt zudem den rekonstruktiven Charakter der Gat-tung hervor. Dieser spiegelt sich auch in dem analysierten Beispiel wider. MS berichtet EK, was einer anderen Person (CH) passiert ist. Sprachlich manifestiert sich die rekonstruktive Komponente im Tempus. Die Betrach-tung des Gesamtkorpus“ hat gezeigt, dass in SMS höchstens dann Vergan-

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„Klatschen und Plaudern in SMS“ 25

genheitsformen verwendet werden, wenn es um ein vergangenes Ereignis des Sender oder Empfängers geht, und selbst das kommt selten vor. Bei der Gattung Klatsch ist dies aber essentiell notwendig, um über die andere Person zu klatschen. Eine weitere Auffälligkeit auf der Äußerungsebene ist die Verwendung des Konjunktives „[…] das würde passen…“ (1D) und „Die infos hätte ich dann auch gern“ (1H). Zwar kommt der Konjunktiv auch in anderen SMS-Botschaften des Korpus“ vor, dort aber eher in formalisierten Ausdrücken. Die Verwendung des Konjunktives im Bereich der kommunikativen Gattung Klatsch ist jedoch ein Zeichen für ihren spekulativen und vagen Charakter. Betrachtet man die Länge der einzelnen SMS-Botschaften, fällt auf, dass MS“ Nachrichten deutlich umfangreicher sind als EKs. Vor allem MS“ zwei-ter und dritter Turn stechen heraus, da sie die Nachrichtengrenze von 160 Zeichen überschreiten. Das hängt – wie bereits oben erwähnt – damit zu-sammen, dass MS die Klatschproduzentin ist. In den umfangreichen Nach-richten finden sich dann auch SMS-typische Sparschreibungen, wie „i“ statt „ich“ und „u“ statt „und“. In Bezug auf die medialen Bedingungen wird daran deutlich, dass MS möglichst viele Informationen in kurzer Zeit übermitteln möchte. Die Kosten spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle, da MS eine Flatrate für Kurznachrichten besitzt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Umsetzung der Gattung Klatsch per SMS gelingen kann, wenngleich sie sich in ihrer sequenziellen Ausgestaltung von der Face-to-face-Interaktion unterscheidet. Der zentrale Aspekt für das Gelingen der Klatschsequenz ist jedoch mit den Ergebnissen Bergmanns vergleichbar. So führt ein/e Schreiberin den Gattungsrahmen ein und ein/r zweite/r nimmt diesen auf und ratifiziert dadurch die Gattung. Im Kontrast zu Beispiel (1) wird nachfolgend analysiert, unter welchen Be-dingungen eine Klatschsequenz missglückt.

4.3 Missglückte Klatschsequenz

Wie essentiell die von Bergmann (1987) beschriebenen Merkmale für Klatschsequenzen sind, zeigt das nächste Beispiel. EK fragt MS, ob diese

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zu einer bestimmten Veranstaltung am kommenden Wochenende fahren wird. Daran schließt sich folgende Sequenz an:13 Beispiel 2 Hmm, bin noch unschlüssig.. Mal sehen wer mitkommt außer Mp(!) u Sh. Alterschwede, ich könnte dir noch meine hasskappe über Mp etwas näherbringen in bezug auf fr, aber i hab mich schon einigermaßen ieder runtergefahren....Nachricht 2A: MS

Häh!?welche Mp denn nochmal?Nachricht 2B: EK

MP. Die nachbarin u angeblich beste freundin von Sh. Mit der musste i alleine Nachricht 2C: MS

Ah ha..wann hast du denn donnerstag die prüfung?Nachricht 2D: EK

In MS Turn (2A) erfolgt – ebenso wie in (1A) – keine Prä-Sequenz, in der die triadische Konstellation für das Klatschen abgesichert wird. MS“ Sprache wird in Bezug auf „Mp(!)“ sehr rüde und sie deutet eine Geschichte an, welche für EK den Status einer Neuigkeit hat („hasskappe…in bezug auf fr“). EK macht in ihrer Antwort allerdings deutlich, dass sie nicht genau weiß, wer mit MP gemeint ist. Auffällig ist die Interjektion „Häh“, die der SMS ei-nen gesprochen sprachlichen Charakter gibt. MS erläutert daraufhin kurz, wer MP ist und in welcher Beziehung sie zur ihr steht (MP ist eine Freundin von MS“ Freundin SH). Sie schließt noch im selben Turn die Aussage an, dass sie nicht weiß, ob EK sie kennt. Hier wird erneut der Unterschied zur face-to-face Kommunikation deutlich. Da EK nicht direkt auf MS Erläuterun-

13 Den hier präsentierten SMS-Botschaften gehen noch andere voraus, die an dieser Stelle aus Gründen der Vereinfachung jedoch nicht weiter betrachtet werden, da sie eher der Gattung „Plaudern“ zugeordnet werden müssen.

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gen antworten kann, ob sie MP nun kennt oder nicht, fährt MS direkt fort mit dem Hinweis: „ist auf jeden fall nicht nötig [sie zu kennen]..!“ EK antwortet daraufhin nur mit „Ah ha“ (2D) und wechselt das Thema („Prü-fung“). Sie kennt MP nicht, was zur Folge hat, dass eine grundlegende Be-dingung der Teilnehmerkonstellation für Klatsch nicht erfüllt ist und es nicht zum Klatsch kommt. MS antwortet EK auf ihre Frage nicht mehr, was aber nicht notwendigerweise mit der Zurückweisung des Klatsches zu-sammenhängt. Die Analyse hat gezeigt, dass die die triadische Konstellation der Teilneh-merInnen ebenso wie in der Face-to-face-Interaktion ein entscheidender Faktor dafür ist, ob die Gattung Klatsch realisiert wird oder nicht. Bei der Analyse der Daten zeigte sich weiterhin, dass Klatschsequenzen häufig Turns voraus- und nachgehen, die eher einer Gattung wie „Smalltalk“ oder „Plaudern“ zugeordnet werden müssen. Es scheint, dass die beiden Gat-tungen häufig zusammen auftreten und sogar vermischt werden. Im Fol-genden werden diese Aspekte anhand eines Beispiels genauer betrachtet.

4.4 KKlatschen in Verbindung mit Plaudern

In dieser abschließend betrachteten SMS-Sequenz finden sich neben den bereits beschriebenen strukturellen und semiotischen Merkmalen von Klatsch auch Aspekte, die dem Bereich des „Smalltalks“ beziehungsweise des „Plauderns“ zugeordnet werden können. Als „Smalltalk“ werden in der Literatur im Grunde alle Gesprächsphasen definiert, die keine Zielorientie-rung haben (Müller 2009: 320ff.). Innerhalb eines Gespräches können sich zielorientierte und ziellose Phasen abwechseln. Als routinierte Techniken für den Übergang zu Smalltalk dienen Äußerungen wie: „Wie geht“s sonst?“ oder „Und was gibt“s Neues?“ (Müller 2009: 320). Im Bereich der Chatkommunikation wird vor allem der Begriff des „Plauderns“ häufig ver-wendet. So bezeichnet Wirth das „Chatten“ als „Plaudern mit anderen Mit-teln“ (Wirth 2005: 67ff.) und Beißwenger (2003) nutzt den Begriff des „Plauder-Chats“ für die Bezeichnung eines bestimmten „Chat-Szenarios“.14 Der Begriff „Plaudern“ wird von ihm jedoch nicht weitergehend definiert.

14 Weiterführend hierzu auch Beißwenger/Storrer (2005).

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Als Beispiel für eine SMS-Sequenz, in der sich sowohl Plauder- als auch Klatschanteile finden, wird an dieser Stelle die Kommunikation der Schwä-gerinnen MS und KG analysiert. Beispiel 3 Guten morgen, guten morgen! Gehts dir schon besser? Und was macht mauli? Achja, du hattest doch mal nach irgendeinem namen gefragt von der fh ob ich den kenne, wer war das nochmal?

Nachricht 3A: MS

Hello.. Ja, mir gehts zum Glück besser. Die Entzündung ist zwar noch da, aber das Fieber zum Glück weg. Psi ist gut drauf- Er liest gerade mit Bockel und mir Zeitung :-) Wie gehts dir? Ääääh.. Ich weiß momentan gar nicht wen du meinst. Männlich? Ich kenne den also, oder wie?

Nachricht 3B: KG

Ja genau. Müsste irgendwie mit Hi oder deinem bruder was tun haben meintest du. Da haben wir auch mit La drüber gesprochen, weißt du? Oh, das ist ja super. Da freut Psi sich ja, dass es mama wieder gut geht. Bekommst du denn was gegen die entzündung?nach [stadt] u zurückfahren.. Weiß nicht ob du die kennst, ist auf jeden fall nicht nötig..!Nachricht 3C: MS

Ach Mö vielleicht? MÖ?Nachricht 3D: KG

Ja, kann sein. Mist, ich hatte irgendwie SA im kopf. Der u Hi haben nämlich mit mir bap u dieser Sa ist ne katastrophe...Nachricht 3E: MS

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Ja, ist His bester Freund seit Kindergartentagen.. Was ist mit ihm? Er ist der Schnacker vor dem Herren :-) Oh ja, Ps ist das wirklich anzumerken. Die letzten Tage war er richtig durcheinander. Aber trotzdem ganz lieb.. Nee, ich war auch noch nicht beim Arzt. Donnerstag kommt SJ, mal schauen, was die sagt. Die Schmerzen sind aber auszuhalten, das schlimme war nur das hohe Fieber. Hast du Vorlesung?Nachricht 3F: KG

Ach so.. Nee, den kenne ich nicht. In Vor-lesungen wäre Mö aber auch klein mit Hut, denke ich..von Sh. Mit der musste i alleine nach [stadt] u zurückfahren.. Weiß nichtob du die kennst, ist auf jeden fall nichtnötig..!Nachricht 3G: MS

Ja, ein oberschnacker u er schielt wie sonst was..!:-) kennst du auch SJ? Haben grade BAP bis um 12. Ist jeden di vormittag pflichtveranstaltung..:-( wäre es nicht besser zum arzt zu gehen? Oder hast du noch salbe bzw tabletten?Nachricht 3H: MS

Das mit dem schielen u schnacken war jetzt auf SA bezogen, aber den kennst du ja scheinbar nicht..Nachricht 3I: MS

Nee, der sagt mir gar nichts.. Ja, SJ kenne ich. Aber nur vom sehen und aus His Erzählungen.. N Schönling, oder? Ich war beim letzten Mal zweimal beim Arzt und er hat mir zweimal nichts verschrieben sondern mich nach Hause geschickt, ich solle Weißkohl und Quark auf die Brust legen vom trinken geht die Entzündung weg, meint er. Wenn es nicht besser wird gehe ich aber zum Arzt, allerdings nicht zu [Arzt KR].Nachricht 3J: KG

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30 Eike Krabbenhöft

Vielleicht solltest du mal zu [Arzt IK] gehen? Ja, ein oberschönling u hat eine riesenklappe. Er ist nämlich auch nur so groß wie little u muss das ja irgendwie ausgleichen!nach [stadt] u zurückfahren.. Weiß nicht ob du die kennst, ist auf jeden fall nicht nötig..!

Nachricht 3K: MS

Die habe ich schon bei Edeka getroffen, als ich das letztes Mal hatte und sie hat auch nichts anderes gesagt. [Arzt EN] wollte mich nicht mal sehen und hat mich gleich zum Gyn.geschickt. Glaube, es gibt da nichts helfendes, bis auf Antibiotika. Mö ist abernicht bei Bap, oder?Nachricht 3L: KG

Nee, ist er nicht. Ach mist..aber zumindest was gegens fieber gibt es doch!?

Nachricht 3M: MS

Ja.. Da haben wir uns falsch verstanden. Gegen Fieber habe ich natürlich was bekommen und auch genommen. Zum Glück.. Die Auswahl an Medikamenten ist bei Stillenden auch ziemlich gering, glaube ich. Hier ist Klauenpflegeaktion, aber die sind super langsam, sagt Js. Psi und ich schauen uns das nachher gleich mal an. Genauso wie unsere neuen „Gastkaninchen“.Nachricht 3N: KG

MS begrüßt KG in ihrem Turn mit „Guten Morgen, guten morgen!“, erkun-digt sich nach ihrem Befinden und fragt, was „mauli“ macht. MS kontextua-lisiert auf diese Weise soziale Nähe, indem sie ihren kleinen Neffen „mau-li“ (3A) nennt.15 Sie eröffnet mehrere Paarsequenzen und leitet dann über

15 Nach Bergmann (1987: 71f.) gehört das Sprechen über kleine Kinder nicht zum „Klatschen“, auch wenn definitorisch alle Kriterien erfüllt sind. MS‘ Frage kann folg-lich nicht als Klatschangebot gewertet werden.

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zu der Frage, nach welcher Person KG sie mal etwas gefragt hatte. MS macht KG an dieser Stelle ein Klatschangebot in Bezug auf eine Person, über die sich die beiden schon einmal unterhalten haben. Während der erste Teil ihrer Äußerung also einen recht allgemeinen „Plauderton“ hat (vgl. Müller 2009: 320), verfolgt sie mit dem zweiten ein konkretes Ziel. Der Turn ist insgesamt sehr umfangreich und weist bis auf die Enklise „Gehts…“ (3A) keine Mittel zur Reduktion der Äußerung auf. Die SMS ent-hält zudem keine Verabschiedungsformel, was zum einen als Hinweis auf den fortlaufenden Dialog gewertet werden kann (Günthner 2011: 15) und zum anderen eine nahe Beziehung der beiden Frauen signalisiert (Schmidt 2006: 323). KGs Turn fällt noch umfangreicher als der von MS aus. Sie erwidert den Gruß mit „Hello“, welcher im Sinne Dittmans et al. (2007: 278f.) als nicht-gängiger Ausdruck klassifizierbar ist und somit Kreativität und soziale Nähe zum Ausdruck bringt. Sie geht anschließend auf MS“ Frage (3A „Gehts dir schon besser?“) ein und beschreibt ausführlich ihren gesundheitlichen Zu-stand (3B). MS Neffen Psi geht es ebenfalls gut. Das Aufgreifen und die Weiterentwicklung von MS“ Verniedlichungsform „mauli“ (3A) zu „Psi“ (3B) bringt die thematische Orientierung und Kohärenz zum Ausdruck, die in der SMS-Kommunikation ebenso eine Rolle spielt wie in Gesprächen (vgl. Günthner 2011: 18).16 KG beschreibt dann weiter, wie sie alle zusammen Zeitung lesen. Das Tem-poraladverb „gerade“ (3B) markiert die Situationseinbindung der SMS-Botschaft (Dürscheid 2002: 110f.).17 Durch die Verwendung des Spitzna-mens „Bockel“ (3B) für den Hund der Familie untermalt sie das von ihr be-schriebene lustige Bild und kommentiert es abschließend mit einem la-chenden Smiley. Mit dieser positiven Stimmung signalisiert sie, dass bei ihr wieder alles in Ordnung ist. Sie stellt MS daraufhin die Gegenfrage, wie es ihr geht, und nimmt somit den „plaudernden Ton“ aus MS“ Turn auf (vgl. Müller 2009: 320).

16 Siehe dazu auch Beispiel 1. 17 Dürscheid (2002: 110f.) schreibt das Phänomen der Situationseinbindung durch

temporaldeiktische Ausdrücke und die Präsensverwendung noch der SMS-Kommunikation im Allgemeinen zu.

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Mit der Interjektion „Ääääh“ leitet sie zu MS“ Frage über, nach wem diese sie mal gefragt hat. Sie weiß zwar nicht, wen MS meint, stellt aber einige Nachfragen, die ihr Interesse signalisieren. Dadurch markiert sie MS“ Klatschangebot als präferiert (vgl. Bergmann 1987: 67f., 119f.). Die ellipti-sche Satzstruktur erweckt zudem den Anschein von Mündlichkeit und spiegelt KGs Gedankengang wieder. Während KG die Paarsequenzen chro-nologisch erfüllt (Gegengruß, ihr Befinden, Pis Befinden, Name von Per-son),18 zeichnet sich in MS“ nachfolgendem Turn ein anderes Muster ab. MS geht zunächst auf KGs Frage in Bezug auf die Person ein, über die sich die beiden schon einmal unterhalten haben. Auffällig ist dabei ihr rekon-struierendes Vorgehen und der damit verbundene Wechsel ins Präteritum („meintest“ 3C) beziehungsweise ins Plusquamperfekt („hattest…gefragt“ 3C). Anschließend erkundigt sie sich, ob KG inzwischen weiß, wer gemeint ist (3C: „[…], weißt du?“). MS folgt dann wieder der chronologischen Vorga-be aus GKs Turn. Die Interjektion „Oh“ und die Aussage „das ist ja super.“ wirken in Bezug auf die vorausgegangenen Äußerungen ihres Turns zu-nächst deplatziert. Dass sie ihre Freude über KGs Genesung zum Ausdruck bringt, wird erst aus dem Kontext der vorangegangen SMS-Botschaften deutlich (vgl. Günthner 2011: 21ff.). Am Ende ihres Turns erkundigt sich MS noch weiter nach KGs Krankheit („Bekommst du denn was gegen die Ent-zündung?“). KGs Antwort (3D) fällt im Gegensatz zu ihrem vorherigen Turn deutlich kür-zer aus und ist durch Ellipsen gekennzeichnet. Diese sind wiederrum nur im Kontext interpretierbar und erwecken den Eindruck eines spontanen Ausrufs. Sie schlägt darin einen möglichen Namen vor und bezieht sich somit nur auf den ersten Teil von MS“ Turn. MS“ Dialogzug (3E) zeichnet sich ebenfalls durch einen geringeren Umfang aus. Sie ist nicht zufrieden (3E: „Mist,…“) mit der Antwort KGs, da sie an einen anderen Namen „im kopf“ (3E) hatte. Die Klatschsequenz ist somit gescheitert (siehe auch Beispiel 2), da die triadische Konstellation nicht erfüllt ist (vgl. Bergmann 1987: 66). MS äußert sich abschließend dennoch negativ über SA. Dieses findet sich ebenfalls in Beispiel 2 und wirft daher

18 Günthner (2011) kommt zu vergleichbaren Ergebnissen hinsichtlich der sequenziel-len Strukturierung.

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die Frage auf, warum Teile der Klatschinformation dennoch bekannt gege-ben werden. Die Verwendung der Abkürzung „bap“ (3E) schafft darüber hinaus soziale Nähe und Gruppenzugehörigkeit, da sie eines bestimmten Wissens bedarf, um verstanden zu werden (Döring 2002: 100).19 KG erzählt MS in ihrem nächsten Turn mehr über MÖ und bezeichnet ihn als „Schnacker vor dem Herren“ (3F). Diese Redewendung ist in der Region im Plattdeutschen weit verbreitet und kontextualisiert soziale Nähe durch Rezipientendesign (vgl. Günthner 2011: 28ff.). KG nimmt folglich das Klatschangebot MS“ an, auch wenn sie es auf eine andere Person be-zieht.20 Mit dem lachenden Smiley markiert sie allerdings, dass ihre Cha-rakterisierung MÖs nicht wirklich negativ zu verstehen ist (vgl. Günth-ner/Schmidt 2002: 329). Anhand dieses Markers wird deutlich, dass Klatsch eine potentiell heikle Aktivität ist. Im Anschluss kommt KG wieder auf Ps zurück, zu dem MS sich bereits in ihrer vorherigen SMS (3C) geäußert hatte. In dieser (3C) findet sich auch die Frage, auf die KG antwortet, noch nicht beim Arzt gewesen zu sein (3F). Daran schließt sie weitere Ausführungen über ihren gesundheitlichen Zu-stand an. Am Ende ihres Turns erkundigt sie sich, ob MS „fh hat“ (3F). An-hand dieses Turns wird deutlich, wie komplex ein SMS-Dialog werden kann. KG bearbeitet in diesem drei Themen parallel und erkundigt sich zu-sätzlich noch, ob MS (gerade) Vorlesung hat. Hierin offenbart sich sehr deutlich der Unterschied zur Face-to-Face-Kommunikation, den auch Günthner (2011: 25) in Bezug auf die Äußerung mehrerer erster Paarteile in einem Turn aufzeigt. Die Komplexität der Sequenz nimmt dadurch stark zu. Noch bevor MS auf den Dialogzug reagieren kann, schickt KG ihr eine wei-tere SMS (3G). Sie hat ihr Missverständnis in Bezug auf die Personen SA (über den MS sich geäußert hat) und MÖ (über den sie selbst sich geäußert hat) erkannt und markiert dieses sprachlich durch die Interjekton „Ach so“. Sie stellt klar, dass sie SA gar nicht kennt, und dass die Beschreibung MS“ (3E: „Sa ist ne katastrophe“) nicht auf MÖ zutreffe (3G: „In Vorlesungen wäre Mö aber auch klein mit Hut, denke ich..“).

19 „BAP“ ist die Abkürzung für das Modul „Berufs- und Arbeitspädagogik“. 20 An dieser Stelle bahnt sich ein Missverständnis an.

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Dass es an dieser Stelle offensichtlich zu einer Überlappung der SMS-Botschaften 3G und 3H gekommen ist, wird an MS“ Dialogzug (3H) deut-lich. Sie hat KGs Antwort (3F) so verstanden, dass diese sich über SA äu-ßert (3F: „Ja, ist His bester Freund…“). KG hat folglich ihr Klatschangebot angenommen und die triadische Konstellation ist erfüllt. Sie baut im Sinne der Klatschhandlung die Charakterisierung KGs (3F: „Schnacker vor dem Herren“) noch weiter aus (22H: „Ja, ein oberschacker u er schielt wie sonst was..!) (vgl. Bergmann 1987: 138ff.). MS erkundigt sich weiterhin, ob KG auch SJ kennt. Dass es sich dabei um ein weiteres Klatschangebot handelt, wird in KGs nachfolgendem Turn deutlich (3J). Nachdem MS dann die Nachricht von KG (3G) gelesen hat, korrigiert sie ihre vorherige Aussage (3H) „Das mit dem schielen u schnacken war jetzt auf SA bezogen,…“ (3I). Das hier entstandene Missverständnis erinnert an ein Gespräch, in dem zwei Personen aneinander vorbei geredet haben und da-raufhin eine Reparatur vornehmen (vgl. Egbert 2009: 20). An dieser Stelle wird erneut der dialogische und gesprächshafte Charakter der SMS-Kom-munikation deutlich. KG bestätigt MS“ Annahme, dass sie SA nicht kennt (3J), geht aber direkt auf das nächste Klatschangebot MS“ ein. Sie gibt SJ zu kennen, zwar nur vom „sehen“ und aus „Erzählungen“, aber das reicht offenbar aus, ihn als „Schönling“ zu beschreiben. Das angehängte „oder?“ (3J) kann als Signal für MS interpretiert werden, Konsens zu schaffen und das Klatschangebot weiter zu vertiefen (Hagemann 2009: 145). KG geht dann direkt über zu MS“ Anmerkungen bezüglich eines Arztbesu-ches und klatscht über ihre bisherigen negativen Behandlungserfahrungen. Am Ende erklärt sie sich bereit zu einem (anderen) Arzt zu gehen, wenn sich die Entzündung nicht bessere. Diese Ausführungen können aufgrund verschiedener Merkmale ebenfalls als Klatsch eingeordnet werden. Neben der triadischen Konstellation, zeigt sich ein rekonstruierender Charakter der zusätzlich noch durch ein Zitat gestützt wird (3J: „ich solle…, meint er.“). Die Verwendung von Zitaten in Ereignisrekonstruktionen ist nach Bergmann (1987: 151f.) in hohem Maß kennzeichnend für die Gattung Klatsch.

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MS greift die „Ärzte-Problematik“ auf und schlägt KG, vor zur Ärztin IK zu gehen (3K). Anschließend nimmt sie das Klatschangebot KGs an und stei-gert ihre zunächst nur als vage gekennzeichnet Beschreibung zu „[er ist] ein oberschönling u hat eine riesenklappe. Er ist nämlich auch nur so groß wie little u muss das ja irgendwie ausgleichen!“ (3K). Bergmann konnte diesen kaskadenförmigen Verlauf in vielen Klatschsequenzen nachweisen (Bergmann 1987: 138). In ihrer Beschreibung verweist sie auf einen weite-ren Bekannten, dessen Spitzname „little“ ist, und rekurriert so auf gemein-sames Wissen. KG geht zunächst auf den eingangs gemachten Vorschlag von MS (in 3K) ein, wechselt dann aber das Thema und kommt am Ende ihres Turns noch einmal auf MÖ zurück. Sie erkundigt sich, ob dieser auch bei „Bap“ ist. MS antwortet verhältnismäßig kurz mit „Nee, ist er nicht.“ (3M) und kommen-tiert KGs frustrierende Situation mit „Ach mist..“ (3M). Am Ende ihres Turns (3N) berichtet sie MS, was sie in nächster Zeit zu tun gedenkt: „Psi und ich schauen uns das [die Klauenpflegeaktion] nachher gleich mal an. Genauso wie unsere neuen „Gastkaninchen“. Durch die lo-kal- und temporaldeiktischen Ausdrücke im zweiten Teil ihres Zuges, steigt sie aus der „Plauderei“ aus, bindet die SMS wieder stärker an den Moment zurück und gibt MS einen Einblick in ihre Pläne. An dieser Stelle endet der Dialog und es kommt zu keinem weiteren Ausbau der Klatsch-Sequenz. Die fehlende Abschiedsformel kann in diesem Zusammenhang dahingehend interpretiert werden, dass sich die beiden Frauen in einem „continuing sta-te of incipient talk“ (Schegloff/Sacks 1973: 325) befinden. Abschließend ist festzuhalten, dass MS und KG den komplexen Dialog ge-meinsam aufbauen, in dem sequenziell nacheinander mehrere Themen be-arbeitet werden. Beide Schreiberinnen sind sehr um den Fortgang des SMS-Dialogs bemüht und so werden mehrere Themen vertieft und bei Er-schöpfung oder Dispräferenz neue angeschnitten. Es wird über Kinder ge-plaudert, Bekannte und Ärzte geklatscht und berichtet, was man gerade macht. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die Gattung Klatsch ein Element ist, das immer in verschiedene andere Themen eingebettet ist. Der Umfang der Sequenz und der einzelnen Turns steht zunächst im Wider-spruch zu den medialen Bedingungen im Sinne von Zeit und Kosten. Die

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Forschung geht inzwischen jedoch davon aus, dass die Gestaltung von SMS nicht allein durch ihre mediale Abhängigkeit bestimmt wird. Ökono-mische Aspekte wie Zeit- und Kostenersparnis sind nicht die einzigen Moti-ve, die SMS-Schreibende bei der Gestaltung ihrer Botschaften bewegen (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002, Dittmann et al. 2007, Hauptstock et al. 2010). So merken Androutsopoulos/Schmidt (2002: 19) an, dass SMS-Botschaften zwar einerseits von der Reduktion dominiert werden, der krea-tive Freiraum andererseits aber eine wichtige Gegentendenz darstellt. Die-sen Aspekt stellen auch Dittmann et al. (2007: 45) heraus. So geht es den Schreibenden ihrer Ansicht nach nicht immer um „Kürze21 und Zeiterspar-nis“, sondern auch um eine individuelle Gestaltung der SMS. Bezogen auf die hier betrachteten Gattungen kann der oben formulierte Widerspruch folglich aufgelöst werden – vor allem wenn man die Betrachtung um eine der Hauptmotivationen von SMS-Schreibenden erweitert: die Beziehungs-pflege (Dittmann et al. 2007: 11).

5. Fazit und Ausblick

Die Analysen haben gezeigt, dass zahlreiche sprachliche Merkmale der Gattung „Klatsch“ aus der gesprochenen Sprache auf die SMS-Kommunika-tion übertragen werden können. Dazu zählen beispielsweise vage Formulie-rungen, Verweise auf andere, um sich vom Klatschwissen zu distanzieren und die Verwendung von Zitaten. Diese – für die SMS-Kommunikation ver-hältnismäßig komplexen – Formulierungen führen dazu, dass die Sequen-zen und einzelnen Turns vergleichsweise umfangreich sind.22 Daraus ent-steht jedoch nur ein scheinbarer Widerspruch zu den medialen Bedingun-gen, da der Aspekt der Beziehungskommunikation diesen aufwiegt (vgl. Imo 2012). Ein zentraler Unterschied zur Gattung „Klatsch“ in der gesprochenen Spra-che ist hingegen, dass die Präsequenz meist nur angedeutet wird oder so-

21 Kürze hat v.a. auch eine ökonomische Bedeutung, denn das Überschreiten der 160 Zeichen bringt zusätzliche Kosten für die Schreibenden.

22 So sind beispielsweise die Sequenzen und Turns bei den Gattungen Verabredung oder Glückwünsche in der Regel wesentlich kürzer, wie die Ergebnisse der Bachelor-arbeit zeigen.

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gar ganz entfällt. Inwieweit dies in der Beziehung der Schreibenden zuei-nander oder in den medialen Bedingungen begründet liegt, muss an dieser Stelle offen bleiben. Es zeigt sich zudem, dass die Gattung „Klatsch“ in SMS-Interaktionen häufig mit „plaudern“ vermischt wird. Hier bleibt zu klä-ren, inwieweit sich diese in der SMS-Kommunikation möglicherweise be-dingen. So wäre es beispielsweise denkbar, dass Plaudern den „Rahmen“ für Klatschsequenzen bildet. Anhand des letzten Beispiels (3) konnte zudem gezeigt werden, dass SMS-Kommunikation auch zum Plaudern genutzt wird, wenngleich dieses zu-nächst den medialen Bedingungen zu widersprechen scheint. Im Kontext von Plaudern erscheint eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sinkenden Kosten für Kommunikation (zum Beispiel durch Flatrates) und der Entstehung und Entwicklung dieser Kommunikationsform fruchtbar. Durch die massenhafte Ausbreitung von Smartphones und Nachrichten-diensten wie „Whats App“ hat sich zudem ein neues Forschungsfeld erge-ben (vgl. Dürscheid/Frick 2014). In diesem Zusammenhang bieten sich Ver-gleiche zwischen SMS- und Whats App23-Sequenzen in Bezug auf die Aus-gestaltung der hier betrachteten Phänomene „Klatsch“ und „Plaudern“ an, da sich die medialen Bedingung (Zeichenumfang, Kosten) stark verändern. Dabei stellt sich die Frage, ob die SMS-Kommunikation langfristig sogar vollständig durch diese neueren Entwicklungen verdrängt wird.

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23 Hier stellvertretend für alle anderen Nachrichtendienste.

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„Begrüßungen 2.0 – Eine kontrastive Darstellung der Einstiegssequenzen in SMS und privaten Nachrichten im sozialen Netzwerk Facebook“ JJulian Graffe

1. Einleitung

Während sich die germanistische Linguistik in den letzten Jahren intensiv mit der SMS als „medial vermittelte[r], schriftbasierte[r] Kommunikations-form“ (Günthner 2012: 353) auseinandergesetzt hat,1 begegnen Sprach-wissenschaftlerInnen der Kommunikation im populären sozialen Netzwerk Facebook bislang eher zurückhaltend.2 Die vorliegende Studie befasst sich daher kontrastiv mit diesen zwei Kommunikationsformen3, die aus den elektronischen Medien Handy und Computer hervorgegangen sind, und richtet ihren Fokus damit in Teilen auch auf ein Feld, das im linguistischen Diskurs bisher nur oberflächlich erforscht wurde. Auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes beleuchtet die Arbeit aus einer konversati-onsanalytischen Perspektive die Einstiegssequenzen in SMS- und Face-book-Dialogen, indem die merkmalstypischen Ausprägungen der Kommu-nikation vergleichend beschrieben werden. Dialoganfänge sind dabei von einem linguistischen Standpunkt aus betrachtet insbesondere mit Blick auf ihre zentrale Rolle für die Kontextualisierung der sozialen Beziehung zwi-schen den Interagierenden von großem Interesse, da die Anrede maßgeb-lich zur „symbolische[n] Codierung von Intimität“ (Wyss 2000: 187) bei-trägt.

1 Zum aktuellen Forschungsstand der SMS-Kommunikation haben unter anderem die Studien von Androutsopoulos/Schmidt (2002, 2004), Dittmann/Siegert/Staiger-Auf-lauf (2007), Dürscheid (2002), Günthner (2011, 2012) und Schmidt (2006) beigetra-gen.

2 Erste linguistische Anknüpfungspunkte zur Facebook-Kommunikation bieten bei-spielsweise Huber (2010), Runkehl/Schlobinski/Siever (2012) und Tuor (2009).

3 Die Termini Kommunikationsform und Medium werden im Sinne Hollys (1997) ge-braucht und zu Beginn des zweiten Kapitels kurz umrissen.

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42 Julian Graffe

Zu Beginn der Arbeit werden die Grundlagen der Konversationsanalyse so-wie die medialen Rahmenbedingungen und grundlegenden kommunikati-ven Aspekte der beiden Kommunikationsformen SMS und Facebook-Nach-richtendienst (beziehungsweise -chat) erläutert. Anschließend werden die der Studie zugrunde liegenden Korpora dargestellt, deren Zusammenset-zung und Erhebung in diesem Rahmen diskutiert werden, bevor sich im vierten Kapitel die Analyse des Datenmaterials mit einer Diskussion der Einstiegssequenzen in SMS-Dialogen anschließt. Es folgt die Analyse der Dialoganfänge in Facebook-Dialogen, wobei in diesem Kontext bereits ver-gleichend auf die Ergebnisse des ersten Analyseschritts zurückgegriffen wird. In diesem Zusammenhang werden die Befunde ebenfalls vor dem Hintergrund der medialen Rahmenbedingungen, auf denen die Kommuni-kationsformen fußen, thematisiert. Schlussendlich soll sich ein begründe-tes Urteil darüber ergeben, ob – und wenn ja, inwiefern – sich die Ein-stiegssequenzen der beiden Kommunikationsformen im Allgemeinen von-einander abgrenzen lassen. Dieser Vergleich wird dann ebenso vor dem Hintergrund der erwähnten unterschiedlichen medialen Rahmenbedingun-gen bewertet.

2. Mediale Voraussetzungen der Kommunikationsformen

Die Konversationsanalyse ist dabei im Rahmen der interaktionalen Linguis-tik ein geeignetes Instrument, Dialoge unter Berücksichtigung der medialen Strukturen und Bedingungen zu analysieren. Im historischen Kontext ist für die Herausbildung der linguistischen Gesprächsanalyse als Teildisziplin der modernen Sprachwissenschaft vor allem die in den 1960er Jahren in den USA entstandene conversational analysis zu nennen, die sich später primär in den Forschungen etwa von Sacks/Jefferson/Schegloff (1974) nie-derschlägt. Die linguistische Gesprächsanalyse ist dabei als systematisch-empirischer Zugang zur Analyse von Gesprächen zu verstehen, die in ihrer Herange-hensweise nicht vorab Hypothesen formuliert, sondern vielmehr vom Da-tenmaterial ausgehend gesprochene Sprache induktiv analysiert und auf dieser Grundlage Thesen herausbildet. Ergo ist die Gesprächsanalyse eine „gegenstandsfundierte Methodik“ (Deppermann 2008: 9), die von der Prä-

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misse ausgeht, dass eine in Gesprächen vorliegende Wirklichkeit im Inter-aktionsprozess von den Gesprächsteilnehmern konstituiert wird. In diesem Zusammenhang thematisieren Brinker/Sager (2010: 111) das Gespräch als interaktives Konstrukt, das als Resultat eines prozesshaften Zustande-kommens betrachtet wird. Im Analyseteil wird der Fokus je nach Disziplin, innerhalb der die Konversa-tionsanalyse angewendet wird, auf unterschiedliche Aspekte gelegt. Hen-ne/Rehbock (1982: 2) klassifizieren den Sprecherwechsel beispielsweise als das maßgebliche zu analysierende Phänomen der Gesprächsanalyse, während Brinker/Sager neben der Beschreibung der Abfolge von Ge-sprächsschritten auch die Gesprächssequenz sowie -phase mit in den Blickpunkt rücken. In Bezug auf das erste Merkmal – den Sprecherwechsel – werden Hörersignale und das Rückmeldeverhalten der Interaktions-partner behandelt, die darauf hindeuten können, ob es sich beispielsweise um intendierte oder nicht intendierte Wechsel des Rederechts handelt. In diesem Kontext spielt laut Deppermann (2008: 61) vor dem Hintergrund des Timings ebenso das zeitliche Verhältnis zwischen Gesprächsschritten eine Rolle, da auf diese Weise initiierende und respondierende Schritte voneinander unterschieden werden. In allgemeineren Analyseschritten werden Gespräche in Sequenzen und Phasen eingeteilt, die Merkmale wie Gesprächskohärenz thematisieren sowie Dialoge in Eröffnungs-, Kern- und Beendigungsphasen gliedern und somit die einzelnen Phasen funktional voneinander unterscheiden.

3. Mediale Voraussetzungen der Kommunikationsformen

Im Folgenden sind die beiden zu analysierenden Kommunikationsformen Gegenstand der Betrachtung, nachdem wichtige terminologische Grundla-gen zuvor geklärt werden. Der in dieser Studie für SMS4, Chat5 und Nach-richtendienst verwendete Terminus Kommunikationsform geht zurück auf Holly (1997: 96) und bezeichnet in diesem Sinne „virtuelle Konstellationen

4 Ergänzende Informationen zur Entstehung und Verbreitung der SMS finden sich unter anderem bei Schlobinski/Watanabe (2013).

5 Weiterführendes zur Kommunikationsform Chat diskutieren Beißwenger (2010) und Hoffmann (2004).

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von einem bestimmten Zeichenspeicherungs- oder Übertragungspotential.“ Das Handy und den Computer versteht Holly hingegen als Medien, die „konkrete, materielle Hilfsmittel [sind], mit denen Zeichen verstärkt, herge-stellt [und] gespeichert […] werden können“ (ebd.). Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmungen nimmt das soziale Netzwerk Facebook eine Sonderrolle ein, da es als virtuelles Netzwerk qua Definition nicht als Me-dium bezeichnet werden kann, in ihm jedoch die Kommunikationsformen Chat und Nachrichtendienst erzeugt werden, und daher als Ebene zwischen Medium und Kommunikationsform anzusehen ist. Als „dialogische, asynchrone, individuelle und medial schriftliche Kommu-nikationsform“ (Androutsopoulos/Schmidt 2004: 52) hat sich die SMS im Laufe der Zeit als eine bedeutende Kommunikationsform etabliert, die „als häufigsten Kommunikationsanlass Verabredungen und Beziehungspflege aufweist“ (Schmidt 2006: 322). Über das Handy verschickte SMS dienen in erster Linie der „Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen“ (Schlobinski/ Watanabe 2013: 16), dabei ist das „Simsen“ (Dürscheid 2002: 97) meist auf eine „Kerngruppe gleichaltriger Adressaten eingeschränkt“ (Androuts-opoulos/Schmidt 2004: 53) und somit ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation innerhalb von Peergroups (Schmidt 2006: 322). Die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie ha-ben auch in der noch jungen Geschichte der SMS zu medialen Änderungen und Verbesserungen geführt. Das Spektrum verschiedener Handymodelle sowie die Diskrepanz zwischen Exemplaren jüngeren und älteren Datums mit Blick auf die technischen Möglichkeiten sind dabei enorm. Während Handys, die in den Neunziger Jahren auf den Markt gebracht wurden, äu-ßerst geringe Speicherkapazitäten aufwiesen und in der Bedienung des Tastaturfeldes Übung voraussetzten (Dürscheid 2002), können Nutzer6 heutzutage ihre Mobiltelefone dazu nutzen, Videoanrufe zu tätigen, mittels Flatrate kostenlos eine unbegrenzte Anzahl von SMS zu schreiben und im Internet zu surfen. Die im Laufe der technischen Weiterentwicklung erleich-

6 Zwecks Leserfreundlichkeit wird das generische Maskulin verwendet, wobei in all-gemeinen Aussagen über das Nutzungsverhalten von Interagierenden immer auch weibliche Personen eingeschlossen werden, sofern nicht explizit darauf verwiesen wird, dass sich bestimmte Befunde ausnahmslos auf die analysierten Korpora (und damit nur männliche Schreiber) beziehen.

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terte Eingabe von SMS ist im Kontext der Arbeit von besonderem Interesse, denn eine virtuelle Tastatur, die bei modernen Mobiltelefonen üblicher-weise beim Eingeben von Nachrichten erscheint, führt im Vergleich zur Ein-gabe mit „T9-Software“7 (Dürscheid 2002: 99) zu einem deutlich erhöhten Schreibkomfort und verändert damit die Bedingungen des Schreibprozes-ses maßgeblich. Bei Facebook kann der Nutzer hingegen auf verschiedene Weise mit ande-ren in Kontakt treten, da das soziale Netzwerk „die Profilerstellung durch den Kommunikanten, Kommentare auf seiner „Wand“, Chatmöglichkeit, Gruppendiskussionen, Suche und einige andere Subgenres in sich ver-ein[t]“ (Shchipitsina 2012: 163). Im Folgenden stehen der Chat und der Nachrichtendienst im Fokus, mittels derer private Dialoge geführt werden. Die Chat-Funktion bietet den Nutzern die Möglichkeit zur quasi-synchronen Kommunikation, die sich insofern von asynchroner und synchroner Kom-munikation (Haase et al. 1997) unterscheidet, als dass sie nicht gänzlich zeitversetzt abläuft respektive der Prozess des Schreibens dem Gegenüber nicht ersichtlich ist (Dürscheid 2004: 154). Die Nutzer können sich in der eigens für die wechselseitige Konversation konzipierten Chat-Leiste ihren hinzugefügten Kontakten gegenüber als online anzeigen lassen, was durch einen grünen Punkt neben dem Namen des jeweiligen Nutzers visualisiert wird. Mitunter bewegen sich Nutzer im Netzwerk und schicken sich gegen-seitig sekündlich Nachrichten, ohne dass dies von dritten Nutzern im Chat bemerkt wird, da erstere die Chat-Funktion nicht aktiviert haben und den anderen Kontakten in der Chat-Leiste als offline angezeigt werden.8 Der signifikante Unterschied zwischen herkömmlichen Chats und dem Face-book-Chat besteht darin, dass sich die Nutzer im Vorhinein als Freunde

7 Die Funktionsweise und Nutzungsvorteile des Worterkennungssystems T9 bespre-chen Dittmann/Siebert/Staiger-Auflauf (2007) sehr ausführlich.

8 Dürscheid (2004: 151) stellt fest, dass Beiträge in Chats nicht in ihrer Entstehung, sondern erst nach der Hervorbringung sichtbar seien. Dies ist nur bedingt auf den Fa-cebook-Chat übertragbar, denn wenn sich zwei chattende Nutzer entschließen, sich als online anzeigen zu lassen, erscheint beim Interaktionspartner im Gesprächsfens-ter immer dann ein Icon, wenn der Gegenüber Eingaben auf der Tastatur tätigt, auch wenn er das Getippte anschließend nicht abschickt. Auf diese Weise haben die Nut-zer zumindest Kenntnis über die generelle Schreibaktivität des Dialogpartners, ohne dass sie während des Schreibprozesses tatsächlich Genaueres über Inhalte erfahren.

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hinzugefügt haben müssen, bevor sie miteinander chatten können. Wäh-rend sich in traditionellen Chats die Nutzer einloggen, um mit fremden Per-sonen unter dem Deckmantel der Anonymität zu schreiben (Schmidt 2000: 115), ist dies in der Form im sozialen Netzwerk nicht möglich.

4. Korpora

Das Datenmaterial besteht aus einem SMS-Korpus und einem Facebook-Korpus, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Gruppe von Probanden und der Erhebungsweise sollen im Folgenden die zentralen Merkmale dargestellt werden, welche für die anschließende Analyse der Daten relevant sind. Das SMS-Korpus9 speist sich aus der SMS-Datenbank des Centrums Spra-che und Interaktion des Germanistischen Instituts der Universität Münster und enthält 58 Dialoge, die zwischen männlichen Schreibern im Alter von 19 bis 24 Jahren geführt wurden. Die ältesten SMS stammen hierbei aus dem April 2011 und die aktuellsten Dialoge sind im August 2012 geführt worden. Alle Schreiber haben das Abitur und sind Studierende. Das Facebook-Korpus hingegen besteht aus 100 Dialogen, die von Mitglie-dern eines sechs Personen umfassenden Freundeskreises bei Facebook geführt wurden. Die Nutzer sind ebenfalls zwischen 19 und 24 Jahren alt und streben das Abitur beziehungsweise einen Hochschulabschluss an. Das Korpus wurde im Herbst 2012 über einen Zeitraum von drei Wochen erhoben. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass aufgrund der speziellen Zusammensetzung des Korpus viele Konversationen zwischen zwei oder mehreren Nutzern der Peergroup geführt wurden. Zu einem Anteil von weniger als 40% tauchen im zweiten Korpus Dialoge auf, an denen ebenfalls Personen außerhalb der Peergroup beteiligt waren. Um Anonymi-tät zu gewährleisten, wurden in den Dialogen des zweiten Korpus Namen, Adressen und Ortsangaben sinnerhaltend verfremdet. Die Konversationen des ersten Korpus weisen diese Eigenschaften bereits auf, da beim Einstel-len der SMS in die entsprechende Datenbank das Anonymisieren eine Vo-raussetzung darstellt.

9 Im Folgenden wird das SMS-Korpus als das erste Korpus bezeichnet, während das Facebook-Korpus in Abgrenzung dazu auch das zweite Korpus genannt wird.

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5. Empirische Analyse

Die Analyse der Korpora beginnt mit der genauen Betrachtung der Ein-stiegssequenzen in SMS. Anschließend richtet sich der Fokus auf das zwei-te Korpus und diskutiert damit die Einstiege in den Dialogen, die im Nach-richtendienst und Chat von Facebook geführt wurden, wobei in diesem Kontext bereits Unterschiede in den Einstiegssequenzen zwischen den Kommunikationsformen herausgearbeitet und näher beleuchtet werden. Das erste Beispiel einer Begrüßungssequenz aus dem SMS-Korpus stellt einen Dialog dar, in dem Ben eine geplante Unternehmung zwecks eines Krankenhausaufenthaltes absagen muss. Beispiel 1 „Krankenhaus“ [SMS] Hey Michi, muss dir leider für gleich absagen,weil ich möglicherweise noch nach Dortmund zum Krankenhaus mussund nicht mitten im Stück gehen mag:-/. Soll ich dir die Karte noch rasch vorbeibringen?17:01: Ben

Hey, ok. Nein brauchst du nicht. Bis dann, Lg, michi17:02: Michi

Tut mir echt leid:-o Dir aber auf jeden Fall eine gute Premiere! Bis Montag.

17:07: Ben

Mit einem für das SMS-Korpus vergleichsweise langen Dialogzug eröffnet Ben die Konversation mit einer Anrede an sein Gegenüber und rechtfertigt sein Fernbleiben vom Stück (Z. 4). Sieht man von dem Fall ab, in dem ein notwendiges Komma ausbleibt (Nein brauchst du nicht. - Z. 8), zeigt sich anhand dieses Beispiels, dass die Anwendung der korrekten Regeln von Orthografie und Interpunktion in dieser Kommunikationsform durchaus Be-achtung finden kann, wie bereits Dittmann/Siebert/Staiger-Auflauf (2007: 16) in ihrer Studie zu SMS-Kommunikation argumentiert haben. Im Ver-

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gleich zur ausführlicheren SMS von Ben fällt Michis Antwort, die zeitlich unmittelbar folgt, deutlich kürzer aus und vermittelt einen nüchternen Ein-druck bezüglich des Gesagten. Bens zweite SMS wiederum fungiert vorran-gig als Aufrichtigkeitsbezeugung seiner vorherigen Aussage. Mit Blick auf das mögliche Unverständnis Michis ist Bens Aussage als Rechtfertigung seiner Absage zu sehen, um die Beziehung zwischen ihnen nicht zu ge-fährden. Hinsichtlich der weiteren sprachlichen Ausgestaltung der Beiträge erwecken vor allem Bens SMS den Eindruck der konzeptionellen Mündlich-keit im Sinne Koch/Oesterreichers (1994), die sich in Subjektellipsen (Z. 1; dazu Tilgung des Subjektpronomens und finiten Verbs in Z. 10) nieder-schlägt. Schlobinski/Watanabe (2013: 25) klassifizieren sie als besonders typisch für deutsche SMS-Nachrichten. Auffällig sind in diesem Zusam-menhang ebenfalls Merkmale emulierter Prosodie (Haase et al. 1997) – in diesem Beispiel vorrangig die Verwendung unterschiedlicher Emoticons (Z. 5/10). Merkmale emulierter Prosodie als Ausdruck dessen, „was in der Face-to-Face-Kommunikation durch Intonation und paralinguistische Merkmale ausgedrückt wird“ (Schlobinski/Watanabe 2013: 28), sind auch in der fol-genden Einstiegssequenz eines SMS-Dialoges von Bedeutung. Beispiel 2 „Was geht“ [SMS] Hooi, was geeeht? Wielange haste heut Uni?14:05: Marco

Gar keine uni :)14:05: Adam

Is ja rischtisch geil ^^ aber in münstaa?14:05: Marco

Na sicha dat :)14:05 Adam

Der nähesprachliche Charakter der Konversation wird in der ersten SMS durch Graphemiterationen (Hooi und was geeeht? – Z. 13) betont, die Ditt-mann/Siebert/Staiger-Auflauf (2007: 18) als wiederkehrendes Muster für

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die Kommunikationsform SMS hervorheben. Die Enklise haste (Z. 13) sowie das mehrfache Auftreten elliptischer Strukturen (Z. 15/16) im weiteren Ver-lauf verdeutlicht zusammen mit Marcos Aussage Is ja rischtisch geil (Z. 16) als graphemische Darstellung einer koronalen Aussprache, dass SMS-Schreiber ihre Beziehung durch eine bewusst angewandte sprachliche Ausgestaltung kontextualisieren und ihr Verhältnis zueinander austarieren (Günthner 2011: 12). Prinzipiell stellen sich Einstiegssequenzen – ebenso wie Beendigungen – von Gesprächen als „besonders kritische Punkte“ (Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 115) dar, was sich deutlich in der Viel-zahl von Varianten bezüglich der Anrede- und Verabschiedungsfloskeln in beiden Korpora widerspiegelt. Hierbei ist das Fehlen einer expliziten Anre-de keineswegs als Ausdruck mangelnden Respekts oder unhöflichen Ver-haltens aufzufassen, denn eine „private, vertraute Beziehung, in der mehrmals wöchentlich oder sogar täglich per SMS kommuniziert wird, muss nicht ständig per Anrede kontextualisiert werden“ (Androutsopou-los/Schmidt 2004: 63). Ergänzend dazu erscheint Schmidts Interpretation dieser Weglassung der Anrede als Ausdruck „einer intakten und recht na-hen Beziehung“ (2006: 328) mit Blick auf die Dialoge im vorliegenden SMS-Korpus durchaus nachvollziehbar, wie die Kommunikation zwischen Daniel und Moritz exemplarisch belegt: Beispiel 3 „Davidwache“ [SMS] Werde mich verspäten. Bin noch beim train. Meld mich wenn ich in ms bin.21:56: Daniel

Alles klar,bin vorher noch in der Davidwache.Kannst sonst auch da erst vorbeischauen:)22:52: Moritz

Daniel steigt unmittelbar in die zu besprechende Thematik ein und verzich-tet somit gänzlich auf eine entsprechende Anrede. Die Tilgung des Sub-jektpronomens findet sich ohne Ausnahme in den parataktischen Satz-strukturen der SMS Daniels, die in Kombination mit den Abkürzungen train (Z. 20) und ms (Z. 20) den Eindruck erweckt, dass der Schreiber bei der

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Produktion der Nachricht dem schnellen Versenden oberste Priorität ein-räumt. In Bezug auf die bereits angesprochene Kontextualisierung der so-zialen Beziehung der Interaktionspartner knüpft dieser Dialog an eine vor-herige Kommunikation zwischen Daniel und Moritz an, wobei nicht erkenn-bar ist, mittels welchen Mediums jene abgelaufen ist. Diese spezifische Orientierung am Gegenüber, die Daniel in seiner SMS sowohl inhaltlich als auch sprachlich erkennbar werden lässt, thematisiert Günthner (2011: 29) als Rezipientenorientierung, die sich als „Annahmen über das Wissen der KommunikationspartnerInnen […]“ beschreiben lässt. Denn nur vor dem Hintergrund gemeinsam geteilten Wissens kann Moritz den gesamten In-halt der ersten SMS gänzlich entschlüsseln, welche für den außenstehen-den Betrachter mit scheinbar wenig Kohärenz verfasst wurde. Auf diesem Wege werden insbesondere in den Einstiegssequenzen entscheidende Merkmale darüber mitgeteilt, in welcher Beziehung die Interaktionspartner zueinander stehen. Im Vergleich der medialen Rahmenbedingungen, auf denen die beiden Kommunikationsformen beruhen, könnte sich die Hypothese aufdrängen, dass die Einstiegsbeiträge im zweiten Korpus länger und elaborierter sind als diejenigen, die in den SMS den Beginn des Dialogs markieren, da die Eingabe via Computertastatur einen größeren Schreibkomfort als eine übli-che Handytastatur bietet. Diese Behauptung fußt ergo auf der Annahme, dass Facebook-Nutzer allgemein den Computer nutzen, um im Netzwerk aktiv zu sein, während bei SMS idealtypisch angenommen wird, dass diese vom Handy aus verschickt würden.10 Mit Blick auf den Vergleich der Korpo-ra ist diese These allerdings nur bedingt haltbar, denn ausschließlich in Konversationen, bei denen zeitliche Distanz zwischen den Beiträgen vor-liegt und die Schreiber nicht in kurzen zeitlichen Abständen aufeinander reagieren, sind die einzelnen Beiträge bei Facebook umfangreicher. Während Dürscheid (2002: 109) in ihrer Studie die Feststellung trifft, dass bei SMS in mehr als sechs von zehn Fällen Begrüßungs- und Verabschie-dungsformeln weggelassen werden, trifft dieser Befund im vorliegenden SMS-Korpus auf 35% der Nachrichten zu; im zweiten Korpus sind es ein

10 Diese Prämisse und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Befunde dieser Studie werden im Rahmen des Fazits zum Ende der Arbeit aufgegriffen.

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Viertel der Konversationen, bei denen auf eine explizite Rahmung verzich-tet wird, so dass in dieser Hinsicht keine signifikanten Differenzen auszu-machen sind. Im Folgenden sollen nun kontrastiv zu den SMS die Face-book-Dialoge im Hinblick auf die Anfänge der Konversationen und ihre merkmalstypischen Ausprägungen untersucht werden. Im ersten Auszug aus dem zweiten Korpus handelt es sich um einen Dialog zwischen Katja und Olaf, der wie die vorige Konversation in eine bereits be-stehende Kommunikation eingebettet ist. Beispiel 4 „Laptop“ [FACEBOOK]

12:15 Katja da biste ja

12:15 Olaf jo moin

12:15 Katja zehn unr passt

12:15 Olaf jetzt hab ich die sms gerade losgeschickt

sehr gut

Katja eröffnet ihren Beitrag ohne explizite Anrede, da sie zuvor bereits scheinbar eine SMS an Olaf geschickt hat, die er allerdings parallel zu ihrer Chat-Anfrage beantwortet hat (Z. 28). So erfährt Olaf, dass Katja im Chat von Facebook auf ihn gewartet und ihn via SMS an ihre Verabredung im Netzwerk erinnert hat, denn mit der relativ abrupten Begrüßung da biste ja (Z. 25) gibt sie ihrer Nachricht bewusst den Anstrich einer ungeduldigen Haltung. Der „medial hybride Dialog“ (Günthner 2011:20)11 als Wechsel zwischen den Medien innerhalb der Kommunikation taucht sowohl im SMS- als auch im Facebook-Korpus mehrmals in etwa gleichen Anteilen auf. So lässt sich für SMS sowie Facebook-Chat und -nachrichtendienst konstatieren, dass sie nur einen Bestandteil der täglich genutzten Kommu-nikationsformen darstellen und sich mit Blick auf andere Medien und Kommunikationsformen, beispielsweise Telefonie oder Instant-Messaging-Programme, in eine längere Liste von Möglichkeiten einreihen, die von Menschen zum kommunikativen Austausch genutzt werden. Dür-scheid/Brommer (2009: 7) argumentieren ferner, je „‚synchroner‘ die Kom-munikation [ist], desto stärker nähert sich der Sprachgebrauch der konzep-

11 Vergleiche weiterführend das Konzept der „Mixing Media“ bei Wyss (2011).

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tionellen Mündlichkeit an“ und stellen damit eine Beobachtung heraus, die sich in der Analyse des zweiten Korpus widerspiegelt.12 Eine zweite Einstiegssequenz eines Dialoges aus dem Chat-Protokoll zwi-schen Katja und Olaf bestätigt die These, dass einander bekannte Nutzer ihre soziale Beziehung mit einer Begrüßung (oder deren Wegfall) kontextu-alisieren und in der Interaktion auf spezifisches Hintergrundwissen beim Gegenüber zurückgreifen können.

Beispiel 5 „Schlafrhythmus“ [FACEBOOK]

17:55 Katja Duuuuu, könnten wir das am Montag doch

switchen?

Auf so 13 Uhr? Du sagstest doch du hast

bis halb fünf Zeit oder? Passt dir das?

Das wäre supi

22:11 Olaf Jo kein Problem. Das passt auch besser zu

meinem Schlafrhythmus. Ich komm dann um 13

Uhr vorbei.

LG

Obwohl Katja auf eine explizite Anrede verzichtet, ist durch das Personal-pronomen in Form der Buchstabeniteration Duuuuu (Z. 31) der nähesprach-liche Code in der Einstiegssequenz deutlich erkennbar. Ebenso nimmt Olaf direkt Bezug auf die Bitte Katjas, ohne sie vorher mit einer Grußformel an-zuschreiben. Die Modalpartikel doch (Z. 31/32) verweist zudem auf eine frühere Absprache zwischen beiden Kommunikationspartnern, weswegen vor dem Hintergrund einer nicht abbrechenden Kommunikation die Anrede nicht bei jeder neuen Kontaktaufnahme kontextualisiert wird.

12 Mit Blick auf die Zusammensetzung des zweiten Korpus ist einschränkend zu erwäh-nen, dass sich die Kommunikation innerhalb der untersuchten Peergroup ohnehin stark am Pol der konzeptionellen Mündlichkeit befindet, da eine Peergroup-Kommunikation auch dann von der Sprache der Nähe gekennzeichnet ist, wenn kei-ne synchrone Kommunikation vorliegt. Da aber auch in SMS „an erster Stelle Freunde und Partner als primäre Kommunikationspartner [stehen]“ (Schlobinski/Watanabe 2003: 130), trifft diese Beobachtung auch auf die Dialoge im ersten Korpus zu.

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Ferner fällt im Gegensatz zum Dialog (4) Laptop auf, dass Katjas Eröff-nungsbeitrag inhaltlich umfangreicher ausgestaltet ist als im angeführten Vergleichsbeispiel. Dies liegt in einem entscheidenden Unterschied res-pektive Vorteil zwischen den Kommunikationsformen SMS und Facebook-Chat (beziehungsweise -Nachrichtendienst) begründet. Während der SMS-Produzent seine SMS abschickt und nicht weiß, ob seine SMS zeitnah rezi-piert wird und er eine schnelle Rückmeldung erwarten kann, wird bei Face-book einerseits der Produzent über die Rezeption seiner Nachricht infor-miert und andererseits werden im Chat Nutzer als online angezeigt, sofern sie diese Funktion aktiviert haben (vgl. Kapitel 2). Dies bedeutet, dass Katja während des Produzierens ihres Beitrages mit großer Wahrschein-lichkeit weiß, ob Olaf die Nachricht sofort (im Falle der Anwesenheit des Gegenübers im Chat) oder erst später lesen wird. Da es sich thematisch zu-dem um eine Absprache handelt, die sich auf einen noch kommenden Tag bezieht, besteht kein Zeitdruck und Katja erwartet nicht notwendigerweise eine schnelle Antwort. In dem Dialog (4) Laptop hingegen erscheint Olaf just im Facebook-Chat, weswegen Katja mit Blick auf die kommunikativen Rahmenbedingungen einen kürzeren, stärker dialogisch orientierten Ein-stieg im Sinne einer typischen Dialogzugverteilung der einzelnen Beiträge wählt. Ähnlich wie in der Analyse des ersten Korpus unterstreicht die Untersu-chung des zweiten Datensatzes die Rolle der Einstiegssequenzen als Mar-ker für die Beziehung der Interagierenden. Denn auch im Facebook-Korpus bestätigt sich der Eindruck, dass die Nutzer ihre Beiträge auf den jeweiligen Wissenshintergrund des Interaktionspartners zuschneiden und die Face-book-Dialoge „Rezipientenformate“ im Sinne Günthners (2012: 369) auf-weisen. Die Einstiegssequenz des folgenden Dialoges belegt in mehrfacher Hinsicht, dass Bernd seinen Beitrag bewusst vor dem Hintergrund gemein-sam geteilten Wissens mit Carlo formuliert.

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Beispiel 6 „Vorbeischauen“ [FACEBOOK]

17:13 Bernd hey carlo, was geht? kein geld aufm handy, wie

immer, deswegen hier die antwort ;) hab heute

abend noch nichts vor..bock hier fußball zu gu-

cken? sonst kannste auch gerne morgen abend o-

der dienstag vorbeischauen..

17:14 Carlo Fussball koennte eng werden...aber ich muss

gleich ins buero und koennte dann wohl rum kom-

men wenns bei dir passt

Montag dienstag bin ich wieder in osna work-

en...

Mangels Guthabens auf dem Handy formuliert Bernd eine Antwort auf Car-los Frage, die er Bernd zuvor via SMS gestellt hatte, im Nachrichtendienst von Facebook. Der Beitrag verdeutlicht, dass das Switchen der Kommuni-kationsformen zwischen beiden häufiger vorkommt (wie immer - Z.41). Auf-fällig ist, dass Bernd eine Anrede formuliert und sich nach dem Befinden in Form einer routinisierten Begrüßung des Gegenübers kurz erkundigt (was geht? - Z. 40), während Carlo darauf verzichtet – zu vermuten ist, dass Bernd diese Begrüßung bereits in der SMS formuliert hat. Carlos Beitrag ist mit Blick auf seinen Informationsgehalt ebenfalls auf den Wissenshinter-grund von Bernd zugeschnitten, da gewisse Begriffe und Sachverhalte (bu-ero - Z. 48; osna - Z. 52) scheinbar keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Die Intimität der Beziehung wird neben den Anredeformen auch durch ellip-tische Strukturen (kein geld aufm handy - Z. 40/41; hab heute abend noch nichts vor - Z. 42) und Enklisen (kannste – Z. 44; wenns - Z. 49) als nähe-sprachliche Phänomene zum Ausdruck gebracht.

6. Fazit

Der Vergleich der Einstiegssequenzen in SMS und Nachrichten via Face-book unter konversationsanalytischen Gesichtspunkten zeigt, dass zwi-schen den beiden Kommunikationsformen mit Blick auf die Dialoganfänge keine signifikanten Unterschiede existieren. In der Analyse wurde für beide Korpora herausgearbeitet, dass die Nachrichten auffällig viele Merkmale

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konzeptioneller Mündlichkeit enthalten. Dies ist damit zu begründen, dass sowohl SMS als auch der Nachrichtendienst beziehungsweise der Chat von Facebook in erster Linie zur Kommunikation mit Personen genutzt werden, denen der Verfasser in der Regel nahe steht, weshalb er tendenziell zur Sprache der Nähe (Koch/Oesterreicher 1994) neigt. Eine weitere Parallele stellt die Einbindung der Nachrichten in bestehende Kommunikationsgefü-ge dar, was sich in beiden Korpora nicht zuletzt durch die nicht zu vernach-lässigende Anzahl von „Mischdialogen“ (Günthner 2012: 361) manifes-tiert. Ferner ist in nahezu allen Dialogen eine Rezipientenorientierung er-kennbar, indem sich die Interagierenden in ihren Nachrichten sowohl in-haltlich als auch sprachlich explizit an dem Wissenshintergrund, den sie beim Interaktionspartner voraussetzen, ausrichten. Allgemein ist weiterhin festzuhalten, dass in beiden Kommunikationsformen die soziale Beziehung zum Gegenüber in der Regel bereits in den Einstiegssequenzen sehr deut-lich kontextualisiert wird. So bleibt zu konstatieren, dass die medialen Unterschiede zwischen den Kommunikationsformen nicht zwangsläufig zu grundlegend verschiedenen Formen der Begrüßungsbeiträge führen. Vielmehr scheinen die Interagie-renden auf die jeweiligen kommunikativen Rahmenbedingungen einer Un-terhaltung einzugehen und daran die Gestaltung ihrer Einstiegssequenz auszurichten. So ist für den Einstieg eines Gesprächs primär relevant, in welchem Verhältnis die Schreiber zueinanderstehen, ob ihre Kommunikati-on eher synchron oder asynchron verläuft und welches Thema in der Kon-versation diskutiert wird. Zudem scheint sich die Hypothese zu bewahrheiten, dass aufgrund der medialen Annäherung zwischen dem Handy und dem Computer, die aus einer Verbesserung und Erweiterung der technischen Möglichkeiten von modernen Mobiltelefonen respektive Smartphones resultiert, die Unter-schiede, welche sich aus der einst deutlicheren Verschiedenheit in den medialen Rahmenbedingungen ergeben haben, nun zunehmend aufgeho-ben werden. Die Tatsache, dass mittlerweile Facebook-Nachrichten über internetfähige Handys und am Computer über das Internet SMS verschickt werden können, bestätigt diesen Gedankengang. Auf diese Weise sind tat-sächliche Differenzen in den Einstiegssequenzen nicht existent, da heutzu-

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tage beide Kommunikationsformen durch die zwei Medien Handy und Com-puter, die ursprünglich nur jeweils einer Kommunikationsform zuzuordnen waren, realisiert werden können. Aufgrund der Datenkorpora richtet die vorliegende Studie ihren Fokus auf die Kommunikation zwischen Personen, die ein gewisses Bildungsniveau erreicht haben beziehungsweise anstreben. In Anknüpfung an diese Arbeit könnte daher erforscht werden, welche Merkmale die computervermittelte Kommunikation zwischen Interagierenden anderer Milieus aufweist. Ferner wäre sicherlich ein Forschungsdesign erkenntnisreich, das andere soziale Netzwerke wie Xing oder populäre Messaging-Programme wie WhatsApp zum Gegenstand der Betrachtung macht. Um die zunehmende Vielschich-tigkeit und den ansteigenden Anwendungsreichtum der computervermittel-ten Kommunikation in der digitalen Gesellschaft weiter adäquat abbilden zu können, wird sich die interaktionale Linguistik vermehrt mit kommunika-tiven Vorgängen in den neuen Medien beschäftigen müssen.

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„Sequenzielle Muster und Frageformate im Kontext von SMS-Verabredungen“ SSarah Kim, Christine Wall und Kristina Wardenga

1. Einleitung

Bereits seit über zwanzig Jahren gibt es die Kommunikationsform SMS, die einst als zufälliges Nebenprodukt von Mobilfunknetzbetreibern entstanden ist (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002: 49) und im Laufe der Zeit zur pri-mären Kommunikationsform der Handy- bzw. Smartphonebesitzer ange-wachsen ist. Schätzungsweise 46 Milliarden SMS verschickten die Deut-schen im Jahr 2011, im Vorjahr waren es ca. 41,3 Milliarden.1 Die Ein-schränkung der 160 Zeichen in einer SMS wird mittlerweile durch SMS- Flatrates der Mobilfunkanbieter und durch Anbieter wie WhatsApp durch-brochen, die bei internetfähigem Handy und Internetzugang eine kostenlo-se bzw. kostengünstige medial schriftliche mobile Kommunikation ermög-lichen. Insbesondere für junge Menschen ist die SMS-Kommunikation ein wichti-ger Bestandteil ihres privaten kommunikativen Haushalts geworden. SMS eignen sich für die Kontaktpflege; meist beinhalten sie belanglose Alltags-plaudereien oder Verabredungen (vgl. Döring 2002a). Diese Art der medial schriftlichen Kommunikation ist sehr beliebt, da das Schreiben und Ver-senden, quasi nebenher zu anderen Aktivitäten, nahezu an jedem Ort und zu jeder Zeit möglich ist. Als Nutzerinnen von Kurznachrichten ist uns an unserem eigenen Schreibverhalten aufgefallen, dass der Hauptanteil unse-rer Nachrichten Verabredungen sind, die meist durch Frageformate reali-siert werden. Daher lag es nahe anhand der SMS-Datenbank des Centrums Sprache und Interaktion (CeSI) die Gattung Verabredung zu untersuchen und spezifisch die Bedeutung von Frageformaten in dieser Gattung be-schreiben. Im Folgenden wird der Forschungsstand zu Verabredungen in

1 Siehe die Angaben des Branchenverbands Bitkom: http://www.bitkom.org/files/ documents/Download_SMS_HANDY_11.jpg.

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SMS aufgearbeitet und die methodische Herangehensweise erklärt. Es werden Analysen verschiedener SMS-Verabredungsdialoge durchgeführt; ebenso werden typische Frageformate in SMS-Verabredungen beschrieben.

2. SMS-Kommunikation und Verabredungen

Die Untersuchung von SMS-Kommunikation ist innerhalb der Sprachwis-senschaft eine vergleichsweise junge Forschungsrichtung, da SMS erst seit 1994 von allen Mobilfunkbetreibern unterstützt werden.2 Erste Forschungs-beiträge liegen erst ab den frühen 2000er Jahren vor. Bei Schlobinski et al. (2001) werden bereits wesentliche sprachliche Phänomene der SMS-Kommunikation analysiert, auf die immer wieder referiert wird. Zunehmend werden Aspekte wie Kohärenz, Lexik, Morphosyntax, Orthographie und Ty-pographie untersucht und somit die sprachwissenschaftliche Forschung erweitert. Zudem wurden SMS auch auf 1) situativ-funktionale, 2) dialo-gisch-interaktive und 3) sprachstrukturelle Kennzeichen hin untersucht; ebenso erfolgte eine Unterscheidung zwischen SMS als Kommunikations-form und verschiedenen SMS-Gattungen (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002). Sprachliche Phänomene und kommunikative Prozesse werden sowohl bei Androutsopoulos/Schmidt (2002) als auch bei Dürscheid (2002a, 2002b, 2014) thematisiert. Arbeiten aus dem Forschungsprojekt „Jugendliche und SMS. Gebrauchsweisen und Motive“ (vgl. Höflich 2001, Höflich/Rössler 2000) untersuchen psychologische und kommunikationssoziologische Fragestellungen bei der SMS-Kommunikation. Des Weiteren sind For-schungsarbeiten vorzufinden, in denen SMS mit anderen Kommunikations-formen verglichen werden (vgl. Siever 2005, Frehner 2008, Tápi 2009, Dür-scheid 2002c, Höflich 2003, Moraldo 2004, Schnitzer 2012). Döring (2002a) beschäftigt sich mit kommunikativen Funktionen von Kurzmittei-lungen, wie etwa der Informations-, der Deklarations- oder der Kontaktfunk-tion. Laut dieser Studie ist eine der Hauptaufgaben der SMS die „Pflege bestehender privater Beziehungen“ (Döring 2002a: 118). Momentaufnah-men, Anklopf-Nachrichten oder Berichterstattungen laden nicht nur zur

2 Siehe Angaben des Branchenverbands Bitkom: http://www.bitkom.org/de/ markt_ statistik/64046_58933.aspx.

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Fortsetzung der Interaktion ein, sondern leiten auch oft zu konkreten Ter-minvereinbarungen für Treffen über. Verabredungen, so wird etwa bei der Nutzungsstudie von Schlobinski et. al (2001: 26) festgestellt, machen ei-nen großen Teil von SMS-Dialogen aus. Verabredungs-SMS werden bislang jedoch nur in einzelnen Untersuchungen thematisiert (vgl. Schlobinski et al. 2001: 26ff., Androutsopoulos/Schmidt 2002: 57ff., Dürscheid 2002a : 119, Hauptstock/König/Zhu 2010: 29ff.) und bilden keinen eigenen Gegen-stand von Forschungsarbeiten. Während also Motive, Umstände und Funk-tionen von (Verabredungs-)SMS in verschiedenen Forschungsbeiträgen be-leuchtet werden, ist bis auf die gelegentlichen Fokussierungen sprach-struktureller Kennzeichen und einigen Ratgebern (vgl. Haller 2000), keine umfassende sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Ver-abredungen in der SMS-Kommunikation bisher im deutschsprachigen Raum erschienen. Auch die in dieser Gattung häufig genutzten Frageforma-te sind entsprechend noch nicht zu einem eigenen Analysegegenstand lin-guistischer Untersuchungen gemacht worden.

3. Korpus und Methode 3.1 SMS-Korpus

In dieser Arbeit wird aus linguistischer Sicht der Fokus auf das Frageverhal-ten von einer Gruppe junger, miteinander bekannter Studierender zwischen 20-25 Jahren und die damit verbundene Verabredungskultur per SMS qua-litativ analysiert. Ein Korpus aus 22 Verabredungsdialogen, welches aus der SMS-Datenbank des Centrums Sprache und Interaktion (CeSI) an der WWU Münster entnommen wurde, soll den sequenziellen Aufbau und spe-zifische Frageformate untersucht werden. Aus Datenschutzgründen wurden die Daten anonymisiert, d.h. Personen- und Ortsangaben, die einen Rück-schluss auf die Identität der aufgenommenen Personen erlauben, wurden abgeändert.

3.2 Ein dialogischer Ansatz zur Analyse von SMS-Kommunikation

Die SMS ist eine Kommunikationsform, innerhalb derer sich verschiedene Gattungen herausgebildet haben (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002: 51f., Dürscheid 2005: 8ff.). Kommunikative Gattungen fungieren hierbei

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nicht als starre, regelhafte Konzepte, sondern sie sind als „Orientierungs-muster mit prototypischen Elementen“ (Günthner 1995: 214) zu verstehen. SMS zeichnen sich durch eine eigene Hybridität der Nähe und Distanz aus, da sie medial schriftlich sind, konzeptionell gesehen jedoch sowohl schrift-lich als auch mündlich ausgerichtet sein können (vgl. Dürscheid 2002a: 47). Die gegenläufige Kombination, nämlich konzeptionell mündlich und medial schriftlich, wird als Besonderheit angesehen (vgl. Koch/Oesterreich-er 1985: 17, Dürscheid 2002: 49). Die dialogische Ausrichtung in der SMS-Kommunikation macht eine Untersuchung mit Mitteln der Konversations-analyse möglich, da sie von nacheinander folgenden SMS-Beiträgen zeit-lich strukturiert wird (vgl. Günthner 2011, Deppermann 2008: 49). Grundlegende Kriterien, die Deppermann (2008: 8f.) als konstitutiv für Ge-spräche erachtet, können auch auf die SMS-Kommunikation übertragen werden: Diese ist ebenfalls konstitutiv, da SMS-Ereignisse von den Interak-tanten aktiv hergestellt werden. Sie ist interaktiv, da sie aus „wechselseitig aufeinander bezogenen Beiträgen“ (Deppermann 2008: 8) von SMS-Part-nern besteht. Ihre Prozessualität wird deutlich, da die SMS-Kommunikation ein „zeitliches Gebilde“ (Deppermann 2008: 8) ist, das durch die Abfolge verschiedener Handlungen nach und nach entsteht. Mit dem Begriff Me-thodizität sind bei Deppermann die typischen, „für andere erkennbaren und verständliche Methoden, mit denen sie [hier: die SMS-SchreiberInnen] Beiträge konstruieren und interpretieren sowie ihren Austausch miteinan-der organisieren“ (Deppermann 2008: 8), gemeint. Unter Pragmatizität ver-steht Deppermann den Umstand, dass „Teilnehmer […] gemeinsame und individuelle Zwecke [verfolgen] und sie […] Probleme und Aufgaben, die unter anderem bei der Organisation des Gesprächs [hier: des SMS-Dialogs] selbst entstehen, [bearbeiten].“ (Deppermann 2008: 9)

Die Gesprächswirklichkeit wird von den Gesprächsteilnehmern konstituiert, d.h. sie benutzen systematische und meist routinisierte Gesprächspraktiken, mit denen sie im Gespräch Sinn herstellen und seinen Verlauf organisieren (Deppermann 2008: 9).

Im Unterschied zum Gespräch verläuft die SMS-Kommunikation asynchron, da SMS-Nachrichten örtlich sowie zeitlich versetzt produziert und wahrge-nommen werden (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002: 51). Günthner/Krie-

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se definieren den Unterschied zwischen Gesprächen und SMS folgender-maßen:

In Face-to-face-Gesprächen folgen die beiden von verschiedenen Teilnehmer Innen produzierten und geordnet organisierten Redezüge einer Paarsequenz in der Regel direkt aufeinander; d.h. sie sind 'adjazent'. Dabei beendet die Sprecherin nach der Produktion ihres ersten Teils den Redezug, so dass ihr Gegenüber unmittelbar im Anschluss mit der Produktion des projizierten zweiten Teils einsetzen kann (Schegloff/Sacks 1973: 296). Im Gegensatz dazu werden in den deutschen SMS-Interaktionen nach der Produktion des ersten Paarteils einer Paarsequenz oftmals weitere kommunikative Handlun-gen (weitere Mitteilungen, zusätzliche erste Teile weiterer Paarsequenzen, Verabschiedungsformeln etc.) erzeugt, bevor der SMS-Beitrag losgeschickt wird. (Günthner/Kriese 2012: 57)

Basierend auf den angeführten Merkmalen eines dialogischen Ansatzes werden im Folgenden SMS-Verabredungen auf ihren sequenziellen Aufbau und ihre Einbettung in einen SMS-Dialog untersucht.

3.3 Makro- und Mikroskopische Aspekte von Verabredungs-SMS

Das Hauptinteresse gilt der Realisierung von SMS-Verabredungen junger Studierender. Bei der Analyse werden besonders die verwendeten Frage-formate in den Fokus der Untersuchung gerückt. Die folgenden Analysen werden dabei auf zwei Ebenen durchgeführt. Auf der makroskopischen Ebene wird die sequenzielle Verlaufsstruktur des SMS-Verabredungsdia-logs beschrieben (vgl. Deppermann 2008: 52). Auf diese Weise nimmt man den Interaktionsverlauf von einer SMS zur nächsten SMS in den Blick (vgl. Deppermann 2008: 53f.). Es ist zu erwarten, dass Verabredungs-SMS durch eine paarige Struktur gekennzeichnet sind, so dass Gesprächsbeiträge […] nicht nur durch eine gemeinsame thematische Orientierung verbunden [sind], sondern sie sind gleichzeitig in einer funktional-kommunikativen Art aufeinander bezogen. Grundsätzlich lassen sich initiierende von respon-dierenden Akten unterscheiden. (Linke/Nussbaumer/Portmann 2004: 315) In den SMS-Dialogen sind daher der Verabredungsvorschlag und dessen Beantwortung bzw. Bearbeitung zu analysieren. Ebenfalls soll der interne Aufbau der verabredungsinitiierenden Nachrich-ten in den Blick genommen werden. Die Nachrichten werden dabei auf ihre Eröffnungs- bzw. Präsequenz, auf ihre Fokussierungssequenz, ihre Kernse-

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quenz und ihre Beendigungs- bzw. Schlusssequenz hin untersucht (vgl. Deppermann 2008: 59, Bergmann 1981: 35). Die Eröffnungssequenz dient bei „bekannten Gesprächspartnern […] v.a. dazu, sich gegenseitig über den status quo der Beziehung rückzuversichern, etwa durch die Thematisierung des letzten Treffens bzw. des letzten Gesprächs“ (Linke/Nussbaumer/Port-mann 2004: 319). Die Präsequenzen können stark in ihrer Länge variieren. Auffällig ist, dass die Eröffnungsphase kürzer wird, je besser sich die Schreibenden kennen und je näher der Zeitpunkt des letzten SMS-Austau-sches zurückliegt. Günthner notiert, dass das Auslassen von Begrüßungen ohne Anredeformen oder ohne Grußpartikel in SMS als Zeichen einer „an-dauernden Dialogkette bzw. eines regen Austausches der Beteiligten“ zu bewerten ist (Günthner 2011: 12). Bei der Analyse der SMS-Dialoge ist auf ritualisierte Floskeln zu achten, die der Bewältigung von Eröffnungsprob-lemen dienen. Anschließend widmen sich die Schreibenden dem eigentli-chen Thema, in diesem Fall der Verabredung, zu. Die Schlusssequenz dient dazu, dass die Interaktanden sich aus dem Hauptteil lösen und zu einem Abschluss Nachricht kommen. Auf mikroskopischer Ebene wird in diesem Beitrag die Verwendung ver-schiedener Frageformate (vgl. Abschnitt 4) in den jeweiligen SMS-Dialog- bzw. Nachrichtenteilen fokussiert. Diese Fragen können konditionelle Rele-vanzen etablieren, auf die unterschiedlich reagiert werden kann. Zwischen den Folgeerwartungen des ersten Gesprächsbeitrags und dem Anschluss-beitrag können nach Deppermann (2008: 68) drei verschiedene Formen der Weiterführung auftreten: i) Die präferierte Folge: Die Erwartung wird eingelöst. ii) Die dispräferierte Folge: Die Erwartung wird nicht eingelöst, man zeigt

aber, dass man die Erwartung kennt. iii) Die ignorierende Folge: Die Erwartung wird nicht eingelöst und man

gibt nicht zu erkennen, dass man die Erwartung kennt. Im Folgenden legen wir den Fokus auf die Art und Weise, wie sich die SchreiberInnen in dem Untersuchungskorpus verabreden: Wie sind die verabredungsinitiierenden SMS-Nachrichten intern aufgebaut? Welche Rol-

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le spielen dabei verschiedene Frageformate? Lassen sich bestimmte Frage-Muster beschreiben lassen, derer sie sich die SchreiberInnen bedienen? Wie sind Verabredungs-Dialoge per SMS sequenziell aufgebaut; wie reagie-ren SchreiberInnen auf eine Verabredungs-SMS?

3.4 Frageformate

Ein Frage- bzw. Interrogativsatz dient in der Regel dazu, eine Fragehandlung zu vollziehen. Hentschel/Weydt definieren den Begriff Frage wie folgt:

Der Fragesatz (Interrogativsatz, von lat. interrogare, „fragen“) oder Fragesatz ist eine Satzform, mit der entweder Unsicherheit in Bezug auf das Zutreffen einer Proposition (Entscheidungsfrage) oder eine spezifische Informations-lücke (Bestimmungsfrage) bezeichnet wird. (Hentschel/Weydt 2003: 415).

Die Gemeinsamkeit aller Fragen besteht in der Offenheit einer Fragepropo-sition, die eine darauf bezogene Antwort schließen soll. Offen kann hierbei entweder der Wahrheitswert der Proposition oder mindestens eine proposi-tionale Stelle sein (vgl. Meibauer 2013: 105). Angelehnt an diese Unter-scheidung stehen im Hinblick auf den Interrogativsatz vor allem zwei Satz-formen im Vordergrund: der Verberstfragesatz und der w-Fragesatz. Der Verberstfrage- bzw. Verberstinterrogativsatz tritt bei einem offenen Wahrheitswert der Proposition auf. Wie aus dem Namen abzuleiten, befin-det sich das finite Verb am Satzanfang. Es handelt sich dabei um eine Fra-ge, auf die man als Antwort ein Ja oder ein Nein erwartet, worauf die Be-zeichnung Ja/Nein-Frage beruht. Somit hat der Verberstfragesatz die Funk-tion, eine Entscheidungsfrage (EF) auszudrücken (vgl. Reis: 2013). E-Fragen können durch die Funktion oder miteinander kombiniert werden, sodass eine Alternativfrage entsteht, worauf der Befragte die Möglichkeit hat, mit einer der beiden in der Frage geäußerten Möglichkeiten zu antwor-ten. Demnach wird hier keine Ja/Nein-Antwort erwartet, sondern eine expli-zitere Antwort (vgl. Duden 2005: 903ff.). Bei dem w-Fragesatz bzw. w-Interrogativsatz nimmt eine w-Phrase, d.h. ein Satzglied mit einem w-Wort, den Platz in der Erstposition, im Vorfeld, ein. Unter w-Wörter fallen interrogative Pronomen, Artikel und auch Pro-Adverbien, die mit Buchstaben <w> beginnen (vgl. Duden 2005: 903ff.). Es folgt das finite Verb, das somit seinen festen Platz zwischen der w-Phrase

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und dem Rest des Satzes hat. Aufgrund dessen wird diese Satzform w-Verbzweitsatz oder auch w-Fragesatz mit Verbzweitstellung genannt. Die Funktion des w-Fragesatzes liegt darin, eine Ergänzungsfrage auszudrü-cken. Das bedeutet, dass man mit einem Fragewort nach einem Satzteil fragt, wie z.B. mit wer nach dem Subjekt oder mit wo nach einer Adverbial-bestimmung (vgl. Hentschel/Weydt 2003: 417). Der Typ der Ergänzungs-frage wird verwendet, um Wissenslücken zu beseitigen, indem man Aus-künfte verschiedener Sachverhalte erhält. Darüber hinaus existieren neben den beiden vordergründigen Satzformen Verberstsatz und w-Verbzweitsatz weitere Satzformen, welche eine Frage-handlung darstellen. Zum einen können Sätze, die formal wie Aussagesät-ze strukturiert sind, d.h. ein Verbzweitsatz mit beliebigem Satzglied im Vor-feld, verschiedenartige Funktionen erfüllen. Anzuführen sind hierbei die Vergewisserungsfrage, die Bestätigungsfrage, die Prüfungsfrage und die Echofrage (vgl. Duden 2005: 904f.). Letztere wird verwendet, wenn man etwas nicht richtig verstanden zu haben glaubt. Im Folgenden soll nun be-trachtet werden, ob und wie diese verschiedenen Frageformate in Verabre-dungs-SMS genutzt werden.

4. Analyse

Verabredungstexte sind dadurch gekennzeichnet, dass eine Absprache im Hinblick auf ein bevorstehendes Treffen oder Ereignis stattfindet. Typische Anlässe für einen Verabredungstext sind z.B. Einladungen zum Geburtstag oder zum Kaffeetrinken, gemeinsame freizeitliche Aktivitäten, Referatstref-fen oder rein praktischer Natur wie bei einem Materialienaustausch. Der Beziehungsstatus der SchreiberInnen kann also sehr weit gefasst sein: er reicht von nahen sowie weiteren Verwandtschaftsgraden über freund-schaftliche Verhältnisse hin zu eng miteinander bekannten SchreiberInnen, wie KommilitonInnen oder ArbeitskollegInnen. Medial schriftliche Verabre-dungstexte können konzeptionell sowohl schriftlich als auch mündlich sein. In dem von uns untersuchten Korpus bilden Texte konzeptionell mündlicher Art den überwiegenden Anteil.

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4.1 Der interne Aufbau von SMS-Verabredungsnachrichten

Die am häufigsten verwendete standardisierte Form auf konzeptionell schriftlicher Ebene erscheint in Verabredungstexten, die eine Einladung zu bestimmten Ereignissen darstellen, mittels der performativen Formel: „Hiermit lade ich dich/euch herzlich zu [...] (Platzhalter für Variable) ein!“ Wie bei Glückwunschtexten ist diese Formulierung typisch für Einladungs-karten und für Briefe bei offiziellen Ereignissen oder sehr wichtigen heraus-ragenden privaten Anlässen, wie beispielsweise eine Hochzeit (vgl. Fan-drych/Thurmair 2011: 312f.). Im Hinblick auf die SMS-Schreibkultur in dem untersuchten Korpus sind verfestigte Formen dieser Art jedoch selten zu finden. Bevorzugt werden freie Formulierungen, die Spontanität und Natür-lichkeit kennzeichnen. Trotz der formlosen Schreibweise lassen sich an-hand der Struktur konventionalisierte Textschritte bei Verabredungs-SMS nachweisen. Auffallend ist dabei, dass in dialoginitiierenden Verabre-dungs-SMS alle Sequenzen von Prä- und Fokussierungs- über Kern- bis hin zur Schlusssequenz genutzt werden: i) Begrüßung (Präsequenz) ii) Frage nach dem Befinden (Fokussierungssequenz) iii) Vorschlag oder Frage bezüglich eines Treffens (Kernsequenz) iv) Beendigung, Abschied (Schlusssequenz) Dazu ein Beispiel: Dialog #1338 „Kaffeetrinken“ Hey Marie, wie siehts aus bei dir? Gut ins semester gefunden? Hast du lust dich diese wo auf nen kaffee zu treffen. das fänd ich schön:) liebe grüße:-*Nachricht #1 - 11.10.2011 - 09:16:00

Die einzelnen Schritte können individuell ausführlich gestaltet oder auch relativ rasch abgehandelt werden. Die Präsequenz besteht in Nachricht 1 aus der Begrüßung „Hey Marie“, gefolgt von einer Fokussierungssequenz mit dem w-Fragesatz „wie siehts aus bei dir?“ und der elliptischen Ent-

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scheidungsfrage „Gut ins semester gefunden?“ Die Kernsequenz der Ver-abredung wird durch die darauf folgende Verberstfrage „hast du lust dich diese wo auf nen kaffee zu treffen.“ eingeleitet. Zusätzlich fügen die Schrei-berinnen der Kernsequenz häufig ein emphatisches Nachlaufelement an, dass ihre Hoffnung auf eine Zusage sowie ihre Vorfreude auf ein bevorste-henden Treffens ausdrückt („das fänd ich schön:)“). Die Nachricht endet dann mit der Routineformel „liebe Grüße“ und einem Kuss-Smiley. Demgegenüber wird das Schema der musterhaften Schrittfolge in Verabre-dungstexten nicht vollständig realisiert, wenn erste Dialogzüge zur Verab-redung der Schreiberinnen bereits im Vorfeld stattgefunden haben. Oft werden dann Begrüßungen ausgelassen, sodass die Nachricht mit einer Fokussierung auf das Thema oder sogar direkt in der Kernsequenz mit dem Thema beginnt. Auch auf einen expliziten Abschluss, die durch einen Ab-schied das Ende der SMS-Konversation anzeigt, wird häufig verzichtet. Das Weglassen ritueller Begrüßungs- und Beendigungssequenzen in SMS-Dialogen markiert keinesfalls Unhöflichkeit, sondern gilt als Kennzeichen einer intakten und nahen Beziehung der Schreiberinnen (vgl. Günthner 2011: 12). Die Bedeutungen und Auswirkungen bei SMS-Verabredungstex-ten, die einen Bruch in der Abfolge der vier Schritte aufweisen, stellt bei-spielsweise der SMS-Dialog #176 dar: Dialog #176 „Referatstreffen“ Wir können uns schon um halb 5 treffen. Geht das eh dir auch?Nachricht #1 - 26.04.2011 - 12:55:00

JA PERFEKT. PASST SOGAR NOCH BESSER. BIS DANNNachricht #2 - 26.04.2011 - 13:09:00

Die SMS aus dem Verabredungskorpus umfasst zwei Züge. In Nachricht 1 schlägt Schreiberin A einen Alternativtermin zu der offenbar zuvor getroffe-nen Verabredung vor, in dem sie eine konkrete Uhrzeit zur Disposition stellt. Die Nachricht beginnt ohne Begrüßung und endet auch ohne Verab-schiedung. Sie besteht nur aus der Kernsequenz, welche die Information „Wir können uns schon um halb 5 treffen“ beinhaltet. Die Schreiberinnen

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verfügen über einen gemeinsamen Kontext, auf den sie sich ohne weitere Klärungen beziehen können. Im Anschluss daran erfragt Schreiberin A mit-tels einer Verberstfrage, ob der Vorschlag für die Adressatin B akzeptabel sei und fordert somit eine Informationsrückmeldung ein. Sprecherin B ant-wortet in Nachricht 2 durch die positive Rückmeldung, in der sie das Adjek-tiv „PERFEKT“ und einen weiteren Satz als Ausdruck einer positiven Bestä-tigung „PASST SOGAR NOCH BESSER“ hinzufügt. Es folgt die Beendigung des Gesprächs mit der Routineformel „BIS DANN“. Das gemeinsame Vor-wissen der Schreiberinnen setzt voraus, dass sie schon vor dem Schreiben der vorliegenden SMS-Konversation in Kontakt miteinander waren. Wann und auf welche Weise die Ausgangssituation bezüglich des Treffens, in der schon Ort und Uhrzeit vereinbart worden sind, zustande gekommen ist, und in welchem Abstand dazu das vorliegende SMS-Gespräch steht, ist nicht bekannt. Fest steht, dass die Schreiberin A sowohl auf eine Begrü-ßung als auch auf eine Fokussierung verzichten konnte, ohne der Adressa-tin vor den Kopf zu stoßen und die soziale Beziehung damit zu gefährden.

4.2 Erste Auswertung zu Frageformaten

Für die Untersuchung der Frageformate wurden zunächst alle Frageformate in den 22 Verabredungs-Dialogen per SMS vergleichend untersucht und mit Blick auf ihre jeweilige Funktion sowie ihre sequenzielle Verortung ausge-wertet. Dabei wurden auch ihre grammatischen Auffälligkeiten, die die konzeptionell mündliche Schriftlichkeit verdeutlichen, in den Vergleich einbezogen. Insgesamt fällt auf, dass Fragen in dem Untersuchungskorpus eher selten wohlformuliert und grammatisch vollständig sind; es kommt häufig zu el-liptischen Formen. Diese Ellipsen treten unabhängig von der Sequenz auf vielfältige Art und Weise auf. In den Nachrichten unserer Kleingruppe waren vor allem folgende Reduktionsphänomene bei Fragesätzen auffällig: i) Sprecher/Hörer-Ellipsen: „bist [du] schon in münster?“ (#220-Nach-

richt 6) ii) Objekt- und Ereignis-Ellipsen: „Geht [es] auch um 14.30 uhr?“

(#1613-Nachricht 8)

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iii) Wegfall von Determinanten: „Hey, wie sieht das bei dir mit [dem] tref-

fen am donnerstag aus?“ (#132-Nachricht 1) iv) Wegfall von Verben und Subjekten gleichzeitig: „Hin und zurück?“

(#1342-Nachricht 15) v) Verschmelzung von Verben und Personalpronomen: „was machste

[machst du] denn immer für sachen!?“ (#135-Nachricht 2) vi) Verschmelzung von Präposition und Artikeln: „Weißt du schon dei-

nen ungefähren plan fürde [für die] Woche?“ (#1913-Nachricht 1) vii) Verschmelzung von Verb und expletitivem Pronomen es: „Wie siehts

[sieht es] aus?“ (#114-Nachricht 1) viii) Ein-Wort-Fragen: „echt?“ (#561-Nachricht 4) Diese Fragen werden

häufig für Vergewisserungs- und Bestätigungsfragen gebraucht. Diese Vorliebe für Ellipsen kann zum einen aus sprachökonomischen Gründen bestehen (vgl. Döring 2002b); sie kann zum anderen aber auch Zeichen eines sprach-ästhetischen Codes zwischen den Schreiberinnen sein. In Anlehnung an das Ökonomieprinzip ist auf sprachlicher Ebene eine Vielzahl elliptischer Fragesätze kennzeichnend für die konzeptionelle Mündlichkeit der SMS-Konversationen. Da es in Verabredungs-SMS hauptsächlich um die Koordinierung von Orts- und Zeitangaben geht, kommen die beschriebenen Frageformate vornehm-lich in der Fokussierungs- und Kernsequenz vor. Verberstfragesätze und w-Fragesätze werden in unserem SMS-Korpus gleichermaßen in der Fokussie-rungssequenz verwendet. In der Kernsequenz jedoch ist die Wahl des Fra-geformats abhängig vom jeweiligen Verabredungsstand: Wenn eine Verab-redung vorher thematisiert wurde, überwiegen w-Fragesätze. Wurde die Verabredung vorher nicht erwähnt, überwiegen tendenziell Verberstfrage-sätze. Einen besonderen Fall stellen die Sätze mit Verbzweitstellung dar, da sie als Deklarativsatz nur durch das Fragezeichen auch als Fragesatz markiert werden können. Diese ambige Funktion finden wir zweimal vor: „Ich hoffe dir gehts gut?!“ (#1338) und „Ich hoffe, es macht dir nicht zu viele umstän-de?“ (#657). Dabei kann einem Aussagesatz auch das Wort oder ange-hängt werden, um ihm Fragecharakter zu verleihen (wie in „Von mir aus

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auch, aber treffen uns trotzdem vorher bei dir oder?“ (#1513); vgl. Hage-mann 2009). Anders als in der gesprochenen Sprache fällt hier die Proso-die als weitere Markierungsebene für Fragen weg.

4.3 Die sequenzielle Entwicklung eines SMS-Verabredungs-Dialogs

Durch das Absenden eines Verabredungstextes wird ein dialogischer Kon-takt mit den Adressaten hergestellt. Das Versenden einer Verabredungsan-frage per SMS macht eine Antwort der angeschriebenen Person konditio-nell relevant. Dies geschieht häufig durch Akzeptanz oder Ablehnung der Verabredung. Die folgenden SMS-Analysen verdeutlichen exemplarisch beide Möglichkeiten der Rückmeldung.

44.3.1 Akzeptanz

Dialog #656 – „Feiermäuse“ Hallo ihr beiden Feiermäuse :-) Steht das Kaffeangebot morgen noch? Habe ab 15:00 Zeit. Drück euch ganz fest :-)[Name]Nachricht #1 - 09.04.2011 - 16:47:45

Hallo Süße,ich war den ganzen Tag unterwegs,desw.antworte ich erst jetzt.15Uhr klingt super,am [Ort]?Freue mich:-)Nachricht #2 - 09.04.2011 - 20:33:55

Kein Problem :-)Ja, 15:00Uhr vorm [Ort]. Und dann schlecken wir ein lecker Eis und quatschen ne Runde :-) Dir einen schönen Abend! :-*Nachricht #3 - 09.04.2011 - 20:39:23

Der SMS-Dialog #656 stellt eine Verabredungssequenz zum Kaffeetrinken zwischen drei Personen dar, die aus drei Zügen besteht. Die Schreiberin A begrüßt in der Präsequenz ihrer Nachricht zwei Personen mit der Routine-formel „Hallo“ und dem Kosenamen „Feiermäuse“, was darauf hinweist,

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dass es sich um eine Mehrfachadressierung handelt. In der vorliegenden SMS findet das Turn-Taking jedoch nur zwischen zwei Schreiberinnen statt. Ob sich eine dritte Person im weiteren Verlauf des Gesprächs, welcher nicht im SMS-Korpus enthalten ist, äußert, ist nicht bekannt. Auf den Verberstfragesatz mit der Funktion der Vergewisserung „Steht das Kaffeangebot morgen noch?“ erwartet Schreiberin A eine Antwort seitens der Befragten. Eine Einladung zum Kaffeetrinken hat demnach bereits stattgefunden, sodass in der vorliegenden SMS lediglich Ort und Uhrzeit vereinbart werden (vgl. Abschnitt 4.2). Damit sich ein erfolgreicher Dialog entwickeln kann, muss Schreiberin B bezüglich der Absprache, die vor der zu analysierenden SMS stattgefunden haben muss, in Kenntnis sein. Alle Beteiligten verfügen über die gleiche Wissensbasis: Schreiberin A hat Ver-mutungen über das Hintergrundwissen ihrer SMS-Partnerin und setzt ihr Wissen als gemeinsam voraus (vgl. Günthner 2011: 28f.). Die Vergewisse-rung nach der Einladung soll die Überleitung zum eigentlichen Anlass des Schreibens darstellen: So stellt Schreiberin A in der Kernsequenz die Uhr-zeit, zu der sie erscheinen kann, zur Disposition und verabschiedet sich mit den Worten „Drück euch ganz fest“ und ihrem Namen. Der zweite Dialogzug beginnt in der Präsequenz ebenfalls mit dem Gruß „Hallo“ und dem Kosenamen „Süße“. Im Anschluss daran gibt Schreiberin B eine Erklärung für das längere Ausbleiben der Antwort. Schreiberin B ak-zeptiert die vorgeschlagene Uhrzeit mittels der positiven Rückmeldung „15 Uhr klingt super“, und signalisiert damit, dass sie die Frage formal und in-haltlich richtig verstanden hat und die Schreiberinnen somit über dasselbe Kontextwissen verfügen. Sie beendet den Satz mit einer elliptischen Frage nach dem Treffpunkt „am [Ort]?“. Syntaktisch ist an dieser Stelle zwar nicht klar, ob es sich um einen Deklarativ- oder Interrogativsatz handelt, doch das abschließende Fragezeichen markiert den Interrogativsatz.3 Schreiberin B verwendet eine elliptische Entscheidungsfrage, weil sie we-der eine Information einfordern noch ein Defizit ausgleichen möchte, son-

3 „Wird einem Ausdruck die Handlungscharakteristik der Frage zugeordnet, wird damit eine Frage wiedergegeben oder handelt es sich um eine rhetorische Frage, so steht immer [ … ] am Schluß ein Fragezeichen <?>.” (Zifonun et al. 1997: 285)

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dern nur ein „Ja“ als Antwort. In Anlehnung an das Ökonomieprinzip findet ein effektiver Austausch mit möglichst wenig Zeichen statt. Bewusst formu-liert Schreiberin B keinen korrekten Satz wie zum Beispiel „Treffen wir uns am [Ort]?“, da sie auch schon mit geringstmöglichem Aufwand ihr Ziel er-reicht. Anschließend fügt sie hinzu, dass sie sich freue und unterstreicht dies mittels eines lachenden Smileys in der Schlusssequenz. In Nachricht 3 kommentiert Schreiberin A kurz die zuvor geäußerte Erklä-rung „Kein Problem :-)“ und stimmt dann dem Treffpunkt und der Uhrzeit mit der wiederholenden Nennung beider Informationen zu. Sie macht noch eine Bemerkung zu dem bevorstehenden Treffen und beendet die Nach-richt mit dem Wunsch „Dir einen schönen Abend! :-*“, wobei der abschlie-ßende Kuss-Smiley für ein nahestehendes Verhältnis der Schreiberinnen spricht. Allgemein lässt sich über diesen SMS-Dialog sagen, dass die Schreiberinnen schon vorher über einen gemeinsamen Kontext verfügen, was in der Nachricht 1 zu erkennen ist, da die Schreiberin A sich nach dem Status der Verabredung in Form einer Verberstfrage erkundigt. Sowohl das Nachfragen als auch die Rückmeldungen erfolgen in Begleitung von positi-ven Emotionen wie „Freu mich“ und Emoticons, welche die Vorfreude auf das Treffen weckt und zeigt, dass hier von allen Schreiberinnen eine Bezie-hungsarbeit geleistet wird. Die Besonderheit des folgenden Verabredungs-Dialogs besteht darin, dass es sich bei der in zwei Sequenzen erfolgender Geburtstagseinladung um eine Nachricht handelt, die ohne Frageformate realisiert wird.

Dialog #271 – „Geburtstag“ Hey, ich feiere diesen Samstag, 07.05., in meinen Geburtstag rein. Würde mich freuen, wenn du auch kommst.Nach dem Anstoßen geht´s dann weiter in´s Heaven feiern. LG Danni

Nachricht #1 - 02.05.2011 - 13:11:24

Hi Danni! Danke für die Einladung. Ich komme natürlich! :-) War übrigens die alte Handynr. LG EgoriaNachricht #2 - 04.05.2011 - 10:46:46

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Nach einer kurzen Begrüßung „Hey“ folgt eine Fokussierungssequenz, die die Information enthält, dass die Schreiberin A in ihren Geburtstag hinein-feiern möchte. Mithilfe des Konjunktivs im folgenden Konditionalsatz drückt sie in der Kernsequenz den Wunsch aus, dass Schreiberin B dieser Einladung nachkommen möge. Zusätzlich erwähnt sie ihr Vorhaben, an-schließend in einer Diskothek feiern gehen zu wollen und verabschiedet sich mit dem SMS-typischen Akronym „LG“ sowie ihrem Vornamen. Es handelt sich hierbei um die einzige Verabredung-SMS aus dem gesamten Korpus, die keinen Fragesatz enthält. Obwohl Schreiberin A ihre Einladung ausschließlich in Deklarativsätzen formuliert, bleibt die Antworterwartung der Adressatin nicht aus. Schreiberin B beginnt mit einer exklamativen Be-grüßung, die durch das Ausrufezeichen unterstrichen wird, und bestätigt darauf die Einladung dankend. Abschließend referiert sie in einer Ne-bensequenz auf ein zuvor thematisiertes Wissen beider Schreiberinnen und schließt ebenfalls mit dem Routine-Akronym „LG“ und ihrem Namen. Es zeigt sich, dass Einladungs-SMS stark dem bei Fandrych/Thurmair (2011: 312f.) beschriebenen Format folgen und daher eine spezifische Un-tergattung von Verabredungs-SMS bilden.

44.3.2 Ablehnung Dialog #1338 – „Kaffeetrinken“ Hey Marie, wie siehts aus bei dir? Gut ins semester gefunden? Hast du lust dich diese wo auf nen kaffee zu treffen. das fänd ich schön:) liebe grüße:-*Nachricht #1 - 11.10.2011 - 09:16:00

Hey Mia, diese Woche ist leider schon verplant, aber lass uns doch für die nächste was überlegen, vielleicht am Do.?Ich hoffe dir gehts gut?! Allerliebst, MarieNachricht #2 - 12.11.2011 - 13:25:00

Der Dialog #1338 besteht aus zwei Nachrichten und stellt eine Verabre-dung zum Kaffeetrinken dar. Die Präsequenz der ersten Nachricht beinhal-

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tet die Begrüßung „Hey Marie“, gefolgt von einer Fokussierungssequenz mit der w-Frage „wie siehts aus bei dir?“ und der elliptischen Entschei-dungsfrage „Gut ins semester gefunden?“ Die Kernsequenz wird durch die darauf folgende Verberstfrage „hast du lust dich diese wo auf nen kaffee zu treffen.“ eingeleitet. Sie fügt noch hinzu, dass sie ein Treffen schön finden würde, und beendet die Nachricht mit der Routineformel „liebe Grüße“ und einem Kusssmiley. Auch die Schreiberin B leitet ihre Nachricht durch die Begrüßung „Hey“ und den Namen der Schreiberin A ein. Daraufhin folgt ei-ne negative Rückmeldung in Bezug auf das Treffen in der besagten Woche. Das Wort „leider“ markiert an dieser Stelle einen Bruch mit den Erwartun-gen. Sie stellt jedoch noch im gleichen Satz in Form der Gegenfrage „viel-leicht am Do.?“ einen anderen Termin zur Disposition, die eine Rückmel-dung der Schreiberin A einfordert, wodurch Schreiberin B markiert, dass sie wirklich Interesse an einem Treffen hat. Sie erkundigt sich daraufhin mit der indirekten Frage „Ich hoffe dir geht’s gut“ nach dem Befinden der Schreiberin A und versucht somit die Konversation aufrecht zu erhalten. Schließlich beendet Schreiberin B die Nachricht 2 mit der Verabschie-dungsformel „Allerliebst“ und ihrem Namen.

44.3.3 Fazit Die dargestellten Verabredungstexte weisen typische Merkmale bezüglich einer bestätigenden als auch einer ablehnenden Antwort der Adressatin-nen auf. Die Akzeptanz einer Verabredung wird mittels expressiver Ausdrü-cke vermittelt. Hierfür werden emphatische Adjektive wie „klasse“ (#829) und Ausrufe wie „natürlich!“ (#271) zur Verstärkung verwendet. Zusätzlich bekräftigen die Schreiberinnen durch die Routineformel „Freue mich“ (#656) ihre sozialen Beziehungen. Lachende oder lächelnde Emoticons ver-leihen der erfreulichen Aussicht auf ein bevorstehendes Treffen Nachdruck. Eine ablehnende Rückmeldung erfolgt, nach einer Begrüßung, meist einge-leitet mit Ausdrücken wie „leider“, gefolgt von einer Erklärung für den Grund der Absage. So erzeugt das Adverb „leider“ (#1338) ein starkes Be-dauern für die Ablehnung sowie der gebräuchliche Anglizismus „sorry“ (#561). Daraufhin wird in der Regel nach einer Alternative gesucht, indem ein neuer Termin in Form einer Gegenfrage wie „wie wärs mit halb 3?“ (#561) oder des Imperativsatzes „aber lass uns doch für die nächste was

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überlegen“ (#1338) zur Disposition gestellt wird. Die Schreiberinnen be-mühen sich meist, einen Alternativtermin zu finden, um zu zeigen, dass sie durchaus Interesse an der Verabredung haben. Deshalb verfassen sie ihre Nachricht in einem markiert freundlichen Ton. Die indirekte Frage nach dem persönlichen Ergehen „Ich hoffe es geht dir gut“ (#1338) und die Intensi-vierung „allerliebst“ (#1338) in der Schlusssequenz können als Beispiele hierfür angeführt werden. Sobald es keine Aussicht auf eine Lösung gibt, kann es zur wiederholenden Entschuldigung „sorry“ (#561) der Schreiberin kommen, die bemüht ist, der Adressartin erneut mittels eines Alternativ-termins entgegenzukommen. Ein solcher Verlauf führt dementsprechend oft zu einer Verkettung von Fragen (Fragen und Gegenfragen). Die Adressa-tin hat die Möglichkeit, entweder mit Verständnis – „Kein thema :-)“ (#561) – oder mit Missmut zu reagieren, indem sie der Dringlichkeit der Verabre-dung Nachdruck verleiht: „aber müssen das ja irgendwann mal machen“ (#132). Somit sind sowohl akzeptierende als auch ablehnende Rückmeldungen bezüglich einer Verabredung von Emotionen gefärbt, die eine wichtige Rol-le für das soziale Miteinander spielen: sei es das Äußern von Freude oder Bedauern, generell das Interesse an der Gesprächspartnerin und deren Wertschätzung oder die Motivation, die Gefühle der Adressatin nicht verlet-zen zu wollen.

5. Diskussion

Die Untersuchung der SMS-Gattung Verabredung bezüglich des Fragever-haltens miteinander bekannter Studierender hat gezeigt, dass die vorzu-findenden Fragesätze meist nicht grammatikalisch vollständig und „wohl-formuliert“ sind. Zahlreiche sprachliche Reduktionsphänomene markieren die untersuchten Nachrichten als konzeptionell mündlich. Die Auswertung des Datenmaterials hat zudem ergeben, dass Verberstfragen vornehmlich dann eingesetzt werden, wenn eine Verabredung im Vorfeld nicht erwähnt wird, wohingegen verstärkt w-Fragen zu verzeichnen sind, wenn die Verab-redung vorher thematisiert wird. Der Verberstfragesatz dient also der schnellen Entscheidungsfindung bei einer Verabredung und zielt auf ein klares Ja oder Nein ab, womit eine zügige Terminvereinbarung realisiert

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wird. Mithilfe der w-Fragen bzw. der Ergänzungsfragen werden weitere De-tails geklärt. Ein selteneres Phänomen ist die Frage in Form eines Verb-zweitsatzes innerhalb dieser Kleingruppe. Im Hinblick auf den internen Aufbau einer Verabredungs-SMS gibt es ein verfestigtes Muster von Begrüßung über Einleitung zur Kernsequenz und der abschließenden Beendigung der Nachricht. Ansonsten ist der Kommu-nikationsstil eher als informell zu bezeichnen. Dieses Muster wird dann meist aufgebrochen, wenn die SchreiberInnen zeitnah vor der Verabredung bereits in Kontakt standen. Dies geschieht überwiegend durch den Verzicht der Begrüßungs- oder der Abschiedssequenz. Hinsichtlich der beiden Reaktionsmöglichkeiten auf einen Verabredungs-vorschlag – Akzeptanz oder Ablehnung – lassen sich in den analysierten SMS-Dialogen typische sprachliche Merkmale aufweisen, die die Wichtig-keit von Emotionen für Verabredungen unterstreichen. Die Freude bei Ak-zeptanz wird durch lächelnde Emoticons, positive Adjektive, Exklamativ-sätze oder die konkrete Äußerung „Ich freue mich“ realisiert. Bei Absagen folgt meist eine Verkettung von Fragen und Gegenfragen mit der Intention einen Alternativtermin zu finden. Die missglückte Verabredung stellt in dem Zusammenhang keine Gefährdung für die Beziehung der Schreiberin-nen dar, wenn beide Interesse und Mühe bezüglich einer Lösungsfindung gezeigt haben. Im gegenteiligen Fall kann die gesamte Situation als ver-stimmt eingeschätzt werden. Im Hinblick auf die soziale Ebene leisten Ver-abredungs-SMS also immer auch Beziehungsarbeit. Insgesamt zeigt sich also, dass Fragesätze in den untersuchten Verabredungs-SMS an verschie-denen sequenziellen Positionen unterschiedlichen Zwecken dienen: i) Fragen nach Befinden (häufig formelhafte Ergänzungsfragen zu Be-

ginn einer Verabredungs-SMS); ii) Abfrage der Bereitschaft zu einem Treffen (tendenziell mit Entschei-

dungsfragen); iii) Klärung von Ort und Zeit des Treffens (tendenziell Ergänzungsfragen,

wenn Verabredung vorher bereits Thema war) iv) Frage nach Alternativterminen (vor allem bei der Ablehnungen der

Verabredung).

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78 Sarah Kim/Christine Wall/Kristina Wardenga

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0. Eine qualitative Betrachtung der multimedialen Möglichkeiten“ KKatja Arens

1. Einleitung

Viele kommunikative Handlungen im Alltag finden mithilfe interpersonaler Medien und den daraus entstehenden Kommunikationsformen1 wie E-Mail, Facebook, SMS und WhatsApp statt: 75% der Handybesitzer gehen nicht mehr ohne Handy aus dem Haus und die Mediatisierung des Alltags ist ein geflügelter Begriff geworden (vgl. Otto-Group 2012:3; Krotz 2001). Mit der Fortentwicklung des Handys zum Smartphone geht eine Funktionsfülle ähn-lich eines Computers einher, die auch die Kommunikationsgewohnheiten verändert. Nach der Allensbacher Computer- und Technikanalyse besaßen 2013 bereits 47 % der Handybesitzer ein Smartphone – 2010 waren es noch 8 % (vgl. de Sombre 2013), bei den Jugendlichen ist die Zahl mit 72% noch höher2 (vgl. JIM 2013:51). Auch WhatsApp hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Siegeszug zu verzeichnen. Die Gründer Jan Koum und Brian Acton gründeten das Startup WhatsApp.Inc. im Jahr 2009 und machten Mitte 2013 mit der Meldung Schlagzeilen, weltweit 300 Millionen Nutzer zu haben, die pro Tag 11 Milli-arden Nachrichten verschicken. Anfang 2014 kaufte Facebook den Mess-enger für 19 Milliarden Dollar (Stuflesser 2014). Die App steht im Google Play Store auf Platz eins der kostenlosen Apps und ist in Deutschland auf 91 % aller Smartphones installiert. 70 % der im Zuge der JIM-Studie von 2013 befragten Jugendlichen geben an, WhatsApp zu nutzen (Google Play Store 2014; Funk 2013, JIM Studie 2013:53f.).

1 Zur Unterscheidung von Medien und Kommunikationsformen siehe Dürscheid 2005. 2 Allerdings fanden die Erhebungen im Zeitraum vom 7. Mai bis zum 7. Juli 2013 statt

(vgl. JIM 2013:4). Bei der rasanten Entwicklung ist anzunehmen, dass sich diese Da-ten innerhalb eines Jahres bereits wieder nach oben verändert haben.

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In der Geschichte der Kommunikationsformen ist WhatsApp eine bemer-kenswerte Novität3: WhatsApp vereint die Mobilität der SMS und die quasi synchrone Kommunikation wie im Chat/Instant Messaging in einem Gerät und bietet zusätzlich eine Fülle kostenloser Kommunikationsmöglichkeiten von Einzel- und Gruppenunterhaltungen bis zum Versand von Fotos, Vi-deos, Links und Audiodateien (vgl. whatsapp.com). Diese neuen multime-dialen Möglichkeiten werden genutzt: So sollen Gründer Koum zufolge von dem Nutzern täglich 325 Millionen Fotos verschickt werden. Wie auch Kessler (2008: 25) für Instant Messaging feststellt, besteht eine Besonderheit der textbasierten Netzkommunikation im Einsatz neuer Sprach- und Kommunikationsmittel, um „die Expressivität dieser phati-schen Elemente in der medialen Schriftlichkeit zu steigern“ (Kessler 2008: 25). In diesem Beitrag sollen daher anhand verschiedener Beispiele die Bandbreite der Nutzungsmöglichkeiten dieser multimedialen Kommunika-tion betrachtet werden. Anhand der gesprächsanalytischen Untersu-chungsmethode werden multimediale Inhalte beinhaltende Dialogsequen-zen aus dem vorliegenden WhatsApp-Korpus exemplarisch herangezogen und untersucht, in welcher Form die multimedialen Elemente vorkommen und welchen Inhalt und Funktion sie haben. Ziel ist also keine quantitative, sondern eine qualitative, exemplarische Darstellung der multimedialen Kommunikation per WhatsApp. Nach einem Überblick über den Forschungsstand werden zunächst Korpus und Methodik erläutert, um daraufhin in die „Kommunikation 2.0“ einzu-führen. Darauf aufbauend werden im Folgenden WhatsApp-typische, mul-timediale Kommunikationsmöglichkeiten wie Piktogramme, Fotos und Vi-deos, Audios und Hyperlinks anhand einiger Beispiele sowie zum Ab-schluss weitere Forschungsmöglichkeiten dargestellt.

2. Forschungsstand

Ebenso wie im Web 2.0 verändert sich die mobile Kommunikation durch die technischen Neuerungen und Konzepte, die die quasi synchrone Kom-

3 Auf eine Bestimmung der Kommunikationsform nach den viel zitierten Kriterien von Holly (1996:11; 1997: 68; Dürscheid 2005) wird verzichtet. Auch ein Vergleich mit SMS und Chat/Instant Messaging wäre interessant.

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 83

munikation zwischen Kommunikationspartnern unterstützen (vgl. Schmidt 2009: 25; Jers 2012; Trappel 2007). Androutsopoulos (2010: 421; 426) fasst die beiden wesentlichen Merkmale des Web 2.0 mit Partizipation der Nutzer sowie umfassenden Infrastrukturen zusammen und merkt an, dass nicht nur die Frage nach den technischen Möglichkeiten gestellt werden darf, sondern zugleich, wie in diesem Rahmen dann wirklich gehandelt wird. Wie auch im Zusammenhang mit Computern kann bei Smartphones von multimedialer Kommunikation4 gesprochen werden, die den Medienalltag und kommunikative Gewohnheiten stark beeinflusst5. Die Technik des Smartphones ermöglicht die Integration einer Vielzahl unterschiedlicher Medien bzw. medialer Systeme vom Foto über Spiele bis hin zu Büchern (vgl. Schirmer/Schwarz 2011). Die Kommunikation wird, wie im Web 2.0, interaktiver, vielschichtiger und anschaulicher (vgl. Schmidt 2009). In der Fachliteratur herrschen dabei unterschiedliche Sichtweisen und De-finitionen zu Multimedialität6 (vgl. auch Kuhn 2009: 60f.). So sind nach Viererbe (2010: 34) „Multikodalität und Multimodalität […] zwei existentiel-le Merkmale der multimedialen Inhalte“, da bei der Verwendung verschie-dener technischer Träger bzw. verschiedener Medien auch unterschiedliche

4 Hess-Lüttich (2001: 18f.) sieht multimediale Kommunikation als den Klammerbegriff für die Herausforderungen der Medienwissenschaft, da sie eine Vielzahl von Phäno-menen der Mediakommunikation wie Multimedia oder neue Kommunikationsformen umfasst. Siehe auch Schmitz (2004: 84f.) und Trappel (2007: 38).

5 „Die Möglichkeit der Darstellung komplexer Informationen in der Vielfalt ihrer Mani-festationsformen in sprachlichem Text, in stehendem oder bewegtem Bild, in Gra-phik, Farbe und Schattierungen, in Stimme, Ton, Geräusch und musikalischer Se-quenz, als Bitmuster auf digitalen Speicherplatten erlaubt erstmals die Integration al-ler herkömmlichen Informationsträger zu einem interaktiven multimedialen System, das den medienökologischen Wandel unserer Gesellschaft nachhaltig beeinflussen und beschleunigen wird“ (Hess-Lüttich 2001: 19).

6 Werner/Becker (1997: 87) unterscheiden drei Gruppen von Definitionen, die sich je nach Ursprung an technischen Aspekten, an Inhalten und Anwendungen oder an ge-sellschaftlichen und sozialen Aspekten orientieren. Interessant ist durchaus auch die Klassifikation von Kuhn (2009: 61-71), der zwischen „Multimedialität erster Ordnung im Sinne der Integration verschiedener Medien“ und „Multimedialität zweiter Ord-nung als Integration unterschiedlicher Kommunikationskanäle“ (Kuhn 2009: 61) un-terscheidet.

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Kodierungsformen wie verbale oder piktorale Zeichensysteme entstehen, die unterschiedliche Sinnesmodalitäten ansprechen (ebd.). Weidenmann (1997: 67) hingegen vertritt ein stärker medienbezogenes Verständnis von Multimedialität, in dem für ihn Inhalte dann multimedial sind, wenn sie auf unterschiedlichen Speicher- bzw. Präsentationsmedien verteilt sind, aber zusammen verwendet und dargestellt werden. Die Sicht von Hess-Lüttich (1991: 192) ist eher zeichentheoretisch geprägt, indem Multimedialität durch die beteiligten technischen Kanäle, unterschiedliche Sinnesmodalitäten, semiotische Modi und systemische Codes bedingt ist. Auch Dölling (2001: 37) nennt als Merkmale der Multimedialität mehrere technische Medien, unterschiedliche Sinnesmodalitäten und verschiedene Kodierungsformen. Demnach kann WhatsApp nach Hess-Lüttich (2001: 13) als „poly coded sign system“ bezeichnet werden: durch die Verwendung diverser „kommu-nikative[r] Kanäle“ (Kuhn 2009: 68) unterschiedlicher technischer Zeichen-träger wie Schriftzeichen oder Audios/Tönen kommen unterschiedliche Ko-dierungsformen zustande, die in der Produktion und Rezeption verschiede-ne Sinne des Menschen ansprechen, z.B. den visuellen Sinn und Hörsinn (vgl. Viererbe 2010: 34; Dölling 2001: 36f.; Kuhn 2009: 67). Das geschrie-bene Wort in WhatsApp-Nachrichten tritt in Beziehung zu weiteren Mittei-lungsformen wie Piktogrammen oder Fotos und ein multimedialer Text ent-steht. „Bei einem multimedialen Text sind verbale und nonverbale Zeichen als sich gegenseitig determinierende Teile an der Konstitution des Gesamt-textes beteiligt“ (Viererbe 2010:35). Während Chat-, SMS- und E-Mail-Kommunikation linguistisch ausführlich untersucht wurden, u.a. Runkehl/Schlobinski/Siever (1998), Haase u.a. (1997), Schlobinski et al. (2001), sind explizite Untersuchungen zu multi-medialer Nutzung von Smartphones eher kommunikationstheoretisch wie im Rahmen der JIM-Studie und Allensbacher Computer- und Technik-Analyse erhoben worden. So wurden die Unterschiede in der Kommunikati-on durch die bei Smartphones (im Gegensatz zur SMS) veränderten Produk-tionsbedingungen und -situation u.a. durch die vollwertige Tastatur erst bei Dürscheid/Frick (2014: 164f.) und (Schnitzer 2012) betrachtet. Diese bei-den Publikationen sind zugleich die ersten und einzigen, die sich aus lingu-

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istischer Sicht mit der neuen Kommunikationsform WhatsApp beschäfti-gen.7 So gibt Schnitzer (2012) in ihrer Dissertation zu linguistischen Aspek-ten der Kommunikation in den neuen elektronischen Medien einen Exkurs zu Whats-App, allerdings oberflächlich und weder auf die sprachlichen Be-sonderheiten, noch auf die multimedialen Aspekte genauer eingehend (vgl. Schnitzer 2012: 196-204). Die erste Arbeit, die SMS und WhatsApp verglei-chend betrachtet und die technischen Eigenschaften dieser neuen Kom-munikationsform und die daraus resultierenden Kommunikationspraktiken behandelt, ist der Aufsatz von Dürscheid/Frick (2014). Sie stellen die Ent-wicklung und Funktionsweise von WhatsApp sowie charakteristische Merkmale der Kommunikation anhand der Aspekte Nachrichtenlänge, In-teraktivität, Sparschreibungen, Bildlichkeit und Gruppenkommunikation detailliert und im Vergleich zur SMS dar. Während sie den unbegrenzten Versand von Bild-, Video und Audiodateien zwar nennen und auf die Ver-wendung von Piktogrammen und auf das Versenden von Fotos näher ein-gehen (Dürscheid/Frick 2014: 166f.; 173ff.), fehlt jedoch eine genauere Betrachtung der Eigenschaften und Folgen der weiteren multimedialen Möglichkeiten im Kommunikationskontext.

3. Korpus und Methodik

Zur Betrachtung multimedialer Inhalte liegt dieser Arbeit ein Korpus von 6.633 Nachrichten aus zehn privaten Unterhaltungen zu Grunde. Die Nutzer der untersuchten Dialoge sind zwischen 18 und 30 Jahre alt, miteinander befreundet und haben sich mit der Nutzung ihrer Nachrichten für diese Ar-beit einverstanden erklärt. Eine Unterscheidung nach Altersgruppen, Ge-schlecht und Bildungsstand wird nicht getroffen, da dies den Rahmen die-ser Arbeit sprengen würde und dafür andererseits nicht genügend aussa-gekräftig auszuwertende Nachrichten für jede einzelne Gruppe vorliegen. Um die einzelnen Dialogsequenzen zu untersuchen bietet sich die Konver-sationsanalyse an. Dabei können grundlegende Konzepte übernommen werden, auch wenn berücksichtigt werden muss, dass die auf mündliche Interaktion ausgerichtete Konversationsanalyse nicht eins zu eins auf die

7 Dazu siehe auch Dürscheid/Frick (2014:150).

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schriftlich basierte WhatsApp-Kommunikation übertragen werden kann8. Die aus den 1960/1970er Jahren stammende Gesprächsanalyse macht sich zur zentralen Aufgabe,

die Bedingungen und Regeln systematisch zu erforschen, die die „natürli-che“ Gesprächskommunikation, d.h. dialogisches sprachliches Handeln in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (Alltag, Institutionen, Medien usw.) bestimmen. (Brinker/Sager 2010: 19)

Bergmann (2001: 919) merkt zudem an, dass „ihre Perspektive […] keines-wegs auf sprachliche Interaktion beschränkt [ist], vielmehr hat sie sich sehr früh auch mimisch-gestischen, kinesischen und proxemischen Aspekten der Interaktion gewidmet.“ Nach diesem erweiterten Untersuchungsgegen-stand scheint eine konversationsanalytische Betrachtung von WhatsApp-Dialogen geeignet9. Um eine Gesprächspraktik zu beschreiben, muss dem-nach dargestellt werden, wie Gesprächsteilnehmer handeln und welche Funktion dieses Handeln hat (vgl. Deppermann 2008: 79f.). Für die Analyse von multimedialer Kommunikation ergibt sich daraus, dass dargestellt wird, wie sie verwendet wird und welche Funktion sie in dem konkreten Fall hat. Aus dem zur Verfügung stehenden Material werden daher einige exem-plarisch ausgewählte multimediale Inhalte gesprächsanalytisch betrachtet, um einen Einblick in das Spektrum zu ermöglichen.10

4. Kommunikation 2.0

Unter Kommunikation 2.0 wird die vielschichtige und interaktive Kommuni-kation verstanden, die in Kapitel 2 ausführlich dargestellt wurde. Im Fol-

8 Dazu siehe auch Günthner (2011: 5f.), die die Konversationsanalyse zur Untersu-chung von Dialogizität in der SMS-Kommunikation verwendet.

9 Dazu siehe auch Stukenbrock (2013: 252) und auch Dausendschön-Gay (o.J.: 2f.), der die Perspektive der Konversationsanalyse als Ausgangspunkt für die Betrachtung von multimedialer und multimodaler Kommunikation in der Interaktion nimmt, eben-so Beißwenger (2009) zur Betrachtung multimodaler Chat-Kommunikation.

10 Die Deutung erfolgt unter Zuhilfenahme von Alltags- und Allgemeinwissen. Auch Dre-scher (2003: 8f.) stellt fest, dass reflektierende Subjektivität unerlässlich ist und Bergmann (2001) weist auf die Problematik zwischen Äußerung und Äußerungskon-text hin. Durch das Prinzip des „Recipient Design“ (Bergmann 2001: 921f.) schnei-den die Interagierenden ihre Mitteilungen spezifisch auf den Gesprächspartner und das (gemeinsame) Vorwissen zu. Daher wurden in zu einigen Beispielen (s.u.) die Verfasser der Dialoge zu Hintergrund und Kontext befragt.

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 87

genden werden nun einige Dialogsequenzen vorgestellt, die mit Pikto-grammen, Fotos und Videos sowie Audios und Hyperlinks als multimedial bezeichnet werden können. Dabei wird auf die Definition von Dölling (2001: 37) zurückgegriffen, allerdings in einer reduzierten Form. Um der Funktionsweise von WhatsApp und den technischen Eigenschaften des Smartphones gerecht zu werden, sind für eine Bestimmung eines Inhalts als multimedial nicht alle drei Merkmale (unterschiedliche Medien, Kodie-rungsformen und Sinnesmodalitäten, siehe Kapitel 2) notwendig, sondern mindestens eines.

4.1 Piktogramme

Als Piktogramme werden Zeichen, bzw. Bilder, bezeichnet, die kein typi-sches (meist gelbes und rundes) Smiley-Gesicht, sondern von Verkehrsmit-teln über Blumen und Tiere bis zu Schreibmaterialen beinahe alle erdenkli-chen Dinge darstellen. WhatsApp stellt dazu zurzeit 808 Piktogramme11 zur Verfügung, die in unterschiedliche Kategorien unterteilt sind. Die Verwen-dung der Piktogramme erinnert sehr an Emoticons,12 da sie „in genialer Ein-fachheit Befindlichkeiten und Stimmungslagen ausdrücken“ (Ortner 2002: 219). Dabei beziehen sie sich allerdings nicht immer auf den Sprecher selbst, sondern bilden als ikonische Zeichen Dinge ab13. Piktogramme bleiben, ganz im Gegensatz zu Emoticons, in der SMS- und Chat-Literatur zum größten Teil unberücksichtigt. Auch Schnitzer (2012: 203) vernachläs-sigt diese Gestaltungsmöglichkeit, in dem sie von persönlichen Erfahrun-

11 Stand vom 12.05.2014, exklusive der Emoticons. 12 Auf ein Kapitel zu Emoticons ist verzichtet worden, da sie, im Gegensatz zu Pikto-

grammen, in der Literatur bereits ausführlich betrachtet wurden (z.B. Schlobinski 2003: 191; Schlobinski et al. 2001: 11; Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 97). Zwar wä-re eine Betrachtung durch die Vielzahl an bereitgestellten Emoticons (58, Stand April 2014) und die Darstellung als (meist) gelbe Gesichter mit unterschiedlichsten Ge-sichtsausdrücken durchaus interessant, die Vernachlässigung ist jedoch auch dem begrenzten Umfang geschuldet.

13 Nach der semiotischen Unterscheidung von Peirce (1906) gibt es Symbolzeichen (Texte), ikonische Zeichen (Bildzeichen und realistische Bilder) und Indexzeichen („Anzeichen“). Während Texte als Symbolzeichen eine arbiträre Struktur besitzen und mit dem Bezeichneten durch eine Konvention verknüpft sind, sind Bildzeichen mit dem Bezeichneten durch Ähnlichkeit, bzw. gemeinsame Strukturmerkmale ver-bunden (vgl. Schnotz 1997: 87; Burger/Luginbühl 2005: 394ff.).

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88 Katja Arens

gen ausgeht: „Würde man beispielsweise die WhatsApp-Nachrichten der Autorin analysieren, würden sich keinerlei Unterschiede zu deren SMS-Verhalten zeigen, außer das ein oder andere Bild.“ Dürscheid/Frick (2014: 166, 173f.) hingegen betrachten an Beispielen den Gebrauch von Pikto-grammen ausführlich, verweisen jedoch auf noch ausstehende empirische Untersuchungen zur Verwendung und Funktion von Piktogrammen in der WhatsApp-Kommunikation hin. Beispiele aus dem Korpus zeigen einige Verwendungsmöglichkeiten des „piktorale[n] Schreiben[s]“ (Dürscheid/Frick 2014: 173) auf.

Beispiel 1

Herrlicher Sonnenschein im emsland

4. Jun., 11:00 - Anna14

Hier auch 4. Jun., 11:21 - Jan

Anna unterstützt ihre Aussage, dass die Sonne scheint, mit einem die Son-ne abbildenden Piktogramm, welches sich somit auf den Text und das Substantiv „Sonnenschein“ bezieht15. Jan antwortet darauf mit der Bemer-kung „hier auch“ und unterstützt dies mit dem „Daumen hoch“- Pikto-gramm, einer „redebegleitende(n) Geste“ (Cahlmann/Thiel 2002: 6), als Zeichen seiner Zustimmung und Freude über das gute Wetter.16 Hier liegen also zwei unterschiedliche Bezugsmöglichkeiten von Piktogrammen vor: Während die Sonne primär als Abbild eines Gegenstandes dient, schwingt durch den die Gestik ersetzenden Daumen eine positive Bemerkung mit.

14 Alle Namen sind sinnerhaltend geändert worden. 15 Piktogramme können ein Substantiv auch ersetzen, dazu siehe Dürscheid/Frick

(2014: 174). 16 Stöckl (2004: 101) fasst dies unter den Begriff der Kulturalität, da für die Verwen-

dung von symbolischen Bildzeichen die Konventionen der Kommunikationsgemein-schaften relevant sind – So ist das „Daumen hoch“-Zeichen ein Symbol für Zustim-mung.

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 89

Beispiel 2

Frohe Weihnachten alle zusammen

24.12.2013, 17:00 - Lena

Felii..iiz navidad!

24.12.2013, 17:04 - Tim

Frohe Weihnachten

24.12.2013, 17:54 - Lara N

Auch in diesem Beispiel dienen die Piktogramme zur Veranschaulichung und bildlicher Gestaltung des geschriebenen Textes. Die Symbole Weih-nachtsbaum, Geschenk, Musik, das Herz für das Fest der Liebe und der Weihnachtsmann sind mit dem Weihnachtsfest assoziierte Gegenstände. Die Schreibenden aus diesem Gruppenchat wünschen sich nicht nur Frohe Weihnachten, die Aussagen werden durch die Verbildlichung einprägsamer und wirken persönlicher als die Standardformel „Frohe Weihnachten“. Im Beitrag von Tim wird die unterstützende Funktion noch deutlicher. Die Buchstabeniteration und die Auslassungspunkte im Gruß „Felii..iiz na-vidad!“ machen bereits die im Vergleich zum Face-to-face Gespräch feh-lende Phonologie deutlich und können als „emulierte Prosodie“ (Haase et al. 1997: 67) bezeichnet werden. Sie deuten die Tonfolge des bekannten spanischen Liedes an, was durch den angehängten Notenschlüssel ver-stärkt wird. Im Gegensatz zu den vorherigen Beispielen ersetzen die Piktogramme in der folgenden Sequenz den Text:

Beispiel 3

Willst du den Stand wissen?

2. Jun., 21:57 - Anna

Na?2. Jun., 22:09 - Jan

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90 Katja Arens

Du verpasst nichts2. Jun., 22:10 - Anna

2. Jun., 22:13 - Jan

Der Gesprächsauszug handelt von einem Fußballspiel, das Jan nicht sehen kann. Auf die Frage hin, ob er den Stand wissen möchte, reagiert Jan mit der auffordernden Frage „Na?“, woraufhin Anna antwortet und Jan darauf-hin mit Piktogrammen reagiert. Die Affen sind angelehnt an die drei Affen „nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ und ersetzen als Äquivalente unmissverständlich den Text „Ich möchte nichts hören, sag nichts“ auf die Information hin, dass die USA 4:1 führen. Die Kombination aus Text und Piktogramm ist also das Zusammenspiel aus zwei unterschiedlichen Zeichensystemen, Schrift- und Bildzeichen. Dabei sind sie vielseitig einsetzbar: einerseits werden sie, den Smileys ähnlich, als evaluierende Stilmittel wie durch den nach oben zeigenden Daumen verwendet und sagen somit etwas über die Innerlichkeit bzw. die Einstel-lung des Sprechers aus. Andererseits können sie sich auch als ikonische Repräsentationen auf Dinge beziehen: Während in Beispiel (1) der Bezug zwischen Sonnenschein und dem Symbol Sonne noch sehr direkt ist, ver-bildlichen die Piktogramme in Beispiel (2) eher Konnotationen zum Thema Weihnachten und schreiben dem Begriff/dem Fest bestimmte Eigenschaf-ten (Weihnachtsbaum, Herz usw.) zu.17 In allen Fällen erweitern sie das Ge-schriebene um eine bildhafte Komponente.18

17 Auch Stöckl (2004: 282) stellt dies bei ´image icons` fest: „Die symbolischen Bedeu-tungen beziehen sich meist vage auf universelle Konzepte und betonen statt der De-tonationen die Konnotationen des Dargestellten.“

18 Dölling (2001: 40) merkt an, dass sich ein Code nicht ohne Informationsverlust in der Kommunikation in einen anderen Code übertragen lässt. „Auch bei relativ gut unter-suchten Zeichensystemen (natürliche Sprachen und Bilder) sind Codesubstitutionen keinesfalls ein einfach zu lösendes Problem“ (ebd.). Dies wurde bei der Betrachtung der Beispiele nicht so empfunden. Natürlich können die Möglichkeiten der Sprache nicht durch eine begrenzte Anzahl von Piktogrammen ersetzt werden, allerdings er-weitern und veranschaulichen Piktogramme den Text eher, als dass durch sie Infor-mationen verloren gehen.

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 91

4.2 Foto und Video

In den Massenmedien und neuen digitalen Medien „gehen Sprachlichkeit und Bildlichkeit neuartige Konstellationen ein“ (Schmitz 2004: 112). Wie bereits im vorigen Kapitel gesehen, erlaubt WhatsApp, Bilder19 und Sprachzeichen auf einer Plattform ohne große Aufwände zu produzieren und kann als Träger vielfältiger Botschaften genutzt werden (vgl. Schmitz 2004: 112). Auch Borstnar/Pabst/Wulff (2002: 85) stellen fest, dass „das Visuelle […] in unserer Kultur ein entscheidender Modus der Kommunikati-on“ ist und „Bilder erzählen, unterhalten, […] animieren, und sie vermögen dies in einer äußerst effizienten, schnellen und anschaulichen Weise“ (ebd.). Daher soll anhand von einigen Beispielen betrachtet werden, wie Bilder in WhatsApp-Gesprächen verwendet werden.

Beispiel 4

1. Jun., 19:26 - Anna

Hundeblick in Perfektion1. Jun., 19:26 - Anna:

Kuschel mich, ich bin ein verzauberter Hund^^1. Jun., 19:28 - Jan

Das von Anna versendete Foto zeigt einen kleinen Hund und sie ergänzt es durch die folgende Bemerkung „Hundeblick in Perfektion“. Jan geht darauf ein und deutet das Foto, indem er mit dem Kommentar „Kuschel mich, ich bin ein verzauberter Hund^^“ auf das Märchen des verzauberten Prinzen anspielt. Deutlich wird in diesem Beispiel die „Momentaufnahme“ (Androu-

19 Im Folgenden werden unter Bilder sowohl Fotos als auch bewegte Bilder in Form von Videos gefasst. Zu der Frage, was ein Bild ist sowie zu linguistischen Ansätzen siehe z.B. Müller (2003).

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92 Katja Arens

tsopoulos/Schmidt 2001: 13): das Foto stellt das dar, was Anna gerade tut bzw. sieht und dies teilt er ihrem Kommunikationspartner mit.20 Das Foto dient als „virtueller Ersatz für die nicht vorhandene Situation“ (Schmitz 1997: 138). Damit überwindet sie die räumliche Distanz und ermöglicht, dass Jan, wenn auch nur sehr ausschnitthaft, dasselbe sieht wie sie.21 Das Foto ist ein „textillustrierendes Bild“ (Burger/Luginbühl 2005: 407), wobei als Metapher die wörtliche und übertragende Bedeutungsebene aufgeteilt wird: das Bild zeigt die Situation, der Text dazu erklärt es erst (vgl. ebd.: 413).22 Für die Wirkung beim Empfänger macht es einen großen Unter-schied, ob Daten verbal kommuniziert, graphisch dargestellt oder ob sie sowohl verbal als auch graphisch übermittelt werden, wie in diesem Fall (vgl. Dölling 2001: 39). Das Foto bringt Jan die Situation erst plastisch vor Augen, wie es eine rein verbale Beschreibung nicht gekonnt hätte.23 Ähnlich wie bei den Fotos sind auch verschickte Videos sehr ausdrucks-stark und ermöglichen den Kommunikationspartnern, bestimmte Inhalte zu teilen. Beispiel 5

18. Mai, 15:24 - Anna

20 Dies wird dadurch unterstützt, dass nicht nur Fotos aus dem internen Fotoordner ver-schickt werden können, sondern WhatsApp auch in jedem „Gesprächsfenster“ oben rechts die Möglichkeit bietet, Fotos WhatsApp-intern aufzunehmen und direkt zu ver-schicken.

21 „Ein Bild ist ein Ort der Repräsentation; d.h. ein Bild vergegenwärtigt durch die Mittel der visuellen Darstellung ein an sich abwesendes Phänomen“ (Borstnar/Pabst/Wulff 2002: 86) und „Aufgrund ihrer ikonischen Zeicheneigenschaften zielt die prinzipielle Intentionalität von Bildern auf das Präsentieren, Darstellen und Zeigen von senso-risch wahrnehmbaren Objekteigenschaften sowie die räumliche Verortung von Ge-genständen“ (Stöckl 2004: 98).

22 An dieser Stelle bietet sich z.B. eine differenzierte Analyse der Text-Bild Relation nach Burger/Luginbühl (2005: 400ff.) und Stöckl (2004) an, aus Platzgründen wird hier darauf verzichtet.

23 Auch Hartmann (2008: 26) bemerkt, dass Bilder im Vergleich zum Text konkreter be-züglich der Gegenstandsähnlichkeit sind.

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 93

18. Mai, 15:30 - Nina

Sind die süüüß. das war ein schöner sonntagsAusflug!!18. Mai, 15:33 - Nina

Das von Anna verschickte Video zeigt zwei Hunde beim Ballspielen im Wald. Nina antwortet mit einem lachenden Smiley. Der zweite Beitrag macht deutlich, dass die beiden einen Wissensvorrat teilen, indem sich Nina auf einen gemeinsamen Sonntagsausflug beruft und das Gesehene kommentiert. Im Unterschied zu dem obigen Beispiel des verschickten Fo-tos kommt diesem Video noch eine weitere Dimension hinzu: Bewegte Bil-der und Ton, die die beiden Hunde in Aktion und somit viel lebendiger dar-stellen als ein eindimensionales Foto. Stöckl beschreibt, dass „grundle-gende Funktionalitäten von Bildern […] in der Auslösung von wirklichkeits-nahen emotionalen Reaktionen“ (Stöckl 2004: 98) bestehen und dieses liegt auch bei den bewegten Bildern im Video vor. Das Teilen des Videos führt dazu, dass der Kommunikationspartner die Situation nachfühlen kann. Deutlich macht dies vor allem die Antwort Ninas, das angedeutete Lachen, das Wertadjektiv mit Iteration „süüüß“ sowie das duplizierte Aus-rufezeichen, das die reine Aussage expressiv gestaltet. Ähnliches geschieht auch in dem folgenden Beispiel. Dort ist jedoch das Video nicht privaten Ursprungs, sondern ein „Kult-Video“, das neben Un-terhaltung auch einen sozialen Aspekt des Dazugehörens hat: Beispiel 6

05.12.2013, 16:59 - Tim

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94 Katja Arens

05.12.2013, 16:59 - Tim

Kenn ich! Gutes Ding :-D05.12.2013, 17:00 - Lara

Tiere sind einfach super!05.12.2013, 17:01 - Tim

05.12.2013, 17:01 - Lena

Wie schauts aus? Was sagt das le feu?

05.12.2013, 17:01 - Tim

Steve!05.12.2013, 17:03 - Alex

05.12.2013, 17:03 - Alex

Alan Alan05.12.2013, 17:04 - Tim

05.12.2013, 17:04 - Tim

In diesem Beispiel postet Tim das recht bekannte Video der sprechenden Tiere24 in die gemeinsame Gruppe, kommentiert es mit dem lachenden Emoticon und löst damit Folgereaktionen aus, die – wie an den Uhrzeiten ersichtlich – schnell aufeinander folgen und damit einen Unterhaltungs-charakter haben. So kommentiert Lara das Video, es sei ihr bekannt und gut. Lena reagiert lediglich mit lachenden Smileys und stellt so nonverbal

24 https://www.youtube.com/watch?v=HT1GJe7ll5c

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 95

ihre Haltung dar, während Tobi darauffolgend „Steve!“ aus dem Video zi-tiert, kommentiert und Tim dies mit dem Zitat „Alan Alan!“ übernimmt und ebenfalls nonverbal kommentiert. Interessant ist in diesem Fall die Dyna-mik, die das Video auslöst: Tim wechselt nach den ersten Reaktionen das Thema und fragt, wie es beim „le feu“ aussieht.25 Dies wird von den ande-ren jedoch (zunächst) ignoriert und Alex steigt neu in die Tier-Thematik ein, woraufhin Tim sich dem wieder anschließt. Die dargestellten Beispiele zeigen einen Ausschnitt an Ausdrucksmöglich-keiten, die erst durch die Integration von Fotos bzw. Videos in den Schrift- und Gesprächskontext ermöglicht werden. Während die Kombination aus Foto und Text durch unterschiedliche Kodierungsformen (Bild- und Schrift-zeichen) und Medien geprägt ist, werden bei Videos zudem durch die zu-sätzliche Ansprache des Hörsinns unterschiedliche Sinnesmodalitäten ak-tiviert. Bilder und Text stehen dabei in den gezeigten Dialogen in einer Wechselwirkung, indem die Bilder einerseits den Text visualisieren, ande-rerseits der auf das Bild folgende Text in Form von Antworten dieses kom-mentiert. Die Beliebtheit des Versenden von Bildern lässt sich damit erklä-ren, dass diese kognitive Vorgänge ermöglichen, „die Sprache nicht oder nicht in vergleichbar effizienter Weise in Gang bringen kann und uns über diese bildspezifischen mentalen Aktivitäten Zugänge zur Welt verschafft“ (Stöckl 2004: 99, siehe auch Kuhn 2009: 70).

4.3 Audio und Hyperlinks

Ähnlich wie die Foto- und Videoaufnahme funktioniert auch das Versenden von Audiodateien. Einerseits können Dateien aus dem internen Speicher das Smartphones verschickt werden, andererseits ermöglicht das „Push-to-talk“, gesprochene Nachrichten innerhalb eines Gespräches aufzunehmen und der Empfänger erhält den Text als Sprachdatei26. Eine Audiodatei ent-hält das Zeichensystem Töne und ergänzt sich zusammen mit Schriftzei-chen zu multimodaler Kommunikation, da sie unterschiedliche Sinne des

25 Die „Nicht-Lineare“-Kommunikation kommt in WhatsApp-Dialogen durchaus häufig vor. Dürscheid/Frick (2014: 170f.) behandeln dies unter dem Punkt der Interaktivität, auch in ihrem Beispiel folgen nicht alle Beiträge thematisch geordnet aufeinander.

26 „In speziellen Formen der vernetzten Medien ersetzt Sprachein- und Sprachausgabe die Schriftsprache durch gesprochene Sprache“ (Kuhn 2009: 71).

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96 Katja Arens

Rezipienten, den visuellen und den Hörsinn, ansprechen. So sind nach Hartmann (2008: 29) Töne wichtige Elemente multimedialer Kommunikati-on. Im Beispiel (7) stellt die versendete Audiodatei zugleich eine Moment-aufnahme dar:

Beispiel 7 AUD-20130418-WA0001.amr

18. Apr., 16:33 - Anna

18. Apr., 18:00 - Nina

Anna schickt Nina eine Audiodatei, die eine Sprachaufnahme aus dem Ra-dio beinhaltet und mit Hilfe der „Push-to-talk“-Funktion aufgenommen wurde.27 In einer Reportage wird über die zentralen Abiturklausuren in Ma-thematik und die Demonstrationen der Schüler berichtet. Neben der Infor-mationsfunktion vermittelt das Versenden zugleich die momentanen Aktivi-täten Radio Hören, bei der Reportage an Nina denken und sie über das Ge-hörte informieren wollen. Durch die Sprachaufnahme wird dabei das Ge-hörte authentisch vermittelt, zudem ist das Aufnehmen einer Sprachdatei unkomplizierter als die getippte Paraphrasierung in Textform. Nachfragen haben ergeben, dass Nina gerade ihre Abiturprüfung beendet und sich im Vorfeld gegen Mathematik als Abiturfach entschieden hatte. Sie reagiert mit bildhaften Äußerungen: die Sprechblase mit den drei Punkten fungiert als ikonisch-bildhafte Darstellung von Pausenzeichen, also als Leerstelle für Schweigen oder als Paraphrasierung „Ich hab es geahnt“ o.ä., und er-gänzt dies durch den lachenden Smiley. Somit drückt sie ihre Zufriedenheit darüber aus, selbst keine Mathematikklausur geschrieben zu haben. Ähnlich wie die Sprachnachricht, die auf etwas extern Gelagertes (hier ei-nen Radio-Beitrag) verweist, bieten auch Hyperlinks die Möglichkeit, unter-schiedliche Informationen und Inhalte an verschiedenen Orten miteinander

27 Im Chat selbst wird ein Kasten mit einem Mikrofon und dem Feld „Abspielen“ ange-zeigt.

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„WhatsApp: Kommunikation 2.0“ 97

zu verknüpfen und durch einen Klick zugänglich zu machen28 (vgl. Schmitz 2004: 87). Grundsätzlich lassen sich drei Merkmale von Hypertexten29 festmachen: Sie sind nicht-linear organisiert, ermöglichen die Mehrfachco-dierung von Daten in verschiedenen Symbolsystemen und Übermittlung auf verschiedene Sinneskanäle und sind computerverwaltete Texte (vgl. Storrer 2000: 227). Hypertexte lassen somit neue, multimediale Darstellungswei-sen mit neuen semiotischen Möglichkeiten zu: der Hypertext öffnet „der Schrift einen Raum hinter der Fläche“ (ebd.: 88), der Text wird zu „multi-mediale[n] bewegliche[n] Zeichengebilde[n]“ (ebd.). Der Leser/Empfänger kann nun mit dem Text interagieren, die „Rezeption von Hypertexten hat einen spezifisch aktiven Charakter“30 (Burger/Luginbühl 2005: 428). In den folgenden Beispielen werden Hyperlinks dazu genutzt, den Kommunikati-onspartner auf etwas hinzuweisen bzw. Informationen zu vermitteln.31

Beispiel 8 http://m.spiegel.de/unispiegel/studium/a-903785.html5. Jun., 15:20 - Jan

Darum die Wartezeit5. Jun. 15:20 - Jan

Juchu, weiterlesen.5. Jun.,15:21 - Jan

28 „Mit Hyperlinks […] werden das statische Erscheinungsbild von Papiermedien und der zeitlineare Ablauf audiovisueller Kommunikationsformen aufgelöst zugunsten ei-ner flexiblen Oberfläche, die ad hoc tomographische Schnitte durch ein potentiell unendlich großes Universum visueller und audiovisueller Botschaften legt“ (Schmitz 2004: 88).

29 Ein Hypertext ist ein nicht-linear organisierter Text mit einer Textfunktion. Die einzel-nen Module bzw. Ebenen in einem Hypertext sind durch Verweise, den Hyperlinks, miteinander verbunden (vgl. Storrer 1999: 35; 38).

30 Zur interaktiven Funktion von Hypertexten siehe auch Dölling (2001: 45) und Storrer (2000: 234).

31 Das Kopieren und Einfügen von Textabschnitten, Links usw. funktioniert bei Smart-phones so unkompliziert wie bei PC´s, sodass diese Möglichkeit wenig Aufwand er-fordert und schnell und einfach zu bedienen ist.

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[leer]5. Jun., 15:45 - Anna

Wollen die mich verarschen??5. Jun.,15:45 - Anna

Jan verschickt einen Link, der auf einen Artikel aus dem „Spiegel“ verweist und darüber informiert, dass tausende studentischer Hilfskräfte in NRW wegen einer Softwarepanne beim Landesamt für Besoldung keine Gehälter bekommen. Der zweite Beitrag „Darum die Wartezeit“ hat dadurch einen erklärenden Charakter und bezieht sich auf Vorwissen – auch Anna ist als Hilfskraft angestellt.32 Der Link hat somit eine informative Funktion und löst mit den ungläubigen, reduplizierten Smileys und dem Kommentar „Wollen die mich verarschen??“ von Anna eine Reaktion aus. Beispiel 9 Motto für Deine Schwester? 30. Mai., 21:45 - Jan

http://smsvongesternnacht.de/sms12550030. Mai., 21:45 - Jan

Das würde mich doch sehr wundern 30. Mai., 21:45 - Anna

Wie in Beispiel (8) verweist auch dieser Hyperlink wie in Nachricht 1 von Beispiel (9) auf gemeinsames Wissen. Jan fragt „Motto für deine Schwes-ter?“ und schickt einen Link von „SMS von gestern Nacht“ hinterher.33 Nachfragen haben ergeben, dass die Schwester momentan auf einer Abi-turfahrt in Spanien ist. Im Gegensatz zum Beispiel (8) hat das Verschicken

32 „Das Vorwissen und die Handlungsziele der Kommunikationsbeteiligten spielen eine zentrale Rolle für die Kohärenzplanung und -bildung“ (Storrer 1999: 42).

33 Der Link verweist auf folgenden Wortwechsel per SMS: „Hey, wie ist es auf Mallorca? Schon am Strand gewesen und braun geworden? :-)“ – „:-D geht, war immer nur kurz draußen und auf dem Weg zum Strand bin ich immer netten Jungs begegnet.. Hab bis jetzt aber schon viele Hotelzimmer getestet! :-P“ – „ Eins zu null für den Sex Touris-mus :-D“.

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des Links weniger einen informativen Charakter als spielerisches Unterhal-ten über eine dritte Person, was auch die Verwendung der lachenden Smileys impliziert. Zudem stellt der Link, ähnlich wie bei den Fotos, eine Momentaufnahme dar und „fördert den raschen Gedanken- und Meinungs-austausch“ (Storrer 2000: 238). Als weitere Funktion bietet WhatsApp an, den per GPS ermittelten Standort an eine Person zu schicken.34 Zwar wird im Chat selbst eine Miniaturkarte und das Feld „Anzeigen“ und kein Link dargestellt, die Funktionsweise bzw. technischen Eigenschaften sind jedoch sehr ähnlich, da der Nutzer (wahlweise) auf die Google Maps-App oder einen Browser zur Anzeige ver-wiesen wird.

Beispiel 10 Standort:https://maps.google.com/?q=52.276689,7.43542617. Februar, 11:0117. Februar, 10:59 - Alex

Bin gleich da17. Februar, 11:01 - Lena

Alex versendet hier über die WhatsApp-eigene Funktion seinen Standort an Lena. Beim Klick auf den Link erscheint (über Internet oder Google maps) eine Stadtkarte und markiert Alex´ Standort an einem Bahnhof. Lena ant-wortet darauf, dass sie gleich da wäre. Hintergrund ist, dass Lena Alex vom Zug abholen sollte und sich verspätet hatte. Somit kommt dem versende-ten Standort einerseits eine Informationsfunktion zu, dass und wo genau Alex bereits am Bahnhof steht, andererseits hat es daneben auch eine Ausdrucksfunktion, da Alex durch das Versenden unter Umständen seine Ungeduld über das Warten ausdrückt. Während versendete Audionachrichten, ebenso wie Videos, die Kriterien der unterschiedlichen Medien, Sinnesmodalitäten (Hörsinn) und Kodie-rungsformen (Töne) erfüllen, beschränkt sich dies bei Hyperlinks und Standorten in diesen Beispielen auf zwei verschiedene Medien: Smartpho-

34 Siehe auch Dürscheid/Frick (2014: 166).

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ne und Internet, bzw. zwei unterschiedliche Apps.35 Die Multimedialität von Hypertexten stellen auch Burger/Luginbühl (2005: 428) und Storrer (2000: 28) fest, die Kommunikation in unterschiedlichen Kanälen durch unter-schiedliche Symbolsysteme ermöglichen.36 In der WhatsApp-Kommunika-tion fördern sie die Interaktivät der Kommunikationspartner und machen eine Unterhaltung vielschichtiger und lebendiger.

5. Fazit und Ausblick

WhatsApp ist eine Kommunikationsform, die aufgrund mehrerer Eigen-schaften äußerst populär geworden ist. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf die Unterschiede zur SMS – das unkomplizierte Integrieren multi-medialer Inhalten in eine Unterhaltung. So erweitern Piktogramme einer-seits den schriftlichen Text um eine anschauliche bildhafte Komponente und stehen meist in Beziehung zum Referenzsubjekt. Zudem lassen sie Rückschlüsse auf die Befindlichkeit des Schreibers zu, da ihnen oft eine wertende, expressive Komponente zukommt. Bilder, Fotos und Videos, bringen ebenfalls eine bildhafte Dimension. Im Vergleich zu Piktogrammen kommt ihnen eine noch stärkere Bedeutung im Unterhaltungskontext zu: Sie bilden Gegenstände realitätsgetreu ab, wohingegen Piktogramme Sym-bole und Ikone sind. Die versendeten Fotos und Videos werden von den Nutzern kommentiert und lösen damit bestimmte Emotionen, Reaktionen und gruppendynamische Prozesse aus. Ähnlich funktionieren Audios und Hyperlinks, die auf andere Zeichensysteme verweisen und somit verschie-dene semiotische Zeichensysteme miteinander verknüpfen. Das Versenden

35 Hyperlinks können jedoch auch durchaus auf andere Kodierungsformen wie z.B. Mu-sik durch YouTube-Links o.ä. verweisen. So kann auch das Verschicken von Kon-taktendaten aufgrund seiner Funktionsweise als multimedial bezeichnen werden, kam jedoch im untersuchten Korpus nicht vor.

36 „Die im gedruckten Medium dominante Schrift lässt sich nicht nur um Bilder und Gra-fiken anreichern, sondern auch um Ton- und Videodokumente“ (Storrer 2000: 28). Aufgrund dieser Definition kann auch WhatsApp-Kommunikation als ein Hypertext-system gesehen werden, da all diese Möglichkeiten genutzt werden können. Dass Hypertexte nicht allein auf Homepages usw. beschränkt sein müssen, zeigt Bucher (1999), der Online-Zeitungen als Hypertexte darstellt. Eine ähnliche Entwicklung liegt auch bei WhatsApp vor, da die – von den MMS abgesehen – textbasierte SMS zu ei-ner neuen Kommunikationsform mit neuen multimedialen Möglichkeiten wurde.

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von Standorten bedient sich der GPS-Funktion der Smartphones und lässt so den anderen Gesprächspartner an seinem aktuellen Standort teilhaben. In den Beispielen wurde somit deutlich, dass die multimedialen Möglich-keiten eine starke emotionale bzw. expressive Funktion haben, die durch-aus als Hauptverwendungskontext bezeichnet werden kann. All diesen Möglichkeiten ist zudem gemein, dass sie die schriftliche Text-basis mit weiteren Elementen wie Bildern, Tönen und verweisenden Links verknüpften. Festzuhalten ist dabei, dass es unterschiedliche „Grade“ von Multimedialität gibt: Während Hyperlinks lediglich auf andere Medien bzw. Apps verweisen, machen Piktogramme und Fotos in Kombination mit Text unterschiedliche Medien (Text und Bild) und Kodierungsformen (Schrift- und Bildzeichen) aus. Besonders komplex ist die Integration von Videos und Audios, da diese mit verschiedenen Medien, Sinnesmodalitäten und Kodierungsformen alle drei Kriterien der Multimedialität erfüllen. In den betrachteten Beispielen wird deutlich, dass dadurch die Kommuni-kation nicht nur anschaulicher, lebendiger und interaktiver wird. Das Teilen von Inhalten mit anderen Kommunikationspartnern schafft eine Art Ge-meinschaftsgefühl und Partizipation an den Aktivitäten des Anderen und überwindet somit die räumliche Distanz. Die stetige Verbreitung der mobilen Kommunikation bringt neue Kommuni-kationsformen wie WhatsApp hervor, das durch seine Präsenz und Domi-nanz durchaus kein flüchtiges Phänomen ist. Dürscheid/Frick (2014) mach-ten in der bisher kaum vorhandenen Forschung zu WhatsApp mit dem Ver-gleich von SMS und WhatsApp-Kommunikation einen großen Schritt nach vorn und es bieten sich weitere Forschungsmöglichkeiten an. Weiterhin möglich sind Untersuchungen der Kommunikationsform, Text-Bild-Relation, der dialogischen Kommunikation sowie lexikalische Betrachtungen. Auch bieten sich gender- und altersspezifische Untersuchungen zum Gebrauch multimedialer Inhalte an, ebenso Unterscheidungen, die auf die techni-schen Eigenschaften von WhatsApp zurückzuführen sind: Gibt es Unter-schiede zwischen Eins-zu-eins-Unterhaltungen und Gruppenchats, z.B. im Inhalt und der Kommentierung? Der vorliegende Beitrag hat versucht, an-hand von exemplarischen Beispielen das Spektrum und die Verwendung

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der multimedialen Funktionen aufzuzeigen – offen bleiben diverse, genau-er zu betrachtende Aspekte der Whats-App-Kommunikation.

Literatur

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„Komparative Analyse von Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS-Nachrichten“ WWiebke Quader

1. Einleitung

Die Handy-Kommunikation hilft uns bei der Organisation unseres Alltags und bietet außerdem die Möglichkeit, auch über weite Entfernungen hin-weg in Kontakt zu treten. Als besonders vielseitige Kommunikationsform wird hierbei die SMS unter anderem dafür verwendet, Vorwürfe zu äußern. Wie aber gehen SMS-Schreiber1 vor, um Vorwürfe in ihren Nachrichten zu produzieren und zu kontextualisieren, und wie gehen deutsche Schreiber im Gegensatz zu chinesischen Schreibern mit dieser kommunikativen Auf-gabe um? Inwiefern wirkt sich die Kommunikationsform SMS-Nachricht auf die Realisierung von Vorwürfen aus, und ist es möglich, die für gesproche-ne Sprache herausgestellten Kriterien für die Konstruktion von Vorwürfen auf SMS-Kommunikation anzuwenden? Dies sind die Fragen, mit denen ich mich im Folgenden beschäftigen möchte. Da es sich bei meiner Arbeit um eine rein qualitative Analyse handelt, möchte ich hierbei versuchen, erste Thesen zur Konstitution und Realisierung von Vorwürfen in deutscher und chinesischer SMS-Kommunikation aufzustellen. In meiner Arbeit werde ich anhand von Beispielen aus zwei Korpora unter-suchen, wie sich Vorwurfshandlungen in deutschen und chinesischen SMS-Nachrichten niederschlagen. Die für die Analyse zur Verfügung ste-henden SMS-Dialoge sind den Korpora der SMS-Datenbank am Centrum Sprache und Interaktion der Universität Münster sowie der XISU-Universität in Xi’an2 entnommen, welche in der Arbeit von Günthner/Kriese (2012) aus-

1 Obwohl die SMS-Nachrichten meiner Untersuchung größtenteils von Frauen an Frau-en verschickt wurden und die Zahl der Schreiberinnen die der Schreiber in beiden Datenbanken deutlich übersteigt, bediene ich mich im Folgenden des generischen Maskulinums in allen Zusammenhängen, wenn sowohl männliche als auch weibliche Agierende gemeint sind.

2 Details über das Projekt sind nachzulesen über http://audiolabor.uni-muenster.de /cesi/?page_id=7. Beide Korpora bestehen aus Dialogen, die größtenteils unter Stu-

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108 Wiebke Quader

führlich beschrieben werden. Zur Analyse dienen mir angepasste Metho-den der Gesprächsanalyse, die nach einer einleitenden Vorstellung von sprachlichen Merkmalen der SMS-Nachrichten und Kriterien für die Produk-tion von Vorwürfen auf die Daten angewendet werden sollen.3

2. Konzepte von Vorwurf und Vorwurfsproduktion

Ein Vorwurf wird laut Gruber (1996: 196f.) als wertende Sprechhandlung eingeordnet, die initiierenden Charakter hat (d.h. die einen neuen themati-schen Aspekt in das Gespräch einbringt) und grundsätzlich aus einem dar-stellenden und einem wertenden Teil besteht, wobei nicht beide realisiert werden müssen. Apeltauer (1977: 144f.) beschreibt den Vorwurf als Sprechhandlung, die eine Bewertungs- und Aufforderungskomponente aufweist: Durch eine Handlung (des Vorwurfsrezipienten), die eine Norm (oder die Präferenzen des Vorwurfsproduzenten) verletzt, wird ein Vorwurf entweder 1. durch eine Bewertung der Situation oder Handlung, 2. durch die Identifikation des Vorwurfsrezipienten als Schuldigen oder 3. mit der Forderung nach einer Wiedergutmachung formuliert. Gruber (1996: 197) unterscheidet außerdem zwischen direkt und indirekt realisierten Vorwürfen: Während direkte Vorwürfe seiner sowohl einen dar-stellenden als auch einen wertenden Teil enthielten, könne bei indirekten Vorwürfen „[…] der wertende Teil […] fehlen, wenn der Vorwerfende sicher sein kann, daß der Defendent (und etwaige Zuhörer) die Norm, gegen die verstoßen wurde, kennt und der Regelverstoß gravierend genug war, so daß ihn alle erkennen können und eine Sanktion erwarten.“ Diese Darstellung bedeutet, dass Gruber (wie auch Apeltauer) nicht grundsätzlich davon aus-

denten oder mit deren Umfeld geführt wurden und deren Teilnehmer in der Überzahl zwischen 19 und 30 Jahre alt sind. Die deutschen Dialoge sind im Artikel mit ihrer Datenbank-Referenznummer und einem M versehen, wogegen die chinesischen Da-ten eine Kennzeichnung mit X erhalten. Die Datenlage erlaubt keine statistisch reprä-sentativen Aussagen.

3 Für meine Arbeit werde ich die chinesischen Original-SMS mit einer vereinfachten interlinearen Übersetzung versehen, bevor die eigentliche sinngemäße Übersetzung folgt. Die konventionalisierte phonologische Umschrift Hanyu Pinyin dient zusätzlich als Orientierungshilfe und soll im Fließtext statt der chinesischen Schrift stehen. Im Folgenden referiere ich mit dem Begriff „Chinesisch“ und „chinesische Sprache“ auf das auch als Mandarin bezeichnete Hochchinesisch.

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 109

geht, bei einer kritisierten Handlung liege immer ein Verstoß gegen eine allgemein gültige Norm vor. Stattdessen kann ein Verstoß auch grundsätz-lich nur subjektiv (aus Sicht des Vorwurfsproduzenten) vorliegen. Einfach gesagt zähle ich in dieser Arbeit all jene Äußerungen als Vorwurfs-aktivitäten, die sich inhaltlich mit der folgenden Aussage reformulieren lie-ßen: „Ich denke, dass das, was du tust/getan hast, falsch ist“. Dies ent-spricht grundsätzlich auch der Annahme von Günthner (2000), wenn sie bemerkt: „In Vorwürfen wird von seiten der Vorwurfsproduzent/innen – auf der Grundlage bestimmter Normen und Regeln – eine (vergangene oder ge-genwärtige) Handlung (oder Einstellung) des Gegenüber als Fehlhandlung präsentiert.“ (Günthner 2000: 78). Zur Formulierung eines Vorwurfs ist es entsprechend notwendig, das Vorwurfsproduzent und -empfänger über ei-ne geteilte Wertevorstellung verfügen. Der Vorwurfsproduzent in SMS-Nachrichten ist charakterisiert als derjenige Schreibende, der das Handeln seines Gegenübers als „Fehlhandlung oder Regelverletzung“ thematisiert. Der Vorwurfsadressat dagegen ist der „Verantwortliche“ für das themati-sierte Fehlverhalten. Die Anwendung der oben genannten Kriterien für die Produktion von Vor-würfen in Alltagsgesprächen soll im Folgenden auf die Kommunikations-form SMS-Nachricht angewandt werden, wobei festzustellen bleibt, ob eine solche Übertragung möglich ist. Durch den kontrastiven Vergleich zwischen deutschen und chinesischen Daten soll außerdem untersucht werden, ob die Ergebnisse für deutsche SMS-Vorwürfe auch im chinesischen Sprach-raum anwendbar sind. Für meine Untersuchung möchte ich spezifisch jene Vorwürfe aufgreifen, die 1) im Format von Fragen und 2) im Format von Aussagesätzen realisiert sind: Zu 1): Vorwürfe im Format von Fragen: Fragen sind in Vorwurfshandlungen häufig mit „Warum“ oder „Wieso“ gebildet, aber unter anderem auch im Format als Ja-/Nein-Fragen. Mit „Warum/Wieso“4 fordert der Produzent eine Rechtfertigung des Beschuldigten und impliziert, dass die kritisierte Hand-

4 Im Chinesischen sind die Formen „wèishénme“ und das dialektale „wèishá“ sowie das semantisch stärker negativ konnotierte „zenme“ als „wie (kann es sein dass)...“ von mir als äquivalente Formen angenommen.

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110 Wiebke Quader

lung falsch ist und es eine Alternative dazu gegeben hätte (Günthner 2000: 85-93, Apeltauer 1977: 160). Nach Günthner stellt ein Vorwurf in diesem Format die Vernünftigkeit oder Plausibilität der kritisierten Handlung infra-ge, die Bewertung der Handlung wird eventuell durch die Verwendung von negativ konnotierten Lexemen und die Präsentation einer Handlungsalter-native in diesem Sinne verstärkt. Zu 2): Vorwürfe im Format von Aussagesätzen: Zu diesem Format zählen zunächst die Formen von Vorwürfen, die mit einem Modalverb und einer Konstruktion mit dem Indefinitpronomen man wie „Man kann doch nicht...“ gebildet werden. Sie thematisieren, so Günthner, das Nicht-Beachten einer sozialen Regel (Günthner 2000: 96f.). Die Gemeinsamkeiten der Vorwürfe in Aussagesätzen zeigen sich (zumindest in meinen SMS-Daten) allerdings eher auf der lexiko-semantischen Ebene. Kennzeichnende Merkmale sind hier hyperbolische Steigerungen, Extremformulierungen und kategorische Formulierungen (Günthner 2000: 98f.) sowie Formulierungen mit „einfach“, „bloß“, „schon wieder“ und „immer gleich“ (vor allem bei Gegenvorwürfen, vgl. Apeltauer 1977: 159). Durch die (übertriebene) Darstellung des Fehlverhaltens und die Verwen-dung von Begriffen wie „immer“ und „alle“ wird entweder die Frequenz o-der das Ausmaß des Fehlverhaltens betont. So wird einerseits der Vorwurf legitimiert und andererseits die Schwere des Verstoßes zum Ausdruck ge-bracht (Günthner 2000: 97). Evaluative und oder negativ konnotierte Be-grifflichkeiten, sowie „Fluchphrasen“ oder Beleidigungen (Günthner 2000: 103) sowie negativ konnotierte Interjektionen und formelhafte Wendungen (Schwittalla 2001: 1377) sind weitere Merkmale für Vorwurfshandlungen. Auch die Verwendung bestimmter Modalpartikeln ergibt in diesem Zusam-menhang Sinn, da diese, die Sprechereinstellung und damit die (negative) Bewertung thematisierter Regelverstöße indizieren können.5

5 Vor allem in Bezug auf Modalpartikeln und Interjektionen sei anzumerken, dass sie sich im Gegensatz zu Formen wie „immer“, „alles“ oder „nie“ nicht einfach ins Chi-nesische übertragen lassen und somit der Vergleich nicht an jeder Stelle nutzbar gemacht werden kann. Es wäre eventuell möglich, Partikel wie „ma“ dem deut-schen „doch“ gleichzusetzen. Jedoch möchte ich solche Formen hier lediglich der gleichen Wortklasse zuordnen.

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 111

Nachdem die für die gesprochene Sprache relevanten Kriterien hiermit festgestellt sind, sollen nun ausgewählte deutsche und chinesische SMS-Nachrichten daraufhin untersucht werden, ob sie ähnliche Muster auf-weisen.

3. Vorwurfsaktivitäten in SMS-Dialogen

Sowohl im deutschen als auch im chinesischen SMS-Korpus sind Beispiele für Vorwurfsäußerungen in Form einer „Warum“-Frage zu finden. Typisch scheint hier jeweils der Vorwurf zu sein, dass das Gegenüber nicht inner-halb einer angemessenen Zeitspanne6 auf eine SMS antwortet. Beispiels-weise schreibt A in Dialog X-279 ihrem Freund, er solle sich beeilen, zu ei-nem Unterrichtsraum zu kommen. Nachdem dieser etwa zwanzig Minuten lang nicht auf die Nachricht antwortet, schreibt A eine zweite Nachricht, auf die B anschließend mit einer Entschuldigung reagiert: Dialog X-279 #2

!!

Wie nicht beantworten meine SMS [Partikel] du! ziehen [MOD-PART]dich! Wählen Telefon überhaupt nicht abheben!!

„Warum beantwortest du meine SMS nicht! Du Blöder [feststehender Ausdruck]! Du bist nicht ans Handy gegangen!!“ SchreiberIn A

6 Was eine „angemessene Zeit“ zur Beantwortung einer SMS ist, ist offenbar nicht nur von persönlicher Gewohnheit, sondern auch von lokalen oder nationalen Konventio-nen abhängig, wobei chinesische Schreiber tendenziell eine kürzere Reaktionszeit erwarten als Deutsche. Vgl. hierzu Günthner/Kriese (2012: 61f.).

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Die Tatsache, dass es sich bei As Frage um einen Vorwurf handelt, wird durch den expressiven Gebrauch von Ausrufezeichen zur Betonung und negativen Einordnung des Gesagten sowie durch die Fluchphrase „zhu ilen ” ausgedrückt. Zusätzlich drückt die Modalpartikel „a“ Ungeduld aus. Das Adverb „y “ verstärkt vor der Negationspartikel „bù” die Vernei-

nung im Sinne von „überhaupt nicht“. B entschuldigt sich in der folgenden Nachricht formelhaft mit „bù h oyìsi”, das den vorherigen Zug als Vorwurf

behandelt, und er erklärt zur Verstärkung seiner Entschuldigung nicht nur sein Verhalten, sondern erteilt außerdem A als Strafe für seinen Normen-verstoß die Erlaubnis, ihn zu beschimpfen. Die Beendigung des Dialogzugs mit (hier verdoppelten) Auslassungszeichen „…“ ist im Chinesischen mar-kiert7 und wird in den chinesischen wie deutschen Daten gleichermaßen hinter entschuldigenden oder rechtfertigenden Äußerungen sowie in der direkten Umgebung von Vorwürfen gefunden. Als Muster werden sie kon-textuell entweder als „offenes Ende“ eines Vorwurfs oder aber als Teil der Entschuldigung und Signal einer „reuigen Modulation“ verwendet.

7 Generell sind Satzzeichen in chinesischen SMS-Nachrichten weniger wichtig zur Mar-kierung und Strukturierung von Satzteilen, da beispielsweise die Fragepartikel ma oder satzfinale Partikeln wie ba als Signale zur Beendigung eines Satzes ausrei-chen. Der gewöhnlich verwendete Satzendpunkt im Chinesischen ist ein unausgefüll-ter Punkt ( ); die „westlichen“ Auslassungspunkte sind dagegen häufig ähnlich wie Emoticons kreative und sinnstiftende Elemente. Vergleiche hierzu Hauptstock/Kö-nig/Zhu (2010: 22ff.).

ba……

Entschuldigung, gerade einschlafen[PERF-PART]. Alles sein mein [NOM]Fehler, du beschimpfen mich [Partikel] ……

„Es tut mir leid, ich bin gerade eingeschlafen. Das ist alles mein Fehler, beschimpfe mich nur...“ SchreiberIn B

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 113

Dass nicht nur Vorwürfe des Nicht-Antwortens in Frageformaten produziert werden, zeigt das folgende Beispiel: In Dialog M-1492 versuchen zwei Freunde, einen Termin auszuhandeln. Nachdem B nur eine sehr vage An-gabe gemacht hat, wann er Zeit hat, hakt A folgendermaßen nach: Dialog M-1492 #3 Kriegst du nicht heute zwölf, halb 1 hin, Henning?

SchreiberIn A

Auffällig ist, dass A in dieser Nachricht zum ersten Mal seinen Freund mit Namen anspricht. Außerhalb einer Begrüßungsformel ist diese Form stark markiert und ein Hinweis auf Spannungen innerhalb des Dialoges8. A zeigt B durch die Formulierung mit „nicht“ eine seiner Meinung nach angebrach-tere Handlungsalternative (um zwölf, halb 1 kommen) auf. B geht auf die-sen Vorwurf allerdings nicht ein, und auf eine weitere Nachfrage As nach einer konkreten Uhrzeit mit der Auskunft, er wisse noch nicht, wann er Zeit habe, woraufhin A den vagen Vorwurf von Nachricht #2 umformuliert:

Dialog M-1492 #7 Also wirds du 10 min vorher Bescheid geben, dass du gleich kannst? Was kannst du denn 1 Tag bevor Raphigeb hat, Raphi vorziehen?SchreiberIn A

Einerseits stellt A hier die Kurzfristigkeit von Bs Verfügbarkeit (10 min vor-her) als Normenverstoß dar, andererseits stellt er scheinbar Bs selbst ge-wählten Prioritäten infrage, indem er das knappe Zeitfenster (1 Tag bevor Raphigeb hat) erwähnt und impliziert, B würde seine andere Tagesplanung „Raphi vorziehen“. B formuliert daraufhin einen Gegenvorwurf:

8 Mit dem Einsatz von Anreden als Kontextualisierungshinweise beschäftigen sich un-ter anderem Schmidt/Androutsopoulos (2002: 13). Sie erwähnen unter anderem, dass Schreiber in ihren Nachrichten eine formellere Anrede taktisch verwenden, um einen Beitrag als Teil eines Streits zu kontextualisieren.

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Dialog M-1492 #8 Hab ich dir nicht gestern gesagt das raphi meinte, Jungs bis morgen acht uhr? War da für mich erledigt. Dann steht es mir doch frei meinen Tag so zu gestalten wie es möchte oder nichtSchreiberIn B

Schreiber B stellt zunächst eine rhetorische Frage, die gleichzeitig eine Rechtfertigung seines Handelns ist und A auf geteiltes Wissen hinweist. Hierbei übernimmt er Bs Vorwurfsformat mit der Verwendung von „nicht“ in einer Frage. Außerdem formuliert er abschließend eine weitere rhetorische Frage, die durch die Modalpartikel „doch“ verstärkt wird, welche den Ein-wand gegen die vorgebrachte Beschuldigung thematisiert und dem Rezipi-enten andeutet, dass er eine als bekannt empfundene Regel nicht beach-tet. Anhand des Beispiels ist abzulesen, dass rhetorische Fragen im Gegensatz zu anderen Frageformaten die Vorwurfshandlung nicht abschwächen, son-dern tendenziell verstärken. Sie sind hiermit nicht in die Kategorie der im-pliziten oder vagen Vorwürfe einzuordnen sondern verfügen stattdessen über stark offensives Potenzial. Gerade in den deutschen SMS-Daten ist diese konfrontative Formulierung häufig zu finden, im chinesischen Korpus ist sie jedoch ebenfalls belegt. Abgesehen von den oben behandelten Formen des Vorwurfes werden viele Vorwürfe in den untersuchten Korpora in allgemeinen Frageformaten gehal-ten. Beispielhaft sei hier eine Nachricht aufgeführt, in der sich A beschwert, dass B ihr nicht ihre aktuelle Handynummer gegeben habe.

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 115

Dialog X-28 #1

9 .

de xìnhào ~~XX.

Du wechseln Nummer plötzlich nicht sagen mir!? Sehr widerwärtig! Gerade QQ in treffen XX erst wissen du-[POSS] neue Nummer ~~XX.

Du hast deine (Telefon)Nummer plötzlich gewechselt und es mir nicht gesagt!? Dasgeht überhaupt nicht (Schimpf-phrase)!!!! Gerade als ich bei QQ xx (begegnet bin)/gequatscht habe, habe ich erst deine neue Nummer erfahren ~~ XX.SchreiberIn A

Dialogpartnerin A äußert zunächst einen Aussagesatz, den sie mithilfe der kombinierten Satzzeichen „!?“ funktional als Frage und Ausruf zugleich markiert. In Kombination mit der Bewertung von Bs Handeln als „zh n t oyàn“ verdeutlicht A, dass es sich bei ihrem Beitrag um einen Vorwurf

handelt. A beendet ihren Redezug mit einer doppelten Tilde „~~“, die im chinesischen Kontext als Ausdrucksmittel für die Einstellung des Schrei-benden charakteristisch ist10 und als tendenziell im positiven Kontext ver-wendetes graphostilistisches Mittel eine Abschwächung des vorgebrachten Vorwurfes bedeuten kann. Trotzdem erkennt B in dieser ersten Nachricht scheinbar einen Vorwurf und erklärt ihr Verhalten daraifhin ausführlich:

9 Bei dem Wort xinhao (Briefnummer, Adresse) handelt es sich um eine Falsch-schreibung des Begriffes xinhao (neue Nummer)

10 Für die Verwendung von Tilden als Stimmungsmarker in chinesischen SMS-Nachrich-ten siehe Hauptstock/König/Zhu (2010: 22f.).

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Dialog X-28 #211.

de shíhou bù zài [LACH-PART]. guónèi. Jiù méi

Weil ich wechseln Nummer [NOM] Zeitpunt du nicht in Inland.Deswegen nicht haben senden Nachricht an dich. Ich wissen du[POSS] Nummer nicht haben ändern.

Hehe. Weil du, als ich die Nummer geändert habe, nicht im Land warst. Deswegen habe ich dir keine Nachricht geschickt. Ich weiß, dass sich deine Nummer nicht geänderthat.[…]SchreiberIn B

Zwar beginnt B ihren Redezug mit Lachpartikeln und signalisiert damit eine scherzhafte Modalität, doch nimmt sie As Vorwurf offensichtlich ernst, da sie ihr Verhalten im Folgenden rechtfertigt und erklärt: Sie führt die Gründe für ihr Verhalten an, ohne jedoch auf lexiko-semantischer oder graphosti-listischer Ebene direkte Hinweise auf ein schlechtes Gewissen oder Reue (etwa in Form von Emoticons, einer expliziten Entschuldigungsphrase, af-fektmarkierenden Modalpartikeln oder anderen Signalwörtern) zu zeigen. Statt auf die Ratifizierung ihrer Rechtfertigung durch A zu warten, verwen-det sie dann den begonnenen Redezug, um A von ihrer neuen Stelle bei der Post und dem Zusammentreffen mit As Vater zu erzählen. Bei dem Beispiel, das in ähnlicher Form auch in den deutschen Daten zu finden ist, wird sichtbar, dass der jeweils vorgebrachte Vorwurf durch die Einbettung in einen Redezug mit anderen kommunikativen Handlungen

11 Bei der Nachricht handelt es sich um einen Auszug. Der Folgeteil der Nachricht be-zieht sich nicht mehr direkt auf den geäußerten Vorwurf, sondern enthält eine Erzäh-lung Bs über ihre neue Arbeit sowie das Zusammentreffen mit As Vater.

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 117

(hier die Rahmung mit der Abschiedsformel und der Tilde) nur vergleichs-weise schwach formuliert ist und von der Dialogpartnerin ohne explizite Entschuldigung anerkannt wird, da diese im Folgenden nicht wieder auf das Fehlverhalten hinweist. In den vorliegenden Daten zeichnen sich Vorwürfe in Aussageformaten vor allem dadurch aus, dass in ihnen häufig die Extremformulierung „wieder“ sowie „immer“ verwendet wird. Hierbei wird auch deutlich, dass „immer“ in den Vorwürfen trotz seines Vorwurfspotenzials kontextabhängig entwe-der spielerisch-spaßhaft, aber auch als starke Anschuldigung fungieren kann. Je nach der gewählten Formulierung entscheiden die Beschuldigten hierbei ihr Verständnis des Geschriebenen als starken oder schwachen Vorwurf, wobei chinesische Schreiber tendenziell etwas seltener im Sinne des letzteren Falls reagieren. In einem Beispiel unterhält sich ein Pärchen per SMS über As Tagesablauf. Nachdem B einige Redezüge später äußert, dass A sich (mit ihren Aufga-ben) Zeit lassen solle, reagiert diese mit einem Vorwurf:

Dialog X-610 #6 und #7

ángba ~

[INT], dann Baby beschäftigt [PART] Oh, dann lass dir Zeit Baby ~SchreiberIn A

Baby beschäftigt fertig[PART] ~ Verlobter heute wieder wütend[PERF-PART]

Baby hat fertig gearbeitet~ Verlobterdu bist heute wieder wütend!

SchreiberIn B

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Obwohl Bs Aussage grundsätzlich nicht als „wütend“ oder „genervt“ kon-textualisiert wird, ist es durchaus möglich, die Äußerung als Hinweis zu verstehen, dass B in Ruhe gelassen werden will.12 Dieses Potenzial aufgrei-fend realisiert A die Äußerung „l og ng j nti n yòu sh ngqì le“, in dem die Verwendung des „yòu“ suggeriert, dass B in ähnlichen Situationen häufiger wütend sei und außerdem die Deutung der Äußerung als reine Feststellung unwahrscheinlich macht. In den deutschen Daten findet sich diese Form des Vorwurfs unter anderem in folgendem Beispiel, in dem ein alter Schulfreund von Studentin B eine Absage erhält, nachdem er sie zum Schwimmen eingeladen hat:

Dialog M-545 #3

War ja klar das du wieder rumstreben musst...wann biste mal nicht in der Uni? Lass doch mal ne Woche ausfallen bei dem wetter, kannst doch zuhause lernen

SchreiberIn A

A realisiert hierbei zunächst den Vorwurf, B müsse immer lernen, wobei er zunächst durch die Verwendung des Begriffs „wieder“ kontextualisiert, dass B dieses Verhalten nicht zum ersten Mal zeigt, und verwendet zur Un-terstützung des Vorwurfs außerdem das negativ konnotierte Wort „rum-streben“. Diesem ersten Vorwurf lässt er einen weiteren in Form einer rhe-torischen Frage folgen, die eine besonders aggressive Form des Vorwurfs darstellt. Hierbei drückt er über die negative Formulierung „wann biste mal nicht in der Uni?“ den verallgemeinernden Vorwurf aus, B verbringe zu viel Zeit an ihrer Hochschule. A reagiert auf diese Herausforderung aggressiv, woraufhin sich ein Streit zwischen den Dialogpartnern entwickelt.

12 Diese Strategie suggeriert, der Produzent würde allein aus Respekt vor seinem Ge-genüber das Gespräch beenden. Dieser Verweis wird in chinesischen Interaktionen häufig in der Beendigungssequenz von Gesprächen gefunden. Vergleiche hierzu Wang (2009: 68-84).

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 119

Dialog M-545 #4 und #5 Du spinnst wohl. Das kann nur von jemandem kommen, der keine Ahnung hat. Ich kann doch nicht ne Woche Uni schwänzen nur weil mal die Sonne scheint!SchreiberIn B

Ja komisch... du bist echt immer in der uni wenn wir mal was machen wollen aber musst du ja selber wissen! man muss nich immer nur lernen!

SchreiberIn A

B reagiert, indem sie A beleidigt („du spinnst wohl“) und daraufhin unter-stellt, A habe „keine Ahnung“, was sie durch die folgende Ausführungen noch bekräftigt, die das Gesagte als eine logische und allgemein bekannte Tatsache darstellen. Sie greift die von A verwendete Struktur mit „doch“ auf, die als Modalpartikel den Hinweis auf eine als bekannt empfundene Tatsache enthält und zusätzlich einen Einwand impliziert. B markiert mit der Wendung „nur weil...“, dass ein sonniger Tag relational weniger wichtig für sie sei als die Anwesenheit an der Universität. Ihre Äußerung endet wie auch die folgenden Nachrichten in einem Ausrufezeichen, was die Nach-richten kontextuell als „wütend“ markiert. A wiederum reagiert mit Sar-kasmus („ja komisch“) und lässt seine Äußerung mit Auslassungspunkten enden, was hier kontextuell die Ironie unterstreicht. Daraufhin spezifiziert er seinen vorigen Vorwurf: Von einem „wann biste mal nicht in der Uni?“ wechselt er jetzt zu einem „du bist echt immer in der Uni, wenn wir mal was machen wollen“, was den Fokus der Aussage dazu verschiebt, dass B keine Zeit für A habe, was er mit der hyperbolischen Formulierung „immer wenn“ unterstreicht. Durch diese Spezifizierung lässt er außerdem die Deutungs-möglichkeit zu, dass B nicht grundsätzlich keine Zeit habe, sondern spezi-ell für ihn keine Zeit investieren wolle. Diesem Vorwurf lässt A einen weite-ren Vorwurf folgen („man muss nich immer nur lernen“), der ähnlich reali-siert wird wie das von Günthner festgestellte Muster mit „Man kann doch nicht...“ (Günthner 2000: 96). Entsprechend der von Günthner herausge-

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stellten Thesen erhebt A hier also möglicherweise den Anspruch darauf, eine allgemeine soziale Regel zu formulieren. Wie bereits anhand dieses Beispiels erkennbar, finden sich in den unter-suchten Daten an vielen Stellen Vorwurfsformate mit hyperbolischen Stei-gerungen. In den Daten aus dem CeSI-Korpus findet sich hierzu ein Bei-spiel, in dem eine Studentin A per SMS ihre Mitbewohnerin konfrontiert, da diese eine „sauerei“ in der Küche angerichtet hat:

Dialog M-50 #1 und #5 Ich glaube es kackt bei dir? derganze kühlschrank und die küche sind vom rotkohl versaut. habe auch nur gerade die erste sauerei weggemacht.SchreiberIn A

Rabea du lässt alles immer liegen.ich habe den kühlschrank gestern und heute morgen schon geputzt. dastiefgefroner rotkohl auftaut und eine sauerei veranstaltet ist doch logischSchreiberIn A

In dem Dialog, der sich über sieben Dialogzüge erstreckt, werden mehrere Vorwürfe mit anderen sprachlichen Handlungen kombiniert. In Nachricht #1 beginnt A mit einer Fluchphrase („Ich glaube es kackt bei dir?“), die von einer hyperbolischen Darstellung des Zustandes der Küche gefolgt ist („der ganze kühlschrank und die küche sind vom rotkohl versaut“). Mit dem Verb „versaut“ wird die Konsequenz von Bs Handlung auch lexiko-semantisch als äußerst negativ gekennzeichnet, wogegen das Ausmaß des Vergehens über die hyperbolischen Begriffe betont wird. Unterstützt wird der Vorwurf durch die semantische Wiederholung der „sauerei“, wobei A mit der Be-schreibung „habe auch nur gerade die erste sauerei weggemacht“auch da-rauf hinweist, dass sie die Geschädigte von Bs Handlungen ist. Nachdem die Mitbewohnerinnen eine Weile lang diskutiert haben, modifiziert A ihren ursprünglichen Vorwurf, indem sie nicht mehr die Handlung an sich, son-dern die dahinterstehende schlechte Angewohnheit Bs kritisiert („Rabea du lässt alles immer liegen“). Sie wiederholt außerdem noch einmal die kon-

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 121

kreten Folgen, die Bs Verhalten für sie persönlich hat und schließt dann mit einer Referenz auf geteiltes Wissen („das tiefgefroner rotkohl auftaut und eine sauerei veranstaltet ist doch logisch“), wodurch Bs Handlung noch stärker als Normverstoß gekennzeichnet wird. In den chinesischen Daten beziehen sich hyperbolische Ausdrücke eben-falls auf persönliche Unzulänglichkeiten oder Charakterschwächen. Im fol-genden Dialog tauschen sich zwei Freundinnen über ihre Tagesplanung aus: Dialog X-45 #1 und #2

hàzhèngyè!

Gua[Name] ihre Mutter, tun was[REG] [PART]? Den ganzen Tag nicht erfüllen [ZEW] aufrecht Arbeit!

Mutter [von] Gua, was machst du gerade? Denganzen Tag hängst du nur rumSchreiberIn A

^ ^

^ ^

Mit Xiao Feng[NAME] shoppen [PART], gehen[PART] überhaupt nicht wissen sagen mir einen Ton ^ ^

Ich bin grad shoppen mit Xiao Feng, du sagst mir nie bescheid, wenn du gehst

SchreiberIn A

Der Einstieg in das Gespräch mit der Koseform „Gu t m “ sowie der Nachfrage über die aktuelle Aktivität suggeriert, dass A sich gerne mit B

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treffen will. Der darauf folgende Vorwurf, ausgedrückt durch das die Formu-lierung „den ganzen Tag“ („yìti n“) sowie den Ausdruck „rumhängen“13

(„bù wù gè zhèngyè“) und das Ausrufezeichen sind im Kontext als ver-gleichsweise milder Vorwurf zu verstehen. B greift die Reihenfolge der vor-gebrachten Äußerungen auf und informiert A erst darüber, was sie gerade macht, bevor sie den geäußerten Vorwurf thematisiert, indem sie einen rechtfertigenden Gegenvorwurf verbalisiert und diesen durch die Wendung „y bù“ (überhaupt nicht, nie) verstärkt. Dies bildet einen Gegensatz zu dem von A geäußerten „yìti n“. Zusätzlich drückt sie ihren Kummer über das Verhalten der Freundin mit dem Emoticon „^ ^“ aus. Dieser Dialog

zeigt wie viele der vorherigen Beispiele, dass die Dialogpartner sich nicht nur durch ihre Reaktion, sondern auch in der Wahl ihrer Worte und der zu-grundeliegenden Satzstruktur an der vom Dialogpartner vorgegebenen Struktur orientieren. Diese Erkenntnis ist nicht unerwartet, da Günthner (2011: 29) in ihrer Arbeit feststellt, dass Dialogpartner sich aneinander ausrichten. Auch in Bezug auf die lexiko-semantische Ebene bei Vorwürfen ist dies besonders sinnvoll, weil die Vorwurfsrezipienten hiermit die Mög-lichkeit haben, die Schwere oder das Ausmaß eines Vorwurfes zu relativie-ren.

4. Fazit

Anhand der Analyse ist erkennbar geworden, dass deutsche und chinesi-sche SMS-Nachrichten in Bezug auf die Produktion und Kontextualisierung von Vorwürfen zahlreiche formale und strukturelle Ähnlichkeiten aufwei-sen: Sowohl das Frage- als auch das Aussageformat sowie weitere Kriterien für Vorwurfsaktivitäten (wie die Verwendung von hyperbolischen Begriffe und Übertreibungen) konnten auf die Untersuchung von SMS-Nachrichten in beiden Sprachen übertragen werden. Zusätzlich dienen in SMS-Nach-richten außerdem grapho-stilistische Mittel wie der Einsatz von Satzzei-chen als Emoticons, Ausrufezeichen und der Majuskelschreibung zur Kenn-zeichnung von Vorwürfen. Die Verwendung von Auslassungspunkten als sinntragende Einheiten eines Vorwurfs oder einer Entschuldigungshand-

13 Die direkte Übersetzung des Ausdrucks wäre eher „keine aufrechte Arbeit verrich-ten“.

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„Vorwurfsaktivitäten in deutschen und chinesischen SMS“ 123

lung sollte im Rahmen weiterer Analysen systematisch ausgewertet wer-den. Analog zu Günthners (2000) Befunden für Vorwürfe in der gesprochenen Sprache, verwenden auch die SMS-Dialogpartner in meinen Daten Frage-formate teilweise, um die Schwere der Anschuldigungen abzuschwächen und damit möglicherweise das Risiko einer Eskalation zu einem Streit zu vermeiden. Die Rahmung durch eine Begrüßungs- und/oder Abschiedsse-quenz scheint diese Funktion ebenfalls zu erfüllen. Im Gegensatz dazu stellt die Vorwurfsform mit einer rhetorischen Frage, speziell in der negati-ven Formulierung mit „(denn) nicht“, die primär in den deutschen Daten zu finden war, ein potenziell aggressivere Form des Vorwurfs dar. In beiden Korpora konnte eine Präferenz für Frageformate beim Einfordern von SMS-Antworten festgestellt werden, was ein möglicher Hinweis auf ei-ne Verfestigung in diesem Musters ist. Besonders interessant ist außerdem die Verwendung von Anreden, um die Ernsthaftigkeit eines Vorwurfs zu un-terstreichen. Die komparative Analyse von deutschen wie chinesischen SMS ist ein Feld, in dem noch viele Einzelaspekte unerforscht sind. Dabei zeigen meine Er-gebnisse, dass der Vergleich bei der Realisierung von Gattungen und kom-munikativen Mustern sowie im Bereich der expressiven Ausgestaltung von Nachrichten für den interkulturellen wie linguistischen Forschungsansatz viele Möglichkeiten und Ansatzpunkte bieten, die eine genauere Betrach-tung wert sind.

Literatur

Apeltauer, Ernst (1977): Elemente und Verlaufsformen von Streitgesprä-chen eine Analyse von Texten und Tonbandprotokollen unter sprech-handlungstheoretischen Gesichtspunkten. Münster.

Gruber, Helmut (1996): Streitgespräche. Zur Pragmatik einer Diskursform. Opladen.

Günthner, Susanne (2000): Vorwurfsaktivitäten in der Alltagskommunikati-on. Grammatische, prosodische, rhetorisch-stilistische und interaktive Verfahren bei der Konstitution kommunikativer Muster und Gattungen. Tübingen.

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124 Wiebke Quader

Günthner, Susanne (2011): Zur Dialogizität von SMS-Nachrichten – eine

interaktionale Perspektive auf die SMS-Kommunikation. In: Networx 60.

Günthner, Susanne (2012): „Lupf meinen Slumpf“ – interaktive Organisati-on von SMS-Dialogen. In Ruth Ayaß (Hg.). Sozialität in slow motion –theoretische und empirische Perspektiven. Festschrift für Jörg Berg-mann. Wiesbaden, 353-372.

Günthner, Susanne/Saskia Kriese (2012): Dialogizität in der chinesischen und deutschen SMS-Kommunikation – eine kontrastive Studie. In: Linguistik Online 57(7).

Hauptstock, Amelie/Katharina König/Qiang Zhu (2010): Kontrastive Analy-se chinesischer und deutscher SMS-Kommunikation – ein interaktio-naler und gattungstheoretischer Ansatz. In: Networx 58.

Wang, Yanyan (2009). An Analysis of Chinese Telephone Conversations as Part of Oral Test: A Conversation Analysis Perspective (Masterarbeit).

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„Kontrastive Studie zum Anredeverhalten in chinesischer und deutscher SMS-Kommunikation“ QQiang Zhu1

1. Einleitung

Direkte Anreden des Gegenübers stellen nicht nur sprachliche Bezugnahme auf den Interaktionspartner dar (vgl. Berner 1982: 804; Hartmann 1975: 111), sondern sie fungieren zugleich als Handlungen der Selbst- und Fremdpositionierung sowie der Markierung des sozialen Miteianders (vgl. Besch 2003: 2599). In linguistischen Untersuchungen zur Anrede wird im-mer wieder aufgezeigt, dass die Anrede über eine referentielle Funktion hinaus eine Reihe von kommunikativen Funktionen ausfüllt wie die Herstel-lung der Aufmerksamkeit und Anwesenheit der GesprächspartnerInnen, Kontaktaufnahme, Identifizierung, Interaktionseröffnung etc. (Müller 1973; Vorderwülbecke 1997; Hartung 2001; Ilie 2010). Da mit der Anrede stets eine Beziehungsgestaltung einhergeht (vgl. Adamzik 1984: 68, 1994; Dere-li 2007: 42; Günthner/Zhu i.Dr.b), bildet das Anredeverhalten „eine sehr wichtige und häufig gebrauchte“ Praktik der sozialen Positionierung (Kret-zenbacher 2010: 2). Es existiert also ein enger Zusammenhang zwischen der Anrede und der Konstitution der Sozialstruktur (vgl. Hartmann 1972: 285; Ammon 1972). In dem vorliegenden Beitrag wird sprach- und kulturvergleichend auf das Anredeverhalten in chinesischen und deutschen SMS-Interaktionen einge-gangen.2 Das Anredeverhalten wird in Hinblick auf die Distanz- und Nähe-kommunikation analysiert. Hierbei wird zum einen untersucht, wie Dozie-

1 Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen an Günthner/Zhu (i.Dr.a, b) angelehnte Studie, die hier um mehrere Beispielanalysen erweitert wird.

2 Dieser Beitrag entsteht im Rahmen des vom DAAD und CSC (China Scholarship Coun-cil) geförderten und von Prof. Dr. Susanne Günthner (WWU Münster) und Prof. Dr. Renbai Wen (Xi’an International Studies University, VR China) geleiteten Projekts „Kommunikation in den Neuen Medien: Eine kontrastive Untersuchung von chinesi-schen und deutschen SMS-Botschaften“. Er steht auch im Zusammenhang mit dem von Qiang Zhu geleiteten und von der XISU finanzierten Projekts „Kommunikative Gattungen in der Hochschulkommunikation“.

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126 Qiang Zhu

rende und Studierende in der SMS-Kommunikation aufeinander sprachlich Bezug nehmen. Darüber hinaus werden Anredeformen in der studentischen Liebes-SMS analysiert. Einleitende Fragestellungen dieser kontrastiven Untersuchungen sind: 1. Welche Typen von Anredeformen finden sich in SMS-Interaktion von

Dozierenden und Studierenden an den chinesischen und deutschen Universitäten? Welche Gemeinsamkeiten, aber auch welche sprach- und kulturspezifischen Unterschiede zeichnen sich hierbei ab?

2. Welche Formen und Funktionen haben die Anredepraktiken in der studentischen SMS-Liebeskommunikation inne?

Auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung wird verdeutlicht, dass das Anredeverhalten sequenziell-dialogisch organisiert wird und eine be-deutende Rolle bei der soziokulturellen Beziehungskonstitution spielt. Die vorliegende Analyse basiert auf folgenden Korpora: 1. Einem chinesischen Datenkorpus: Dieses umfasst 1.072 SMS-

Interaktionen von 13- bis 74-jährigen Personen aus der zentralchine-sischen Stadt Xi'an (und Umgebung) sowie der Inneren Mongolei. Die Interaktionen verteilen sich auf ca. 500 Personen, wobei die über-wiegende Mehrzahl (ca. 90%) der Dialoge von Personen zwischen 20 und 30 Jahren stammt.

2. Einem deutschen Datenkorpus: Dieses besteht aus 601 SMS-Interaktionen zwischen 11-70 jährigen Personen (mit unterschiedli-chem Bildungsgrad) aus verschiedenen Regionen Deutschlands (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen). Die-se SMS-Dialoge enthalten ähnliche Beziehungskonstellationen wie die chinesischen Daten: 85% der Interaktionen finden zwischen Stu-dierenden statt; die restlichen 15% teilen sich auf Interaktionen zwi-schen StudentInnen/SchülerInnen und ihren Eltern, Großeltern bzw. sonstigen Verwandten sowie zwischen Studierenden und DozentIn-nen bzw. Personen über 40 Jahren.

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„Anredeverhalten in deutscher und chinesischer SMS-Kommunikation“ 127

2. Zur Dialogizität der SMS-Kommunikation

Die SMS-Kommunikation stellt eine medial schriftlich vermittelte asynchro-ne Kommunikationsform dar (Dürscheid 2005). Trotz ihrer medialen Schrift-lichkeit (Koch/Oesterreicher 1985) handelt es sich bei den SMS-Dialogen keineswegs um monologische Texte, sie orientieren sich vielmehr an grundlegenden Prinzipien bzw. Mechanismen des wechselseitigen kom-munikativen Handelns und weisen eine Reihe von Merkmalen des dialogi-schen Sprachgebrauchs auf (Günthner 2011,2012; Günthner/Kriese 2012): i) Die SMS-Interaktion ist dialogisch gerahmt und geschieht in einer Zug-

um-Zug-Abfolge; ii) die SMS-Dialoge orientieren sich an vorausgehenden und machen be-

stimmte Reaktionen des Gegenübers erwartbar und sind folglich stets im sequenziellen Kontext zu interpretieren;

iii) die SMS-Interaktion weisen am Gegenüber ausgerichtete Rezipienten-formate auf. Die einzelnen SMS-Dialoge orientieren sich am potentiel-len Vorwissen des Gegenübers und markieren die soziale Beziehung der Interagierenden.

Zu den nominalen Anredeformen in den vorliegenden chinesischen und deutschen SMS-Nachrichten gehören: 1. Eigennamen, Koseausdrücke und Schimpfnamen 2. Allgemeine Anredeformen wie Frau X, Herr Y, bzw. jugendsprachliche

Anredeformen wie „Alter“, („schönes Mädchen“), („hüb-scher Junge“), („Kumpel“), („Meine Liebe“), („KommilitonInnen“), („älterer Studienbruder“), („jüngere

Studienschwester“) etc. 3. Berufsbezeichnungen und Titel wie „Prof. Dr. Bucher“ oder

(„LehrerIn Wang“)3

3 Im Chinesischen stehen Titel bzw. Berufsbezeichnung und allgemeine Anredeform wie „Herr“ und „Frau“ stets hinter dem Namen (also statt „Frau Li“ sagt man „Li Frau“ und statt „Lehrer Fan“ entsprechend „Fan Lehrer“).

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128 Qiang Zhu

4. Familienrollenbezeichnungen bzw. Verwandtschaftstermini („Mama“,

„Tante“, Brüderchen“ etc.). Diese verschiedenen Anredeformen zeichnen sich dadurch aus, dass die meisten von ihnen als Vokative gebraucht werden. Mit der nominalen An-rede eröffnen die Interagierenden den SMS-Dialog mit einem räumlich und zeitlich distanten Interaktionspartner und konstruieren den sozialen Inter-aktionsrahmen.4 Der Anredegebrauch in der SMS-Kommunikation erfolgt nach dem Mechanismus der Dialogizität, mittels der die Interagierenden nicht nur die sequenziell geordnete Abfolge der SMS-Dialogzüge aufbauen, sondern auch die Beziehungskonstitution in einem größeren soziokulturel-len Zusammenhang gemeinsam interaktiv ausführen.

3. Anrede in SMS von Dozierenden und Studierenden 3.1 Anrede in chinesischer Dozierende-Studierende-Interaktion

An chinesischen Hochschulen ist es eine gängige Praxis, dass Studierende ihre DozentInnen und auch ProfessorInnen ansimsen, wenn sie Fragen zum Unterricht, zur Prüfung, zu Hausarbeiten oder zu sonstigen organisatori-schen Aspekten haben, wenn sie einen Gesprächstermin vereinbaren wol-len oder um die Erlaubnis bitten, von einer Unterrichtssitzung fernbleiben zu können. Gelegentlich wünschen sie ihren DozentInnen auch per SMS alles Gute zum Neujahr. Gründe für die Verwendung dieser Kommunikati-onsform zwischen Studierenden und DozentInnen liegen u.a. darin, dass es an chinesischen Hochschulen keine Sprechstunden gibt und E-Mails für die Kommunikation von Lehrenden und Studierenden im chinesischen Hoch-schulkontext noch selten verwendet werden. Im chinesischen universitären Milieu stellt die Anrede der DozentInnen mit der Berufsbezeichnung („LehrerInnen“) eine habitualisierte Praxis

dar, an der sich die Studierenden orientieren. So zeigt Zhus (2009) Umfra-

4 Allerdings enthalten keineswegs alle SMS-Dialoge solche Anredepraktiken als Ein-stieg in den SMS-Austausch. Hierzu ausführlich Günthner (2011; 2012), Günthner/ Kriese (2012). Ferner werden Vokative gelegentlich auch mitten und zum Abschluss einer SMS-Interaktion eingefügt.

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„Anredeverhalten in deutscher und chinesischer SMS-Kommunikation“ 129

ge unter chinesischen Studierenden,5 dass 99.1% der befragten Studie-renden angeben, ihre Dozenten in formellen Gesprächssituationen wie Se-minaren, Vorlesungen und Prüfungen die Dozenten mit („LehrerIn-nen“) anzureden. Dabei kann („LehrerInnen“) sowohl alleinstehend

als auch in Kombination mit den Nachnamen der Dozierenden verwendet werden (vgl. auch Li 2002: 36). In informellen Gesprächssituationen wie etwa beim Essen in der Mensa oder an der Bushaltestelle reden – so die Aussagen der StudentInnen in Zhus Umfrage – immerhin 80.5% der Studie-renden ihre Dozenten mit („LehrerInnen“) oder der Kombination Fami-lienname + („LehrerInnen“) an (vgl. auch Ma 2009). In beiden Situati-

onstypen verwenden sie ferner gegenüber ihren Dozenten die höflich-distanzierte Proform („Sie“). Diese Ergebnisse treffen auch auf die vor-

liegenden chinesischen Daten zu: Studierende simsen ihre DozentInnen in den meisten Fällen mit („LehrerInnen“) an. In der Dozierende-Studie-

rende-Interaktion finden sich 27 Belege dieser Anredeform, wobei in 15 Fällen („LehrerInnen“) als alleinige Anredeform und 12 Mal die Kom-bination Familienname + („LehrerInnen“) verwendet wird.

In den folgenden SMS-Ausschnitten bittet Gao, eine Studentin, mit einer SMS-Nachricht ihren Dozenten Zhang um einen Termin. Zum Einstieg in den Dialog verwendet Gao die alleinige Anredeform („LehrerInnen“).

Dialog 478 „Einladung zum Essen“

Lehrer, ich und meine KommilitonInnenwollen Sie morgen zum Essen einladen und dabei mit Ihnen über einige Fragendiskutieren. Haben Sie Zeit?SchreiberIn A (8:10)

Gut, wann? Und wo?SchreiberIn B (8:25)

5 50 Studierende an verschiedenen Hochschulen in Beijing wurden in Fragebögen be-fragt, wie sie die Angestellten an ihren Universitäten in formellen und informellen Gesprächssituationen anreden.

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(„LehrerInnen“) gilt in China als respektvoller Titel für alle Personen,

die lehren, und wird in sämtlichen Bildungseinrichtungen als Anredeform der Lehrkräfte verwendet. Die Respektbekundung, die eng mit dieser Anre-deform verknüpft ist, basiert auf den konfuzianistischen Prinzipien des Lehrer-Schüler-Verhältnisses und des bis heute geltenden hohen Ansehens der Lehrerenden in China. Auch im Hochschulbereich gilt als standar-

disierte und unmarkierte Anredeform von DozentInnen und ProfessorInnen (Yao 1995; Zhu 2009; Zhang 2009: 523). Im vorliegenden SMS-Dialog grüßt Gao mit („Lehrer“) Zhang und initi-

iert zugleich die Interaktion mit ihm.6 Über die Kontaktaufnahme hinaus aktiviert diese habitualisierte Anrede eine spezifische Beziehungsrelation zwischen der Interagierenden: Die anredende Gao positioniert sich als Stu-dentin und ihr Gegenüber (Zhang) als Dozenten. Dem sozialen Status von Zhang entsprechend siezt Gao ihn in der folgenden Einladung und Frage mit der respektvollen pronominalen Anredeform („Sie“, SMS #1).

Dieser Dialog ist aus mehreren Gründen charakteristisch für die vorliegen-den SMS-Dialoge zwischen zwischen DozentInnen und Studierenden: Es sind die Studierenden, die in der Regel ein Anliegen an die DozentInnen haben und dies per SMS kommunizieren, wobei sie ihr Gegenüber fast durchweg stets mit der respektvollen Anrede („LehrerInnen“) oder der Kombination Familienname + („LehrerInnen“) anreden. Die DozentIn-

nen reagieren auf das Anliegen ihrer Studierenden meist sehr knapp und meist auch ohne Adressierungsformen. Diese aufsteigend und vertikal aus-gerichtete, nicht-reziproke Anredepraxis kontextualisiert den Statusunter-schied (LehrerInnen – StudentInnen) und markiert die aufgrund des Lehrer-Schüler-Verhältnisses gebotene traditionelle Respektbekundung.7 Da Vornamen im Chinesischen oft als Koseformen unter Verwandten, engen FreundInnen und KollegInnen gebraucht werden (Günthner/Zhu i.Dr.a), re-den Dozierende ihre StudentInnen äußerst selten mit deren Vornamen an. An chinesischen Universitären sprechen Dozierende ihre Studierenden so-wohl in formellen als auch informellen Gesprächen in der Regel mit deren

6 Zu Begrüßungssequenzen in chinesischen SMS-Dialogen siehe Günthner/Kriese (2012), Günthner/Zhu (i.Dr.a,b).

7 Dazu siehe auch Günthner/Zhu (i.Dr.b).

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„Anredeverhalten in deutscher und chinesischer SMS-Kommunikation“ 131

Vollnamen Familiennamen + Vornamen an. Die vorliegenden Dozierende-Studierende-Interaktionen zeigen, dass in jenen Fällen, in denen DozentIn-nen eine initiale SMS an ihre Studierenden schicken, die Dozierenden in der Regel keine Vokativanrede verwenden, sondern sie vermitteln ihre An-weisungen in einer knappen Imperativform. Selbst dann quittieren die an-gesimsten StudentInnen den Erhalt der Aufforderung mit der respektvollen Anredeform („LehrerInnen“). Das Ausbleiben der Anrede gegenüber

der Studierenden verweist auf das Verhältnis von „Sprachkapital“ (Bour-dieu 1990) und „Power Semantic“ (Brown/Gilman 1960/1968) im Anrede-verhalten: Als sozial Hochgestellte verfügen die Dozierenden über mehr „Sprachkapital“ und haben die Wahl, wie sie ihre Studierenden, sozial Niedriggestellte, ansprechen bzw. adressieren. Das Ausfallen-Lassen der Anrede von StudentInnen ist im chinesischen Kontext nicht unhöflich, son-dern konstituiert den Statusunterschied der Interagierenden. Die folgenden Ausschnitte entstammen einer SMS-Interkation von einer Dozentin Wang und ihrer Studentin Liu.

Dialog 149 „Abgabe“

Sag KommilitonInnen deiner Klasse Bescheid, dass sie die vorbereiteten Unterlagen abgeben sollen.SchreiberIn A

Gut, Lehrerin. Wann hast du Zeit, damit wir sie dir geben können?SchreiberIn B

Wang liefert mit SMS #1 eine Anweisung an Liu, die eine Klassensprecherin ist und diese Anweisung an deren KommilitonInnen weiterleiten soll. Ohne Liu mit ihrem Namen anzusprechen und zu grüßen produziert Wang in SMS #1 gleich einen Imperativsatz, in dem Liu geduzt wird ( , „deiner Klas-se“). Dagegen adressiert Liu ihre Dozentin respektvoll mit („Lehre-

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rin“). Das reziprok gebrauchte Personalpronomen („Wann hast du

Zeit?“), das sich auf Wang bezieht, markiert unmittelbar die vertraute Be-ziehung zwischen Wang und Liu. Der ebenfalls in diesem Beispiel zu beobachtende reziproke Gebrauch des Duzens geschieht insbesondere in SMS-Interkation zwischen Studierenden und Dozierenden jüngerer Generation. Studierende adressieren Dozieren-de, mit denen sie gut befreundet sind, auch mit Verwandtschaftsbezeich-nungen. Dies wird anhand des folgenden SMS-Dialogs zwischen einer Stu-dentin Fan und ihrer Dozentin Qi illustriert.8

Dialog 39 „Deutschkurs“

Schwägerin, wann ist euer Deutschkurs am Montag?SchreiberIn A (19:17)

Die dritte und die vierte Stunde,warum fragst du?SchreiberIn B (19:18)

In China ist die Anrede mittels Verwandtschaftsbezeichnungen für Nicht-Verwandte weit verbreitet. So erlernen chinesische Kinder die NachbarIn-nen und KollegInnen von ihren Eltern nach dem Geschlecht und Alter mit Verwandtschaftsbezeichnungen wie („Großvater“), („Großmut-ter“), („Onkel“), („Tante“), („älterer Bruder“) und („äl-

tere Schwester“) anzureden (Hong 1985). Bei Liu (2009) wird gezeigt, dass Kleidungshändler (am Beispiel von zwei Märkten in Beijing) dazu neigen, ihre KundInnen mit Verwandtschaftsbezeichnungen anzusprechen, wobei das Alter und das Geschlecht der KundInnen für die Wahl der Anrede ent-scheidend sind. Der Gebrauch der Verwandtschaftsbezeichnungen für Nicht-Verwandte erzeugt das Vertrauen zwischen den Interagierenden,

8 Dieses Beispiel sowie die Analyse entstammen Günthner/Zhu (i.Dr.b).

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stellt soziale Nähe her und dient der Respektbekundung (vgl. Wu 2006: 17ff.; Zheng 2009: 11f.). Mit („Schwägerin“: Frau des älteren Bruders) kategorisiert die Studen-

tin ihre soziale Beziehung zu ihrer Dozentin: Fan positioniert sich hierdurch nicht nur hierarchisch (als jünger und statusniedriger), sondern ordnet ihr Gegenüber der „In-Gruppe“ zu – und zwar über deren Mann. markiert

hier, dass Fan den Mann der Dozentin gut kennt. An chinesischen Universitäten verwenden nicht nur Studierende

(„LehrerInnen“), um die Dozierenden zu adressieren, auch Dozierende ver-wenden untereinander reziprok diese Anrede. So zeigt Ma (2009) in ihrer Studie zum Anredeverhalten an einer chinesischen Universität, dass mehr als 80% der befragten DozentInnen ihre KollegInnen mit den Anredeformen Familienname + oder Vor- und Familienname + anreden.9 Nicht

nur der in der face-to-face Interaktion sondern auch in der SMS-Kommuni-kation wird die Anrede unter den DozentInnen immer wieder verwen-

det. Der folgende kurze SMS-Dialog findet zwischen zwei Dozentinnen Peng und Liang statt. Dialog 325 „Nächstes Semester“

Lehrerin Liang, willst du im nächstenSemester 10 Stunden Intensivkurs für den Jahrgang 06 übernehmen?SchreiberIn A

ich will.SchreiberIn B (19:18)

An den chinesischen Hochschulen ist es üblich, dass Dozierende per SMS über Arbeit sprechen. Der Gebrauch der Anredeform kontextualisiert

9 Lehrkräfte an den Hochschulen im Südchina wurden befragt.

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dabei den offiziellen Charakter dieser Kommunikationsform, die ansonsten für private Angelegenheiten eingesetzt wird. In SMS #1 redet Peng ihre Kol-legin mit der Kombination Familienname + an ( , „Lehrerin Li-ang“) und duzt diese zugleich ( , „willst du“). Der Gebrauch dieser

konventionalisierten Anredeform und des Duzens kontextualisiert die Kol-legialität und soziale Nähe von Liang und Peng.

3.1 Anrede in der deutschen Dozierende-Studierende-Interaktion

Während die SMS-Interaktion eine tradierte Kommunikationsform für die Dozierende-Studierende- sowie Dozierende-Dozierende-Interaktionen an chinesischen Universitären darstellt, spielt dagegen an deutschen Universi-täten die E-Mails für die Dozierende-Studierende- sowie Dozierende-Dozie-rende-Interaktionen eine gewichtige Rolle (Kiesendahl 2011): Dozierende kommunizieren primär mit E-Mails über dienstliche Angelegenheiten. Stu-dierende greifen ebenfalls auf die E-Mails zurück, um mit ihren DozentIn-nen über organisatorische Dinge (Terminvereinbarung oder Entschuldigung für Abwesenheit) oder Inhalt der Lehrveranstaltungen (wie Thema des Refe-rats im Seminar) zu sprechen. Kiesendahl (2011: Kap. 5.3.1.) widmet sich dem Anredeverhalten in den E-Mails von Studierenden und Lehrenden und zeigt, dass die Studierenden bei der Begrüßung der DozentInnen Ausdrü-cke wie sehr geehrte(r) Frau/Herr + Nachname und liebe(r) Frau/Herr + Nachname präferieren. Die Dozierenden eröffnen dagegen die E-Mails-Kommunikation mit ihren Studierenden primär mit der vertrauteren Anrede-form liebe(r) Frau/Herr + Nachname. Da Studierende und Dozierende an deutschen Universitären primär per E-Mail kommunizieren, wundert es nicht, dass sich in dem vorliegenden deutschen Korpus keine einzige SMS-Interaktion von Dozierenden unterei-nander und ausschließlich ein SMS-Dialog von einer Studentin und einer Professorin findet. Bei der einzigen SMS-Mitteilung einer deutschen Studentin an eine Profes-sorin geht es darum, dass die auswärtige Professorin zu einem Gastvortrag in die betreffende Stadt kommt und die Studentin sie vom am Bahnhof ab-

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holen soll.10 Da sich der Zug verspätet hat, schickt die Studentin folgende Nachricht an die Professorin.

Dialog „Gastvortrag“ Liebe Frau Prof. Bucher, ich warte direkt am Gleis auf Sie. Herzlich, Lena Müller.SchreiberIn A (12:04)

Die SMS-Mitteilung lehnt sich stark an das Format der E-Mail an: Die for-melle Grußformel und Anrede „Liebe Frau Prof. Bucher“ kontextualisiert ein distanziertes Verhältnis zwischen der Interagierenden (vgl. Hauptstock/ König/Zhu 2010: 34). Zum Ausstieg aus der Interaktion verwendet die Stu-dentin ebenfalls eine formelle Beendigungsformel. So produziert die Stu-dentin zunächst den konventionalisierten Abschiedsgruß „Herzlich“ und fügt danach ihren Namen hinzu „Lena Müller“. Aus den formellen Begrü-ßungs- und Beendigungssequenzen ergibt sich die formelle Rahmung der Studentin-Professorin-Interaktion.

4. Anrede in SMS von studentischen Liebespaaren

Als eine primär private Kommunikationsform spielen die SMS-Nachrichten eine bedeutende Rolle für die Liebeskommunikation: Mit dieser technisch leicht zu handhabenden und medial breit sowie schnell zu bedienenden Kommunikationsform „lassen sich neu entstehende Liebesbeziehungen festigen, bestehende Beziehungen aufrecht erhalten und schließlich im Extremfall auch scheiternde Beziehungen abrupt enden.“ (Imo 2012: 21) Imo (2012), der sich Mustern der chinesischen und deutschen Liebes-SMS widmet, zeigt, dass sowohl in der chinesischen als auch der deutschen Liebes-SMS eine spielerische Interaktionsmodalität aktiviert wird, mit der sich die Liebespaare gegenseitig ihre Vertrautheit und soziale Nähe signa-lisieren und konstituieren. Ein auffälliger Unterschied zwischen der chine-sischen und deutschen Liebes-SMS liegt laut Imo (2012: 25) darin, dass in den chinesischen Daten immer wieder scherzhafte Drohungen der Bezie-

10 Zu diesem Beispiel siehe auch der Analyse siehe Günthner (2011: 10-11).

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hungsaufkündigung auftauchen, die in dem deutschen Korpus nicht zu fin-den sind. Im Folgenden wird untersucht, mit welchen sprachlichen Formen sich die studentischen Liebespaare in der chinesischen und deutschen Liebes-SMS adressieren und inwiefern sich diese Anredeformen voneinander unter-scheiden.

4.1 Anrede studentischer Liebespaare in den chinesischen Daten

In dem chinesischen Korpus finden sich 73 Liebeskommunikationen von studentischen Paaren. Charakteristisch für diese Liebes-SMS ist, dass sich die Pärchen mit den Ehebezeichnungen („mein Mann“) und

(„meine Frau“) adressieren, obwohl sie nicht verheiratet sind. In diesem Zusammenhang werden die Ehebezeichnungen als „Koseformen“ (Günth-ner/Zhu i.Dr.a) gebraucht. Koseformen sind inoffizielle Personenbezeichnungen, die positive emotio-nale Haltungen wie Liebe, Wohlwollen, Wertschätzung, Zuneigung und Zärt-lichkeit zum Ausdruck bringen (vgl. Katz 1964: 91; Lukesch 1993: 452; Frank 1993: 473; Kohlheim/Kohlheim 2004: 672; Nübling/Fahlbusch/Heu-ser 2012: 171; Stocker 2004: 143).11 Im Vergleich zu Rufnamen besitzen Kosenamen über eine identifizierende und anredende Funktion hinaus eine mehr Gefühle explizierende Eigenschaft (vgl. Frank 1993: 473) und sind „in der verbalen Inszenierung von Intimität das deutlichste Moment“ (Wyss 2000: 190). Bevorzugt verwendet werden Kosenamen im Freundeskreis und Familien, zwischen Liebenden und durch Ausbildung, Beruf, gemein-same Interessen sowie außerberufliche Tätigkeiten enger miteinander Ver-bundenen (vgl. Naumann 1996: 1757). Mit dem Gebrauch der Kosenamen werden Intimität, soziale Nähe und Solidarität hergestellt. Anhand der folgenden Liebeskommunikation sollen die für die Anredepra-xis der chinesischen studentischen Liebes-SMS spezifischen Anredeformen exemplarisch gezeigt werden.

11 Zu Koseformen in der chinesischen und deutschen SMS-Kommunikation siehe Günthner/Zhu (i.Dr.a).

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Dialog 54 „Handnehmen oder Küssen“

Möchte mein Mann die Hand seines Schatzes gern nehmen oder eher seinen Schatz küssen (:_:)SchreiberIn A (23:05)

Beides mag ich. Aber wenn ich mich nur für eins entscheiden muss, dann nehme ich lieber die Hand meinesSchatzes. Ist das ein Rätsel?SchreiberIn B (23:07)

Nein, es ist kein Rätsel. In einer Novelle steht, dass ein Mann dich am besten liebt, wenn er deine Hand lieber nimmt als dich bloß nur küsst.

SchreiberIn A (23:10)

Haha, das ist genau dein Mann. Meine Frau, lass uns schlafen, dein Mann ist müde.SchreiberIn B (23:13)

Die Liebeskommunikation beginnt mit einer Frage der Studentin an ihren Freund, mit der sie ihre Liebesbeziehung einem Test unterzieht. Dabei re-det sie ihn mit der Ehebezeichnung („mein Mann“) an, wobei sie sich selbst („Schatz“) nennt. Diese Selbstbezeichnung der Studentin

nimmt ihr Freund in der Antwort in SMS #2 auf und verwendet sie als Kose-form für seine Freundin („dann nehme ich lieber die Hand meines Schat-zes“). In der Beendigung des Dialogs nennt der Student sich als

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(„dein Mann“) der Studentin und adressiert diese mit der komplementären nominalen Anredeform („meine Frau“).

Neben den Ehrbezeichnungen verwenden die chinesischen studentischen Pärchen vor allem auch „traditionelle Liebeswörter“ (Leisi 1993: 491), um ihre Verliebten zu adressieren. Zu diesen Anredeformen gehören („mein/e Liebste/r“), und („Schatz“) sowie „morphosyntaktisch komplexe strukturierte Koseausdrücke“ (Wyss 2000: 203) wie

(„meine liebe Frau“). So adressiert der Student im folgenden Dialog sei-ne Freundin mit („Schatz“) in SMS #1, die ihn mit („mein

Mann“) anredet. Wie im Beispiel „Hand nehmen oder küssen“ wird die Ehebezeichnung in SMS #1 ebenfalls nicht nur als eine Koseform des

Freundes (SMS #1), sondern auch als dessen Selbstbezeichnung ge-braucht (SMS #2).

Dialog 450 „Vorstellungsgespräch“

Mein Schatz, dein Mann geht gleich zu einem Vorstellungsgespräch.SchreiberIn A (14:40)

Kuss ~ mein Mann ist der Beste ~ ichliebe dich

SchreiberIn B (14:43)

4.2 Anrede der studentischen Liebespaare in deutschen Daten

Es gibt in dem deutschen Korpus insgesamt sechs Liebes-SMS. Zu Anrede-formen, die in diesen Liebeskommunikationen verwendet werden, gehören etwa Tiernamen wie „kleine Maus“, zusätzlich durch Adjektive attribuierte Koseformen wie „süßer Schnuffel“, Diminutive wie „Baby“ oder wertschät-zende Bezeichnungen wie „mein Engel“. Wie bei den Anredeformen der chinesischen studentischen Pärchen handelt es sich bei diesen deutschen

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Anredeformen ebenfalls um Koseformen, mit denen die Neigung und Liebe der Paare zum Ausdruck gebracht werden.

Dialog 2215 „Gerüchte“ Hey baby, geh jetzt schlafen. Hoffe alles ist gut bei dir. Du fehlst mir. Ich liebe dich sehr.. Dicker Kuss

SchreiberIn A (22:36)

Hey schatz, bin jetzt im bett. heute war ein schönes Tag. alles super. woher weist du das mit löki? Nur noch 2,5 Tage :) ich freu mich so Auf dich. Ich liebe dich soSchreiberIn B (22:59)

Wie die chinesischen Pärchen verwendet das deutsche studentische Paar in diesen Ausschnitten die Koseformen ebenfalls untereinander. Der Stu-dent beginnt die Liebeskommunikation mit den Eröffnungssequenzen Gruß („Hey“) + Koseform („baby“). Die Freundin grüßt in SMS #2 ihren Freund zurück, der mit „Schatz“ angesprochen wird. Koseformen in der Liebes-SMS werden oftmals symmetrisch und reziprok gebraucht, wodurch die Intimität der Liebeskommunikation codiert und ge-stärkt wird (vgl. Wyss 2000: 204). In der folgenden Liebes-SMS wird der Koseausdruck „mein Engel“ zur Adressierung des Freundes eingesetzt (SMS #1). In der Folgeäußerung nimmt der Freund die gleiche Bezeichnung auf und nutzt ihn als Anrede ihrer Freundin („mein Engel“, in SMS #2). An-ders als die in der chinesischen Liebes-SMS üblichen komplementären und reziproken Anredeformen „mein Mann“ und „meine Frau“ kommt mit der Koseform „mein Engel“ nicht zu einer Geschlechtsdifferenzierung.

Dialog 2179 „Liebe“ Hallo mein Engel ich wollte dir nur schnell bescheid sagen, dass ich icht zuHause bin wenn du schluss hast :( bin bei deinen Eltern. Liebe für immer!!

SchreiberIn A (14:05)

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Hi mein Engel, das macht nichts ich muss eh weiter zur Arbeit. Sehen uns dann später zuhause. Denk ganz viel an dich!SchreiberIn B (14:30)

5. Fazit

Mit der Anrede in SMS-Interaktionen nehmen die SMS-SchreiberInnen nicht nur sprachlich auf das Gegenüber Bezug, sondern sie eröffnen so meist auch die Interaktion. Die Anrede dient nicht nur Fremdpositionierung des adressierten Gegenübers, sondern zugleich auch einer relationalen Selbst-positionierung, sodass die Beziehungskonstitution der Interagierenden vollzogen wird. Dass die Selbstbezeichnung der anredenden Person in der Folgeäußerung vom Gegenüber übernommen und wiederum als ihre Anre-de eingesetzt wird, zeigt, dass der Anredegebrauch in den SMS-Dialogen interaktiv ausgerichtet wird. Die Anredeformen in der studentischen Liebes-SMS im Chinesischen und Deutschen weisen insofern Gemeinsamkeit auf, als es sich bei diesen An-redeformen um Koseformen handelt. Dies lässt sich damit erklären, dass als emotional positiv gefärbte und Zuneigung, Liebe und Zärtlichkeit mar-kierende Personenbezeichnungen Koseausdrücke in der Liebeskommuni-kation „Codierung der Intimität“ (Wyss 2000: 204) markieren. Die Anrede-formen kontextualisieren die Distanz- und Nähekommunikation der SMS-Dialoge. So markiert die Anredeform („Sie“) in chinesischen Studieren-

de-Dozierende-Interaktionen den Statusunterschied und soziale Distanz, während die Verwandtschaftsbezeichnungen wie („Schwägerin“) die

soziale Nähe herstellen. Die Koseformen sowohl in der chinesischen als auch der deutschen Liebes-SMS bringen die Intimität und Liebe zum Aus-druck. Neben diesen Parallelen weisen die Anredeformen in den untersuchten chinesischen und deutschen SMS-Nachrichten auch Unterschiede auf: So ist es in der Dozierende-Studierende-Interaktion eine habitualisierte Anre-depraktik, dass die Studierenden ihre DozentInnen mit der respektvollen Berufsbezeichnung („LehrerInnen“) adressieren. Die Dozierenden

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können entscheiden, wie sie ihre Studierenden ansprechen (mit oder ohne Vokativanrede). Ein ähnliches Anredeverhalten konnte in den deutschen Daten nicht identifiziert werden, da die Kommunikationsform der SMS in der Dozierende-Studierende-Interaktion an den deutschen Universitäten äußerst selten eingesetzt wird. Dies trifft ebenfalls auf die Dozierende-Dozierende-Interaktion im deutschen universitären Milieu zu, wogegen chi-nesische Dozierende per SMS über dienstliche Angelegenheiten sprechen und sich mit („LehrerInnen“) adressieren. Somit kann mit Günth-

ner/Zhu (i.Dr.b) argumentiert werden, dass die Interagierenden mit der An-rede in einen Dialog mit kulturellem Wissen, sozialen Routinen und gesell-schaftlichen Konventionen treten. Die Analyse von Anredeformen bildet folglich einen wichtigen Knotenpunkt zur Beschreibung lokaler kommuni-kativer Praktiken der Beziehungskonstitution und größeren sozialen und kulturellen Formationen.

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„SMS-Nutzung unter besonderer Berücksichtigung von Code-Switching“ YYing Ma

1. Einleitung

„Etwa neun von zehn Jugendlichen nutzen regelmäßig (zumindest mehr-mals pro Woche) ein Handy (91%), das Internet (90%) und den Fernseher (88%)“ (JIM-Studie 20101: 11). Die Neuen Medien spielen für Jugendliche weltweit eine sehr große Rolle. Laut JIM-Studie, bei der eine repräsentative Stichprobe von 1,208 deutschen Jugendlichen telefonisch befragt wurde, ist das Handy in der täglichen Nutzung „mit Abstand das am häufigsten verwendete Medium“, und „die am häufigsten genutzten Funktionen des Handys sind weiterhin die Kommunikationsmöglichkeiten per SMS und Te-lefon, die knapp vier Fünftel der Handybesitzer regelmäßig verwenden“ (JIM-Studie 2010: 12; 56). Die Abkürzung SMS, die für short message service steht, gewann ebenso an Bedeutung wie WWW, World Wide Web. Der hohe Stellenwert von SMS-Nachrichten ist nicht zu vernachlässigen, da „Handys von Jugendlichen nicht hauptsächlich zum Telefonieren, sondern vor allem zum Versenden von SMS-Nachrichten benutzt werden“ (Nowotny 2005: 13). SMS-Kommu-nikation ist heutzutage ein fester Bestandteil ihrer kommunikativen Le-benswelt. „Die Mitteilungen per SMS haben sich sowohl in Deutschland als auch in China zu einem zentralen Bestandteil der Alltagsinteraktion entwi-ckelt“ (Günthner/Kriese 2012: 43). Auch die Verwendung von mehr als einer Sprache in SMS-Kommunikation ist verbreitet, wurde jedoch laut Morel et al. (2012) bisher kaum erforscht.2 Angesichts der großen Beliebtheit von SMS-Nachrichten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollen die spezielle Nutzergruppe von Studieren-den und ihr Nutzungsverhalten genauer analysiert werden. Damit ist zu er-

1 JIM ist die Abkürzung für Jugend, Information, (Multi-)Media und wird häufig als JIM-Studie 2010 zitiert.

2 Vgl. Morel/Bucher/Pekarek Doehler/Siebenhaar (2012: 260).

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warten, dass Code-Switching, also das Verwenden verschiedener Sprachen innerhalb eines Satzes3 sowie unterschiedlicher Eingabemodi, auch in chi-nesischen studentischen SMS-Nachrichten erfolgt. Sowohl in Deutschland als auch in China finden sich Forschungsarbeiten zu SMS-Kommunikation bevorzugt im Bereich der Linguistik (Hauptstock/ König/Zhu 2010; Günthner 2011; 2012; Günthner/Kriese 2012; Imo 2012 sowie Hu/Zeng 2006; Tang 2007; Wen 2008; Xia 2009; Ma 2012 u.a.) und der Soziolinguistik (Höflich 2001; Höflich/Rössler 2001 sowie Tang 2005; Liang 2006; Wang 2008 u.a.). Ähnlich wie Schlobinski/Watanabe (2003; 2006), deren Untersuchungen auf die kontrastiven Perspektiven deutscher und japanischer SMS-Kommunikation fokussieren, befassen sich Haupt-stock/König/Zhu (2010), Günthner/Kriese (2012) und Imo (2012) damit, die kontrastiven Aspekte chinesischer und deutscher SMS-Kommunikation genauer zu beleuchten. Es finden sich wenige Forschungsarbeiten zum Code-Switching in der Schriftlichkeit4 und kaum zum Script-Switching. Darunter wird der Wechsel zwischen verschiedenen Schriftformen wie z.B. Kursiv- und Fettdruck, Druckschrift in Großbuchstaben etc. mit „normaler“ Schrift oder zwischen verschiedenen Schriftsystemen wie Lateinisch und Kyrillisch verstanden.5 Auch die Forschung hat sich bisher nicht mit Code-Switching in chinesi-schen SMS-Nachrichten beschäftigt. In dem vorliegenden Beitrag sollen die SMS-Nutzung von chinesischen Studierenden an zwei Universitäten beschrieben sowie Formen und Funkti-onen von Code-Switching (Chinesisch–Englisch–Deutsch) wie auch Script-Switching (zwischen verschiedenen chinesischen Schriftsystemen)6 mithil-fe empirischer Daten analysiert werden. Da Code-Switching bisher meist im

3 Siehe Alvarez-Cáccamo (1998) zu dem Begriff „Code“. 4 Vgl. u.a. Androutsopoulos/Ziegler (2004); Ziegler (2005); Androutsopoulos (2007;

2013); Spitzmüller (2012). 5 Hierzu detaillierter Angermeyer (2005; 2012). Zur Forschung über Script-Switching

siehe auch Sebba (2000; 2007; 2013). 6 Gemeint ist hier das chinesische Hanyu-Pinyin. Dies ist die lateinische Umschrift für

die chinesische Standardsprache in der Volksrepublik China. Hanyu-Pinyin lernen al-le chinesischen Kinder in der Schule, bevor sie chinesische Schriftzeichen lernen. Auf die Handhabung der Texteingabe bei chinesischen SMS-Nachrichten werde ich in Kapitel 3 näher eingehen.

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mündlichen Zusammenhang erforscht wurde7, soll es im Rahmen meiner Arbeit nun in der Schritlichkeit zum Forschungsgegenstand werden. Meine Forschungsfragen lauten deshalb: Mit welchen Kommunikationsmotivatio-nen kommunizieren chinesische studentische SMS-Verfasser mit wem wie oft über welche Themen mit welcher Texteingabeprozedur und welchen Formen des Sprach- sowie Schriftsystemwechsels innerhalb eines Satzes?

2. Datengrundlage

Im Rahmen eines PPP-Forschungsprojekts8 wurden 2010 Daten von chine-sischen studentischen SMS-Nachrichten erhoben.9 Hierzu wurden 240 chi-nesische Studierende im Alter zwischen 17 und 36 Jahren in Xi’an und Hohhot in der Inneren Mongolei Chinas befragt. Der Fragebogen enthielt 23 Fragen im Wesentlichen zur Nutzung von SMS-Nachrichten, aber auch zu Faktoren wie Alter und Geschlecht der chinesischen Studierenden. Zuletzt wurden die Studierenden gebeten, ihre SMS-Nachrichten dem Projekt zu überlassen. Das Durchschnittsalter der TeilnehmerInnen betrug 23 Jahre, 53% waren weiblich und 47% männlich. Die Befragten waren zu 55% Bachelor- und zu 45% Master-Studierende an den Universitäten Xi’an International Studies University (XISU) und Inner Mongolia University of Technology (IMUT). Von den 45% Master-Studierenden führten 17% ihr Studium „Master of Busi-ness Administration (MBA)“ an der IMUT berufsbegleitend durch. Gewon-nen wurde ein Korpus von 480 SMS-Dialogen; sämtliche Berechnungen und Datenbeispiele in der vorliegenden Untersuchung entstammen die-sem. Metadaten zu Alter, Geschlecht, Beruf, Bildungsniveau und Bezie-

7 Vgl. u.a. Blom/Gumperz (1972); Gumperz (1982); Li/Milroy (1995); Li (1998; 2002; 2005); Auer (1984; 1995; 1998; 2009).

8 Das PPP-Forschungsprojekt „Kommunikation in den Neuen Medien: Kontrastive Un-tersuchungen chinesischer und deutscher SMS-Nachrichten“ unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Günthner und Prof. Dr. Renbai Wen wurde von Januar 2010 bis De-zember 2011 an zwei Universitäten (Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Deutschland und Xi'an International Studies University, Xi'an, VR China) durchge-führt.

9 Für die Unterstützung bei Datenerhebung bedanke ich mich sehr bei Frau Li Ma, Inner Mongolia University of Technology (IMUT), und Herrn Gang Wang. Ihre Mitarbeit hat mich sehr unterstützt.

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hung der SchreiberInnen zueinander wurden erhoben. Alle SMS-Nachrich-ten wurden in Bezug auf Personennamen anonymisiert. Chinesische Studierende sind in hohem Maße mehrsprachig. Da an chine-sischen Schulen ab der Grundschule Englisch und ab dem Gymnasium zu-sätzlich Deutsch, Japanisch oder Russisch unterrichtet wird, sind sie in der Lage, zwei oder drei Sprachen in einer SMS-Nachricht zu benutzen, wenn sie an der Universität eine dritte Fremdsprache erlernen. In meinen SMS-Daten wechseln sie zwischen drei Sprachen und zwei Schriftsystemen. Die-se Vorkommen von Code- und Script-Switching sollen im Folgenden unter-sucht werden.

3. Die Eingabe der chinesischen Schriftzeichen

Bevor auf die SMS-Nutzung der chinesischen Studierenden eingegangen wird, möchte ich das Verfahren beim Schreiben chinesischer SMS-Nach-richten behandeln. Hauptstock/König/Zhu (2010) stellen die Besonderhei-ten bei der Texteingabe und der Interpunktion in chinesischen und deut-schen SMS-Nachrichten heraus, die sich beispielsweise in der Umfunktio-nierung des Leerzeichens in chinesischen SMS-Nachrichten zeigen.10 Die AutorInnen kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Abfassung von deut-schen und chinesischen SMS-Nachrichten die Eingabeprozedur der beiden Sprachen entscheidend ist. Dass viele Tausende Schriftzeichen im Chinesischen existieren, ist weithin bekannt. Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gibt es neben den normalen Schriftzeichen die lateinische Hanyu-Pinyin-Umschrift, die von der chinesischen Regierung eingeführt wurde (Shao 2005: 17). Dabei wer-den die chinesischen Schriftzeichen in das Lateinische übertragen und mit Lautzeichen11 versehen. Zur Verdeutlichung soll ein einfaches Beispiel dienen, um darzustellen, wie Hanyu-Pinyin aussieht und wie das System z.B. am Mobiltelefon funktio-niert. Soll das Wort „ (n , auf Deutsch: du)“ in einer chinesischen SMS-

10 Vgl. Hauptstock/König/Zhu (2010: 20) zur Analyse mit konkreten Beispielen. 11 Chinesisch ist eine Tonsprache, und für ein chinesisches Wort gibt es bis zu vier un-

terschiedliche Töne. Ausführlichere Erläuterungen zu diesem Phänomen anhand des typischen Beispielswortes ma finden sich in Hauptstock/König/Zhu (2010).

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 149

Nachricht benutzt werden, muss zuerst die Hanyu-Pinyin-Form ni12 einge-tippt werden. Die vier unterschiedlichen Töne wie n (gleichbleibender Ton), ní (steigender Ton), n (fallend-steigender Ton) und nì (fallender Ton) wer-

den berücksichtigt: „Auf dem Handydisplay werden Ton-Alternativen mit den entsprechenden Schriftzeichen angezeigt, wobei die am häufigsten verwendeten Varianten zuerst angeführt werden“ (Hauptstock/König/Zhu 2010: 12). Für Computer bzw. Mobiltelefone gibt es Programme, die nach Eingabe der Hanyu-Pinyin-Umschrift ein Schriftzeichen ausgeben. Bereits während der Eingabe des Hanyu-Pinyins erscheinen auf dem Handydisplay gleichzeitig mehrere Schriftzeichen zur Auswahl. Diese Schriftzeichen tragen alle die-selbe Lautfolge ni, wie die Screenshots 1 und 2 zeigen. Ein Schriftzeichen kann vom Computer bzw. Mobiltelefon erkannt und als erstes auf dem Handydisplay angezeigt werden, wenn es sehr oft von SchreiberInnen selbst verwendet wird. Wie oben erläutert, zeigt die Auswahl im Screenshot 1 zwischen den Tasta-turfeldern und dem Bildschirm die am häufigsten verwendeten Schriftzei-chen an. Wird hier nicht die richtige Alternative gefunden, muss der Pfeil nach dem letzten Zeichen „ “ gedrückt werden und eine Tabelle mit wei-

teren Wahlmöglichkeiten öffnet sich, wie Screenshot 2 zeigt. Manchmal muss auf dem Handydisplay mehrfach geblättert werden, bis das richtige Schriftzeichen erscheint.

12 Bei der Eingabe müssen die unterschiedlichen Töne, hier der fallend-steigende Ton, der durch v markiert wird, nicht berücksichtigt werden.

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150 Ying Ma

Screenshot 1 Screenshot 2

Nachdem das passende Wort „ “ ausgewählt wurde, erscheinen mehrere Schriftzeichen auf dem Handydisplay, die in Kombination mit „ “ sinnvol-

le Wörter oder Phrasen bilden können, wie die Screenshots 3 und 4 zeigen. Die SchreiberInnen können das im jeweiligen Kontext richtige Wort aus-wählen. Im vorliegenden Beispiel findet man z.B. „ (n shì, auf Deutsch: du bist)“, „ (n shu , auf Deutsch: du sagst)“, „ (n yào, auf Deutsch: du möchtest/sollst)“, „ (n y u, auf Deutsch: du hast)“, „ (n h o ma, auf Deutsch: Geht es dir gut?)“ und „ (n zài n , auf Deutsch: Wo

bist du?)“ usw. Wenn es ein passendes Wort in der Liste für die geplante Äußerung gibt, kann es direkt ausgewählt werden; wenn nicht, kann es weiter durch „blättern“ gesucht (vgl. Screenshot 4) oder das passende Wort selbst eingetippt werden. Dieses Verfahren wird bei allen Wörtern wiederholt.

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 151

Screenshot 3 Screenshot 4

Soll anstatt eines Schriftzeichens das Hanyu-Pinyin in einer chinesischen SMS-Nachricht verschriftlicht werden, muss das oben erwähnte Verfahren (vgl. Screenshot 5) angewandt werden. Allerdings wird hier anstelle eines Schriftzeichens die Taste „ (auf Deutsch: bestätigen)“ ganz unten

rechts im Screenshot 5 benutzt, so dass das Hanyu-Pinyin ni erscheint, wie Screenshot 6 zeigt. Da es tausende chinesische Schriftzeichen gibt, wurde außerdem die Idee entwickelt, die Schriftzeichen mit dem Finger direkt auf das Handydisplay zu malen, statt Zeichen für Zeichen einzutippen. Das System kann Zeichen erkennen, die mit einem Zug ausgeführt werden, aber auch solche, die in einer anderen als der üblichen Reihenfolge gezeichnet werden.13 Da diese Schreibtechnik allerdings bei den Befragten in dieser Studie nicht sehr beliebt ist, verzichte ich hier auf die Darstellung dieser Prozedur.

13 Hierbei muss erwähnt werden, dass es im Chinesischen wichtig ist, die Striche in einer bestimmten Reihenfolge auszuführen.

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Screenshot 5 Screenshot 6

Die nachfolgenden Auswertungen zeigen, wie die chinesischen Studieren-den mit der neuen Kommunikationstechnik – hauptsächlich mit dem SMS-Dienst – umgehen. Die Ergebnisse der Umfrage sind in Prozentzahlen an-gegeben. Anschließend werden die Analysen vorgestellt, die die Zusam-menhänge zwischen SMS-Nutzungshäufigkeit, Nutzungsmotiven und ande-ren Faktoren aufzeigen.

4. Nutzung von SMS-Nachrichten durch die chinesischen Studierenden und kommunikative Faktoren

Nach meiner Untersuchung werden täglich durchschnittlich 10 SMS-Nach-richten versendet. 70% der Befragten geben an, täglich mindestens zehn oder mehrere SMS-Texte zu verschicken. Die primären Kommunikations-partner, die die SMS-Texte versenden und empfangen, werden in den fol-genden Tabellen gezeigt (vgl. Abb. 1 und Abb. 2).

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 153

Abb. 1: Kommunikationspartner der SMS-Texte (Sender)

Abb. 2: Kommunikationspartner der SMS-Texte (Empfänger)

Wie Abb. 1 zu entnehmen ist, stehen in der Kategorie „sehr oft“ Freunde als Kommunikationspartner der Befragten mit 24% an erster Stelle und Partner (Beziehung) mit 18% an zweiter Stelle, während Familienmitgliedern nur gelegentlich (8%) eine SMS-Nachricht geschickt wird. In der Kategorie „oft“ sind Freunde (47%) und Mitstudierende (34%) die primären Kommunikati-onspartner. Die Empfänger einer SMS-Nachricht (Tabelle 2) gleichen in Ab-hängigkeit von den Kommunikationspartnern – Familie, Freunde, Partner

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154 Ying Ma

(Beziehung), Mitstudierende und Sonstige – den Versendern von SMS-Nachrichten an bestimmte Kommunikationspartner (Tabelle 1). In der Gruppe der „Sonstigen“ überwiegen in der Kategorie „selten“ Mitar-beiter, Lehrer, Bekannte der Befragten oder Fremde. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie von Nowotny (2005), die feststellte, dass in der deutschen SMS-Kommunikation ebenfalls die SMS-Nachricht als „eine Nutzung für förmliche Kontakte mit Vorgesetzten oder Lehrern selten“ ver-wandt wird (Nowotny 2005: 28). Diese Analysen zeigen, dass SMS-Kommu-nikation sehr häufig unter Studierenden eingesetzt wird. Also ist zu erwar-ten, dass sie informell ist und deswegen Auswirkungen auf die Art des Code-Switchings in chinesischen studentischen SMS-Nachrichten hat. Dass die SMS-Kommunikation vorwiegend auf den Radius des persönli-chen sozialen Netzwerkes beschränkt ist, ist eindeutig. Dies spiegelt sich auch in den Kommunikationsmotivationen der SMS-Verfasser wider, wie die folgende Tabelle zeigt (Abb. 3).

Abb. 3: Kommunikationsmotivationen per SMS-Nachrichten

“ ”

“ ”

ü

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 155

Wie eingangs dargestellt, ist die SMS-Kommunikation als neue Kommuni-kationsform14 von enormer gesellschaftlicher Bedeutung. Dabei stehen bei den Befragten als Nutzungsmotive Emotion ausdrücken sowie Information und Klatsch & Tratsch im Vordergrund. Besonders das Motiv Emotion aus-drücken (77%), wie zum Beispiel Gefühle, Zuneigung oder momentane Launen zeigen etc., ist in der vorliegenden Untersuchung stark ausgeprägt. An zweiter Stelle steht das Motiv Informationen übermitteln (51%): Freun-dInnen werden über das Tagesgeschehen und die momentane Beschäfti-gung informiert, Studieninhalte sowie Probleme besprochen, gegenseitig Ratschläge gegeben usw. Genauso häufig wie Klatsch & Tratsch (51%) sind Begrüßungen wie hallo oder Verabschiedungen wie gute Nacht/schlaf schön. Gerade dies erklärt auch manche Formen von Code-Switching in chinesischen studentischen SMS-Nachrichten. Da die Grußformel routine-mäßig in Alphabetschrift erfolgt, die sich die chinesischen Studierenden beim Fremdsprachenlernen schnell aneignen können, ist es nicht verwun-derlich, wenn sie diese Formeln auf Englisch oder Deutsch in ihren SMS-Nachrichten verwenden. Die Antwort auf die Frage „Mit welcher Texteingabeprozedur schreibst Du gerne SMS-Texte?“ ergab, dass die Hanyu-Pinyin-Texteingabeprozedur15 bei 95% der Befragten sehr beliebt ist. „Willst Du eher eine einzelne SMS-Nachricht oder eher im längeren SMS-Dialog schreiben? Wenn im längeren Dialog, mit wem und zu welchem Thema?“ 47% bzw. 48% aller Befragten gaben an, dass sie eher einmal hin und her bzw. im längeren SMS-Dialog kommunizieren. Dagegen schreiben nur 5% eher eine einzelne SMS-Nach-richt. Und die SMS-Kommunikationspartner Freunde/Freundinnen stehen mit 34% an der Spitze, gefolgt von Partner (Beziehung) mit 12%. Die An-zahl der Mitstudierenden beträgt 6%, der Familienmitglieder 3% sowie der Lehrer 1%. In der folgenden Tabelle (vgl. Abb. 4) zeigt sich, wie wichtig die Frage nach dem Befinden der Familienmitglieder/Freunde/Partner (Beziehung) per SMS-Nachrichten ist.

14 Für die Differenzierung von „Medium“, „Kommunikationsform“ und „Gattung“ etc. siehe Dürscheid (2005).

15 Die ausfühliche Beschreibung von Hanyu-Pinyin-Texteingabeprozedur siehe Kapitel 3.

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Abb. 4: Themen in SMS-Texten bei den Befragten

Nach der Faktorenanalyse stellen die wichtigsten Themen in SMS-Texten Einkauf/Mode, Liebe/Beziehung sowie Alltagsleben dar. Da alle Befragten Studierende sind, ist Studium/Beruf ebenfalls ein wichtiges Thema. Wie sie ihre Freizeit verbringen, wird oft in SMS-Nachrichten besprochen. Sie be-grüßen sich manchmal per SMS-Nachrichten und laden die anderen zur Party/Feier ein. Einige wenige Befragte erzählen sich per SMS-Nachrichten etwas Interessantes oder entschuldigen sich. Diese ganz privaten bzw. fa-miliären Themen bieten den chinesischen Studierenden eine Möglichkeit, verschiedene Sprachen in ihren SMS-Nachrichten zu benutzen.

5. Code-Switching in SMS-Nachrichten

Code-Switching ist einer der Untersuchungsgegenstände, der in den letzten Jahrzehnten in der Sprachwissenschaft in vieler Hinsicht sehr intensiv be-handelt wurde (vgl. u.a. Li/Milroy 1995; Li 2002, 2005; Androutsopoulos/ Ziegler 2004; Ziegler 2005; Auer 2009; Androutsopoulos 2007; 2013). Laut Androutsopoulos (2013) wurde es in der elektronisch vermittelten Kommu-nikation im Vergleich zu anderen Sprachkontaktphänomenen weniger er-forscht. Im Folgenden wird der Forschungsstand anhand der Untersuchun-gen von Gumperz (1982), Auer (1995; 1999; 2009) und Li (1998; 2002; 2005) dargestellt.

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 157

Auer (1995) geht davon aus, dass Code-Switching als ein contextualisation cue analysiert werden sollte, wie Li (1998: 162) bestätigt: „In order that the meaning of code-switching is studied adequately, code-switching itself must be taken seriously as a conversational activity“. Das Konzept contex-tualisation cue wurde zuerst von Gumperz (1982: 131) eingeführt. Er ver-stand darunter, dass SprecherInnen und ZuhörerInnen sich die für die In-terpretation ihres Verhaltens relevanten Kontexte signalisieren, damit sie die spezifischen sozialen Bedeutungen im Gespräch erkennen können. Nach Li/Milroy (1995) weist Code-Switching einige Merkmale zusätzlich zu denen auf, die es mit Elementen wie Gestik, Prosodie und phonologischen Variablen gemeinsam hat, insbesondere „the sequential organisation of alternative choices of language“ (Li/Milroy 1995: 282). Daraus folgert Auer (1998), einer der ersten Forscher, die die conversation analysis (CA) ver-wenden, um zweisprachige Interaktion zu untersuchen, dass Code-Switching als „alternating use of two or more codes within one conversati-onal episode“ (Auer 1998: 1) bezeichnet werden muss. Beim konversatio-nellen Code-Switching handelt es sich nicht um eine wahllose Mischung von Sprachen im Gespräch, sondern um eine intendierte und bewusste Auswahl,16 Hintergrund und kulturelle Identität des Sprechenden fließen mit ein. In der vorliegenden Arbeit gehe ich mit Auer (1995) davon aus, dass Code-Switching funktional benutzt wird. Im Folgenden erläutere ich mithilfe einer exemplarischen Analyse, welche Formen von Code-Switching in meinem Korpus der chinesischen studentischen SMS-Nachrichten17 vorkommen und welche Funktionen damit verbunden werden.

16 Vgl. Auer (1999). 17 Anmerkung: Alle chinesischen SMS-Nachrichten, die ich als Beispiele anführe, wer-

den zuerst Wort für Wort übersetzt, dann folgt die sinngemäße deutsche Überset-zung. Zuletzt wird eine Erklärung für den Beispielsatz gegeben, falls dies für das Ver-ständnis erforderlich ist.

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158 Ying Ma

Beispiel 1 Chinesisch (Standard) - Deutsch

Mein lila Mappe, Ladegerät alle finden (Frage)Partikel? Präp.(zur Voranstellung des Akkusativobjekts) sie und PGG (Prüfung Germanistik im Grundstudium) Zeugnis legen zusammen Interjektion

Hast du meine lila Mappe und mein Ladegerät gefunden? Wenn ja, leg sie dann bitte mitmeinem PGG-Zeugnis zusammen.

SchreiberIn 1A (männlich 21 Jahre alt)

mach dir keine Sorgen. kein Problem,

Kein Problem! Mach dir keine Sorgen.SchreiberIn 1B (männlich 22 Jahre alt)

In Beispiel 1 erfolgt das Code-Switching zwischen Chinesisch und Deutsch. Schreiber A und B sind Studienfreunde. A bittet B, die lila Mappe und das Ladegerät von A zu suchen und sie mit As PGG-Zeugnis (PGG: Prüfung Ger-manistik im Grundstudium) zusammenzulegen. B antwortet zuerst auf Chi-nesisch „kein Problem“ und anschließend nochmals auf Deutsch „Mach Dir keine Sorgen.“ Mit dieser Wiederholung möchte B seine Antwort ver-stärken und die Sorge von A mindern. Hier bezieht sich das chinesische „kein Problem“ eher auf eine sachliche Antwort, während der deutsche Satz „Mach Dir keine Sorgen“ eine Emotion ausdrückt. Ein weiteres Beispiel für Code-Switching zwischen Chinesisch und Englisch aus meinem SMS-Korpus ist das Folgende:

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 159

Beispiel 2 Chinesisch (Standard/Dialekt) - Englisch

kleiner Junge, in letzter Zeit tun was (Frage)Partikel?

Kumpel, was tust du in letzter Zeit?

SchreiberIn 1A (männlich 21 Jahre alt)

Kumpel in letzter Zeit beschäftigensich Adverb wollen sterbenModalPartikel Freundin Laune nicht gut

Ich bin in letzter Zeit sehr beschäftigt. Meine Freundin hat schlechte Laune.SchreiberIn 1B (männlich 20 Jahre alt)

scheiße! du Präp.(zur Voranstellung des Akkusativobjekts)sie wie (Modal)Partikel?

Scheiße! Was hast du denn gemacht?SchreiberIn 2A (männlich 21 Jahre alt)

Interjektion, nicht wie, nicht wissen sie ein Tag denken was(Modal)PartikelPlan (hinter jm./etw.)zurückbleiben/-stehen (Ver)Änderung

(Seufzen,) nichts. Ich weiß nicht, woran sie (die Mädels) täglich denken.Heute so, morgen so.SchreiberIn 2B (männlich 20 Jahre alt)

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Genau sein, du sollen erlernen mit/durchRuhe/Stille kontrollieren Bewegungbeeilen sich viel begleiten sie, nicht(tun) lassen sie laufen (Modal)Partikel

Ja, genau. Du kannst nichts machen. Warte ab! Du solltest viel Zeit mit ihr verbrin-gen, damit sie dich nicht verlässt.SchreiberIn 3A (männlich 21 Jahre alt)

Interjektion, laufen Adverb AdverbNonne, laufen nicht AdverbNonnenkloster

Hehe, das schafft sie nicht.SchreiberIn 3B (männlich 20 Jahre alt)

Interjektion genau! Jetzt ein Tag Studiumbeschäftigt nicht, oft schlagen Ball nicht?

Haha, genau. Bist du gerade sehr beschäftig mit dem Studium? Spielst du noch oft Basketball?SchreiberIn 4A (männlich 21 Jahre alt)

wichtige Angelegenheit ein Tag allebeschäftigen nicht enden nicht könnenlernen, schlagen Ball (Modal)Partikeldu beschäftigen was (Frage)Partikel?

Ich habe mich mit vielen anderen Dingen beschäftigt und habe sogarkeine Zeit fürs Lernen geschweige dennfür Basketball spielen. Und du? Was machst du?SchreiberIn 4B (männlich 20 Jahre alt)

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 161

Interjektion, einander einander. MeinFreundin in dieser Zeit auch nicht wissenbekommen/haben was Nerv, immer nichtreden/kümmern sich ich

(Seufzen) ähnlich wie bei dir. Ich weiß auch nicht, was mit meiner Freundin in letzter Zeit los ist. Sie redet nicht mit mir.SchreiberIn 5A (männlich 21 Jahre alt)

Ihr beide kalt Krieg (Frage)Partikel?Haben Spaß nicht?

Habt ihr beiden kalten Krieg? Macht das Sinn?SchreiberIn 5B (männlich 20 Jahre alt)

fuck u ( )

SchreiberIn 6A (männlich 21 Jahre alt)

In diesem Beispiel fragt Schreiber A seinen Freund B, wie es ihm in letzter Zeit erging und was er machte (1A). B antwortet, dass er sehr beschäftigt war und seine Freundin schlechte Laune hatte (1B). Darauf schlägt A sei-nem Freund vor, viel Zeit mit seiner Freundin zu verbringen, damit sie ihn nicht verlässt (3A). B entgegnet, dass seine Freundin das nicht beabsichtigt (3B). A wechselt das Gesprächsthema, indem er B fragt, ob er neben dem Studium noch oft Basketball spielt (4A). Nach der Antwort sagt A, dass sei-ne Freundin nicht mehr mit ihm reden will (5A). B fragt in der Folge: „Habt ihr beiden kalten Krieg? Macht euch das Spaß?“ (5B). B rät A, damit aufzu-hören. A beendet daraufhin das Gespräch mit fuck u (6A). Die Frage von 5B „Macht euch das Spaß?“, was man als Scherz oder Frot-zeln18 verstehen könnte, löst den Wechsel der Sprache vom Chinesischen ins Englische von 6A aus. Die Antwort von 6A mit fuck u stellt in diesem

18 Vgl. Günthner (1996; 1999).

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Beispiel keine Beleidigung dar, sondern ist eher als eine Reaktion auf das Frotzeln anzusehen. Dieses Resultat entspricht der Untersuchung von An-droutsopoulos/Ziegler (2003), in der der Gebrauch eines Dialekts anstelle von Hochdeutsch in der Chat-Gemeinschaft zu diesem Zweck beschrieben wurde. Nach diesen Autoren trägt „diese unernste Modalität dazu bei, eine Äußerung als spielerisch, übertrieben, nicht ernst zu nehmend zu konstitu-ieren“ (Androutsopoulos/Ziegler 2003: 260). Das hier diskutierte chinesi-sche Beispiel stellt insofern auch ein Beispiel für eine Form des Code-Switchings dar, das diese ludische Funktion erfüllt. Code-Switching kann auch zwischen drei Sprachen – Chinesisch, Englisch und Deutsch – erfolgen, wie das folgende Beispiel aus den chinesischen SMS-Daten zeigt. Beispiel 3 Chinesisch – Deutsch - Englisch

baby,

haben Intensive Reading Band einsLehrerhandbuch (Frage)Partikel

Baby, hast du das Lehrerhandbuch fürIntensive Reading Band eins?

SchreiberIn 1A (weiblich 20 Jahre alt)

Du sein meinen Englisch IntensiveReading (Frage)Partikel? Du fragenHilfswort zu spät (Vergangenheits)Partikel, ich früh Adverb nicht(Vergangenheits)Partikel, wir Wohnheim(Attributs)Partikel Mensch auch allenicht haben (Vergangenheits)Partikel

Meinst du das College English Intensive Reading? Leider hast du michzu spät gefragt und meins ist schon seit langem weg. Auch die von meinen Mitbewohnerinnen sind alle schon weg.

SchreiberIn 1B (weiblich 23 Jahre alt)

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 163

Sehr good nicht

Das ist aber sehr schlecht.

SchreiberIn 2A (weiblich 20 Jahre alt)

Interjektion lernen Deutsch (Modal)Partikel

Huhuu, hast du Deutsch gelernt?SchreiberIn 2B (weiblich 23 Jahre alt)

A fängt ihre SMS-Nachricht mit dem englischen Wort baby an und richtet danach sofort eine Bitte an B, die drei Jahre älter als A und ein paar Semes-ter länger an der Universität als A ist (1A). Das Kosewort baby als eine in-formelle Anrede benutzt A, um ihre Einstellung zu zeigen und die nähere Beziehung zu B anzudeuten. Diese Verwendung entspricht dem Kontext der SMS-Nachricht, weil A B bat, ihr Lehrerhandbuch auszuleihen. In diesem Zusammenhang wirkt die Anrede baby viel familiärer bzw. lockerer19 als andere Varianten, wie z.B. der Gebrauch von Vor- und/oder Nachname von B, was in China normalerweise gebräuchlich ist, sowie die im Chinesischen ansonsten übliche formelle Anrede „Meine Vorgängerin“ (dies bezieht sich auf die höhere Semesterzahl von B). Nach der negativen Antwort von B wechselt A wieder die Sprache (2A). Mit dem deutschen Ausdruck sehr drückt A ihre Enttäuschung aus. Danach wechselt sie zurück ins Chinesische, um ihre Meinungsäußerung zu Ende zu bringen. Ein Grund, warum A den Rest des Satzes nicht auf Deutsch schreibt, kann dem Folgekontext dieser SMS-Nachricht entnommen wer-den: A hat bis jetzt nur wenig Deutsch gelernt (3A). Deswegen ist A nicht in der Lage, alle Wörter auf Deutsch zu schreiben. Am Schluss des Satzes verwendet sie Englisch. Ein weiterer Grund ergibt sich aus dem Vorkontext der SMS-Nachricht. Auf die Frage von A „Hast (du) das Lehrerhandbuch für Intensive Reading Band eins?“ (1A) antwortet B, dass es schon längst ab-handen kam wie auch das von ihren Mitbewohnerinnen (1B), obwohl A

19 Vgl. Linke (2006).

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nicht nach den Mitbewohnerinnen von B fragte. Mit dieser Antwort zeigt B, dass sie A nicht mehr weiterhelfen kann bzw. will. A versteht die Absicht von B. In diesem Fall hört sich die chinesisich-englische Kombination good nicht so stark an wie die reine chinesische (auf Deutsch:

schlecht, 2A), und die Unzufriedenheit von A wird damit abgeschwächt. Der folgende SMS-Dialog zwischen zwei befreundeten Studentinnen ist ein Sonderfall von Code-Switching in meinem Korpus. Hier kommt es zu einem Wechsel von chinesischen Schriftzeichen zu Hanyu-Pinyin: Beispiel 4 Chinesisch (Schriftzeichen) – Chinesisch (Pinyin)

Machen was (Frage)Partikel?

Was machst du gerade?SchreiberIn 1A (weiblich 20 Jahre alt)

hochgehen Unterricht(Modal)Partikel,wie Partikel?

(Ich) Bin im Unterricht, wieso?SchreiberIn 1B (weiblich 19 Jahre alt)

Unbeschäftigt nicht wissen machen was

Ich bin im Augenblick unbeschäftigt [Mir ist so langweilig] und ich weiß nicht, was ich machen sollSchreiberIn 2A (weiblich 20 Jahre alt)

Salzig trinken Wasser gehen

Wenn es dir salzig [langweilig] ist,gehe mal Wasser trinken.SchreiberIn 2B (weiblich 19 Jahre alt)

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 165

Nicht schlagen(holen)

Ich habe kein Wasser geholt.SchreiberIn 3A (weiblich 20 Jahre alt)

Wasserhahn eins drehen/schrauben Ad-verb haben Partikel

Dreh mal den Wasserhahn auf und du hast sofort Wasser.SchreiberIn 3B (weiblich 19 Jahre alt)

Kühl Partikel sehr trinken nicht gelingenwieviel Uhr untergehen Unterricht

Das ist aber so kalt, dass man es gar nicht trinken kann. [Hier redet man den Shaanxi-Dialekt.] Wann geht der Unterricht zu Ende?SchreiberIn 4A (weiblich 20 Jahre alt)

Nicht wissen wieder schlafen Weilevielleicht Adverb untergehen Partikeldu wie nicht kommen Weiß (ich) nicht.

Vielleicht geht er bald schon zu Ende,wenn ich noch ein bisschen schlafe. Warum bist du nicht zum Unterricht gekommen?SchreiberIn 4B (weiblich 19 Jahre alt)

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166 Ying Ma

Unbeschäftigt sehr nicht möchten kommen

Ich habe im Augenblick nichts zu tun. [Mir ist so langweilig] und ich möchte haltnicht kommen.SchreiberIn 5A (weiblich 20 Jahre alt)

shi

gehen Dreck

[Hier meint sie aber „si (auf Deutsch: sterben)“.]

dann geh doch sterben

SchreiberIn 5B (weiblich 19 Jahre alt)

gehen gemeinsam

gehen wir zusammen!

SchreiberIn 6A (weiblich 20 Jahre alt)

In diesem Beispiel fällt auf, dass B anstelle von einem chinesischen Schriftzeichen die lateinische Umschrift shi für das chinesische Schriftzei-chen (s , auf Deutsch: sterben) verwendet (5B). A soll eigentlich zum Un-

terricht in der Universität gehen, meint jedoch, dass sie nichts zu tun hat, aber auch nicht zum Unterricht gehen möchte. Dem Vorkontext der SMS-Nachricht ist zu entnehmen, dass A wegen ihrer Langeweile etwas mit B unternehmen möchte. So fragt A B anfangs, was sie gerade macht, ob-gleich sie annehmen muss, dass B im Unterricht ist (1A). Das wird auch von B bestätigt (1B). Dann fragt A, wann der Unterricht endet (4A). B antwortet und fragt: „Warum bist du nicht zum Unterricht gekommen?“ (4B). A wie-derholt ihre Antwort (2A) und erwartet wahrscheinlich einen Vorschlag von B, was die beiden nach dem Unterricht gemeinsam unternehmen sollen (5A). Mit der Antwort von B „Du hast Probleme... wenn dir so langweilig ist,

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„Code-Switching in SMS-Kommunikation“ 167

dann geh doch sterben!“ ist A mit ihrem Plan gescheitert (5B). Mit der Phrase shi statt bringt B ihrer Ungeduld abschwächend zum Aus-

druck, da sie gerade im Unterricht schlief (4B) und A sie offenbar störte. Wie im Beispiel 2 entspricht dieser Wechsel vom Schriftzeichen zu Hanyu-Pinyin den Ergebnissen der Untersuchung von Androutsopoulos/Ziegler (2003). Die Äußerung von 5B wird von A nicht ernst genommen und A schlägt vor, dass die beiden „gemeinsam (sterben) gehen“ (6A).

6. Fazit

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst. Die Studierenden versenden ihren FreundInnen täglich mehrere SMS-Nach-richten, mittels denen sie ihre Emotionen ausdrücken, Kontakt mit den an-deren pflegen, Langeweile vertreiben und Termine vereinbaren. Die meis-ten Studierenden benutzen die Hanyu-Pinyin-Texteingabeprozedur und schreiben ihre SMS-Texte genauso, wie sie sprechen. In ihren SMS-Nachrichten stellen Einkauf/Mode, Liebe/Beziehung und das Alltagsleben die wichtigsten Themen dar. Auf der Basis dieser exemplarischen Analyse konnte gezeigt werden, dass Code-Switching in den chinesischen studentischen SMS-Nachrichten nicht nur zwischen Englisch, Deutsch und Chinesisch erfolgt, sondern auch eine Reihe von anderen Sprachen und Dialekten eine Rolle spielen, beispiels-weise Koreanisch, Japanisch oder der Shaanxi-Dialekt (auch wenn nicht alle Beispiele meiner Untersuchung hier angeführt werden konnten).20 Code-Switching erfüllt dabei verschiedene Funktionen: Als Wiederholung in der anderen Sprache zum Zweck der Minderung von Sorgen; statt Ab-schwächung der tabuisierten chinesischen Ausdrücke eine scherzhafte In-teraktionsmodalität; auf der Beziehungsebene drückt es Nähe oder Distanz aus oder kodiert bestimmte Emotionen, wie z.B. Enttäuschung, Unzufrie-denheit und Ungeduld.

20 Dies entspricht der Untersuchung von Zhu (2003), in der der Sprachgebrauch der Jugendlichen in kontrastiver Sicht Chinesisch–Deutsch beschrieben wurde. Laut Zhu weist der konkrete Sprachgebrauch der Jugendlichen „oft verschiedene Formen des Codewechsels zwischen verschiedenen Varietäten wie Umgangssprache, Dialekt, Standardsprache, und sogar Fremdsprache usw.“ auf (Zhu 2003: 185).

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Außerdem ergab mein Datenkorpus ein Script-Switching von chinesischen Schriftzeichen zu Hanyu-Pinyin. Dieser Wechsel stellt ein bisher nicht be-schriebenes, neues Phänomen dar. Es lässt sich die Hypothese ableiten, dass er sich vorrangig in der jugendkulturellen Kommunikation findet. Des-halb soll im nächsten Schritt die Ursache für diesen Sprachgebrauch Ju-gendlicher erforscht werden. Inwiefern diese Form von Script-Switching ty-pisch für die SMS-Kommunikation Jugendlicher ist, soll durch den Vergleich mit SMS-Nachrichten erwachsener SchreiberInnen überprüft werden. Aus diesen Ergebnissen ergeben sich folgende weiterführende Fragen: In-wieweit folgt das Code-Switching in den chinesischen studentischen SMS-Nachrichten denselben Regeln wie das Code-Switching in der Mündlich-keit? Zudem finden sich einige englische und deutsche Wörter in meinem SMS-Korpus, die von den Studierenden aus reinem Vergnügen mit chinesi-schen Schriftzeichen geschrieben werden. Sind diese Verwendungsformen schriftspezifisch? Diese sprachspielerische Kreativität sollte ebenso Ge-genstand zukünftiger Forschung sein.

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„SMS-Kommunikation von Männern und Frauen am Beispiel von Begrüßungs- und Verabschiedungs-formeln – Zur (Ir-)Relevanz des Zusammenhangs von Sprache und Geschlecht“ MMarianne Wieczorek

1. Einleitung

„Women relate, men report.“ (Wodak 1981) Die Popularität neuer Medien beeinflusst das Forschungsfeld schriftlicher Kommunikation erheblich. Seit Mitte der neunziger Jahre erfährt nicht nur das Internet als Informations- und Kommunikationsmittel einen enormen Zuwachs. Die alltägliche Kommunikation ist zugleich durch die technische Entwicklung des Handys beeinflusst, das durch verschiedene Funktionen zum Mehrzweckmedium funktionalisiert wurde. Aus sprachwissenschaftli-cher Sicht lässt sich die SMS-Sprache als eigener Forschungszweig be-trachten. Nicht zuletzt mit der Veröffentlichung eines SMS-Lexikons (vgl. Schlobinski 2009) wird ein bestehender Zusammenhang zwischen dem Medium Handy und einer spezifischen SMS-Sprache hergestellt. Auch wenn es keine spezifische Mediensprache gibt, ist die sprachliche Ausge-staltung, die zunächst in der E-Mail- und Chatkommunikation deutlich wird, auch in der SMS-Kommunikation auffallend (vgl. Schmitz 2004: 33). Stu-dien, die sich spezifisch mit dem SMS-Kommunikationsstil von Jugendli-chen – die einen großen Teil der Nutzergruppe ausmachen – beschäftigen, weisen auf besondere Schreibweisen in den Nachrichten hin (vgl. Dür-scheid 2002). Zu geschlechtsspezifischen Sprechstilen liegen Studien vornehmlich für die mündliche Kommunikation vor. Zu nennen sind etwa Arbeiten von La-koff (1973), Schmidt (1988), Grimm (2008) und Tannen (1996). Welchen Einfluss der Faktor Geschlecht auf Schreibstile in der SMS-Kommunikation

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174 Marianne Wieczorek

hat, ist bisher jedoch noch unzureichend untersucht.1 Der vorliegende Bei-trag nähert sich der Fragestellung sowohl aus theoretischer als auch empi-rischer Sicht: Welche Relevanz hat der Faktor Geschlecht für die SMS-Kommunikation von Männern und Frauen? Zunächst sollen grundlegende theoretische Aspekte geklärt werden. Im Anschluss daran folgen Ergebnis-se, die bei der Untersuchung eines Korpus von SMS-Nachrichten deutlich wurden. Bei der Betrachtung sind sowohl Grundlagen der Forschungs-schwerpunkte „Sprache und Geschlecht“ als auch „SMS und Kommunika-tion“ zusammenhängend zu betrachten. Die Untersuchung von Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln in SMS-Dialogen2 soll zeigen, inwiefern ein geschlechtsspezifischer Schreibstil in den Nachrichten eine Rolle spielen kann. Dabei wird davon ausgegangen, dass geschlechtstypisches Kommunikationsverhalten nur auf der Basis qualitativer und quantitativer Analysen bestimmt werden kann. Als empiri-sche Grundlage dient ein Datenkorpus, das aus der SMS-Datenbank des Centrum Sprache und Interaktion gewonnen wurde. Es setzt sich aus SMS-Dialogen zusammen, die von Studierenden verschiedener Germanistikse-minare am Germanistischen Institut der WWU Münster eingespeist wurden (vgl. Abschnitt 9.3). Ziel der Arbeit ist nicht, eine allgemeingültige Aussage über männer-und frauenspezifische SMS-Sprache zu treffen; die folgenden Darstellungen beziehen sich allein auf das Untersuchungskorpus von überwiegend studentischen SchreiberInnen, die aus der Region Münster stammen und im Alter zwischen 22 und 26 Jahren sind.

2.1 Theoretische Grundlagen 2.1.1 SMS-Kommunikation

Das Senden und Empfangen von Kurzmitteilungen gehört zu den meistge-nutzten Funktionen des Handys. Im Vergleich zum Telefonieren stellt der schriftliche Informationsaustausch eine neuere Möglichkeit der Kommuni-

1 Höflich/Rössler (2001) stellen in ihrer Studie geschlechtsspezifische Unterschiede jugendlicher SMS-Partner dar, die sich aber ausschließlich auf die Motive des Ge-brauchs beziehen. Bei Dürscheid (2002 a) werden weitere Motive deutlich, wie auch bei Power/Horstmanshof (2006).

2 Da die Arbeit in ihrem Umfang begrenzt ist, ist eine Auswertung weiterer sprachlicher Merkmale nicht möglich.

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kation dar, die Döring als interpersonale SMS-Kommunikation bezeichnet (vgl. Döring 2002b: 4). Der Begriff Kommunikation lässt sich durch die Darstellung der Funktion des Informationsaustausches bei weitem nicht erschöpfend abdecken. Durch die vielfältige und sich in ständiger Veränderung befindlichen Medi-enlandschaft und Technologieentwicklung unterliegt Kommunikation ei-nem dynamischen Wandel. Ebenso lässt sich dem Terminus Medium kein einheitliches Konzept zugrunde legen (vgl. Dürscheid 2005: 2). Zunehmend übernehmen neue Medien im Kommunikationsprozess eine Vermittlungs-funktion, die den Informationsaustausch maßgeblich beeinflusst und ver-ändert. Die dadurch entstehenden Kommunikationsformen wie E-Mail, Kurznachrichten (SMS3) oder internetbasierte Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp begünstigen den Informationsaustausch und tragen zu des-sen Weiterentwicklung bei (vgl. Dürscheid 2002a: 93). Die neueren Entwicklungen vom Handy zum Smart-Phone bestätigen die These Höflichs, dass sich Technologie nie in einem Endzustand befindet. Neue Einflussmöglichkeiten auf die Sozialisationsbedingungen sind immer wieder erkennbar (vgl. Höflich/Rössler 2001: 441). An dieser Stelle lassen sich zum Beispiel Veränderungen im Kommunikationsstil anführen, die durch neue Nutzungsfunktionen, wie das Einfügen von Smileys oder auch das Senden von Bildern, von alten Mustern der schriftlichen Kommunikati-on abweichen (vgl. Höflich/Rössler 2001: 441). Der Gebrauch des Mobil-funkgeräts dient vornehmlich der Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen (vgl. Höflich/Rössler 2001: 444). Die SMS bietet gegenüber anderen Kom-munikationsformen die Möglichkeit, auf schriftliche Weise direkt kommu-nizieren zu können und erfüllt somit die Funktion einer privaten Kontakt-pflege. Durch flexible Erreichbarkeit, die das Handy von einem Telefon mit festem Standort unterscheidet, werden bestimmte Kontaktfunktionen ein-facher und schneller realisiert – wie zum Beispiel spontane Treffen, aber auch kurzfristige Absagen (vgl. Döring 2002b: 16). Im Vordergrund dieser Arbeit soll daher der medial schriftliche kommunikative Austausch zur Kon-

3 Seit den 90er Jahren ist es möglich, SMS über ein Handy zu verschicken. Die anfäng-liche Beschränkung auf nur 160 Zeichen pro Nachricht ist durch den technischen Fortschritt aufgehoben. Auch die langfristige Archivierung von Nachrichten ist durch eine große Speicherkapazität nicht mehr auf wenige SMS begrenzt.

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taktpflege stehen; exemplarisch werden Elemente der Kontaktherstellung fokussiert.

2.1.2 Zur Kommunikationsform SMS

Um die SMS-Kommunikation genauer beschreiben zu können, muss nach Holly (1997) zwischen dem Medium Handy, das als Hilfsmittel fungiert, und der Kommunikationsform SMS, die bestimmte semiotische Merkmale auf-weist,4 unterschieden werden. Die SMS gehört zu einer technisch über das Medium Handy vermittelten, schriftbasierten Form interpersonaler Kommu-nikation (vgl. Dürscheid 2005). SMS lassen sich den Gebrauchstexten zu-ordnen (vgl. Döring 2002b: 11). Folgende Kriterien erweisen sich als not-wendig, um die Kommunikationsform bestimmen zu können:5 1. Zeichentyp: geschriebene Sprache 2. Kommunikationsrichtung: dialogisch 3. Anzahl der Kommunikationspartner: zwei 4. Räumliche Dimension: Distanz 5. Zeitliche Dimension: asynchron 6. Kommunikationsmedium: Handy Durch textexterne Kriterien kann die SMS auf diese Weise von weiteren schriftlich medialen Kommunikationsformen wie Chat oder E-Mail unter-schieden werden: Bei der SMS-Kommunikation findet der Austausch nur über die geschriebene Sprache in Dialogform statt.6 Während Chat und E-Mail zwischen mehr als zwei Kommunikationspartnern ablaufen können, werden SMS in der Regel nur zwischen einem Sender und einem Empfänger

4 Um eine Kommunikationsform bestimmen zu können, sind der Zeichentyp, die Kom-munikationsrichtung sowie die Kapazität zur Speicherung und Übertragung zu be-rücksichtigen (vgl. Holly 1997: 65).

5 In Anlehnung an Dürscheids Kriterien für die Kommunikationsform Chat (vgl. Dür-scheid 2005), wurden textexterne bzw. textinterne Merkmale für die Kommunikati-onsform SMS zusammengestellt.

6 Döring weist daraufhin, dass die SMS sowohl als dialogisch als auch als monolo-gisch bezeichnet werden kann, da die einzelne SMS als abgeschlossene Einheit zu behandeln ist, die erst durch eine Antwort die dialogische Funktion bekommt (vgl. Döring 2002b: 12).

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verschickt. Die Textproduktion und das Empfangen der Nachricht erfolgen zeitversetzt. Dürscheid beschreibt die zeitversetzte „Kommunikation [als] asynchron“ und sieht darin den Vorteil (vgl. Dürscheid 2002b: 5). Ein direk-ter Austausch wie bei einer face-to-face Kommunikation oder einem Tele-fongespräch ist zwischen dem Sender und dem Empfänger nicht möglich (vgl. Dürscheid 2002a: 94).7

2.1.3 Kommunikationsstrategien zwischen den Geschlechtern

Eine grundlegende Hypothese in der Soziolinguistik lautet, dass Männer und Frauen anders kommunizieren. Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten im Kommunikationsverhalten zwischen den Geschlechtern sind Gegen-stand zahlreicher Untersuchungen (vgl. Lakoff 1973; Aries 1984; Klann-Delius 2005; Grimm 2008; Günthner 1992). Diesen Untersuchungen liegen verschiedene Theorien über geschlechtsspezifisches Kommunikationsver-halten zugrunde.8 Robin Lakoff entwickelt in Anlehnung an Jespersen (1925) eine Defizithypothese, Maltz/Borker (1991) gehen hingegen von einer Differenzhypothese aus. Die Arbeiten von Garfinkel/Sacks (1970) sind grundlegend für den Ansatz des doing gender. Geschlecht wird hier nicht als vorgegebene, außersprachliche Variable aufgefasst, die sich auf den Sprachprozess auswirkt. Vielmehr sind Unterschiede im Kommunikati-onsverhalten als ein Ergebnis sozialer Handlungen zu verstehen (vgl. Ayaß 2008: 14). Im Rahmen des Ansatzes des doing gender wird die Verwen-dung unterschiedlicher sprachlicher Mittel überprüft, die nicht schlicht ei-nem sozialisationsbedingt typisch weiblichen oder männlichen Kommuni-kationsverhalten zuzusprechen ist. Die Trennung in „weiblich“ und „männ-lich“ gründet vielmehr auf einer sozialen Konstruktion von Geschlecht, die von einer symbolischen Ordnung geprägt ist, die auch sprachlich ausge-führt werden kann (vgl. Samel 2000: 149). Auch Günthner/Hüpper/Spieß beziehen sich auf die Komplexität und Verfahren der sprachlichen Kon-struktion von Geschlechtsidentität, „die von zahlreichen sprachlichen und

7 An dieser Stelle gilt es von der Kommunikationsform WhatsApp zu unterscheiden, die dem Sender erkenntlich macht, ob der Empfänger die Nachricht erhalten und ge-lesen hat bzw. wann er das letzte Mal online war.

8 Einen Überblick über die Entwicklungstendenzen der Genderlinguistik bieten Günth-ner, Hüpper und Spieß (2012).

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außersprachlichen Faktoren bedingt sind“ und somit nicht auf eine Grund-annahme reduziert werden kann (Günthner/Hüpper/Spieß 2012: 6).

2.1.4 Befunde zu weiblichem und männlichem Kommunikations-verhalten

Wie bereits festgestellt wurde, weisen einige linguistische Studien auf Un-gleichheiten in der Konversation von Frauen und Männern hin. Oftmals weicht nicht nur der Sprechstil sondern auch das nonverbale Verhalten von Frauen in der gemischtgeschlechtlichen Konversation von dem der Männer ab (vgl. Trömel-Plötz 1984: 291). Bei der Analyse eines weiblichen Sprech-stils wird zudem auf sprachliche Mittel verwiesen, die eine abschwächende Wirkung haben. Lakoff stellt unter anderem „differences between the speech of women and that of men in the use of particles“ heraus (Lakoff 1973: 50). Frauen, so wird ebenso angeführt, reagieren oft positiver und auch höflicher (vgl. Eakins/Eakins 1978: 33). Die Vermeidung von negati-ven Reaktionen und auch der Wunsch nach zurückhaltendem Auftreten lassen sich als Motive für das unsichere Verhalten anführen (vgl. Ea-kins/Eakins 1978: 43). Im Vergleich zum weiblichen Kommunikationsstil wird dem männlichen Kommunikationsverhalten eine fehlende soziale Ori-entierung unterstellt (vgl. Schmidt 1988: 39). Es sei durch Sachlichkeit und Geradlinigkeit gekennzeichnet und erscheine deshalb häufig weniger ko-operativ. Der Aspekt der „Dominanz“ wird weiterhin relevant, da der männ-liche Gesprächspartner häufig als die Person zu identifizieren ist, die die Themensteuerung übernimmt (vgl. Trömel-Plötz 1992: 109). Laut Trömel-Plötz (1984: 358) bevorzugen Männer vor allem sprachliche Mittel, die ihnen Macht verleihen und somit die Demonstration von Überlegenheit er-möglichen. Ein so unterschiedliches Interaktionsverhalten wird in den Ansätzen, die die Differenz von weiblichem und männlichem Kommunikationsverhalten betonen, auf getrennte Sozialisation von Frauen und Männern zurückge-führt (vgl. Günthner 1992). Durch bestimmte gesellschaftliche Lebensbe-dingungen der Geschlechter haben sich spezifische sprachliche Kommuni-kationsweisen verfestigt. Diese führen dazu, dass Frauen und Männer un-terschiedlich kommunizieren. Jedoch lässt sich eine solch stereotype An-

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nahme dadurch widerlegen, dass weder die Frau eine Sprache spricht, die der Mann nicht versteht noch der Mann sich über eine Sprache artikuliert, die die Frau nicht versteht. Diese zunächst erkennbare Feststellung schließt jedoch nicht aus, dass es Unterschiede in der Sprachverwendung von Männern und Frauen gibt (vgl. Günthner 1992: 124). Berücksichtigt man diese Aspekte, so wird erkennbar, dass Kommunikation von Frauen und Männern aus mehreren Perspektiven betrachtet werden muss. Eine Erklärung sprachlicher Muster, die nur auf den Faktor Geschlecht zurückge-führt wird, erweist sich schnell als unzureichend. Vielmehr müssen spezifi-sche kommunikative Ziele und Zwecke berücksichtigt, um einzelne Kom-munikationssituationen bewerten zu können. Zudem sind auch weitere Ein-flussfaktoren, wie beispielsweise das spezifische Verhalten innerhalb einer Gruppe, zu berücksichtigen (vgl. Kohlbrecher 1990: 33). Die unterschiedli-chen sprachlichen Verhaltensweisen der Geschlechter lassen sich also nicht als bloßes Ausdrucksverhalten interpretieren, das sich aus nur einer sozialen oder aus einer biologischen Konstante ableiten lässt. Vielmehr muss der situative Gesprächskontext bei der Analyse berücksichtigt wer-den. „Prozesse und Kontextualisierungen von Geschlechtskonstruktionen“ stehen im Fokus der Analyse (Günthner/Hüpper/Spieß 2012: 9). Während es in manchen Situationen relevant sein kann, Geschlechtsunterschiede im Sinne eines doing gender aktiv sprachlich herzustellen, kann es in anderen Situationen irrelevant sein. Die Analyse von Speed-Dating-Gesprächen zeigt etwa, dass eine gendertypische Kommunikationsweise nicht zwin-gend erforderlich ist (vgl. Günthner/Franz 2012: 231). Es wird deutlich, dass geschlechtsspezifische Inszenierungen weniger relevant sind, „statt-dessen werden Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte fokussiert und Verbindendes betont.“ (Günthner/Franz 2012: 232)

3. Fragestellung und Korpus

In der linguistischen gender-Forschung liegen bislang überwiegend Unter-suchungen zu mündlichen Interaktionen vor; schriftliche Kommunikation und SMS-Kommunikation im Besonderen fand wenig Berücksichtigung. Im Folgenden soll also der Frage nachgegangen werden, ob bei der Kon-taktherstellung und bei der Verabschiedung per SMS Unterschiede im

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sprachlichen Verhalten festzustellen sind, ob es bei der Eröffnung von SMS-Dialogen also relevant ist, die soziale Kategorie Geschlecht zu aktivie-ren. Anredeformen stellen einen linguistischen Schwerpunkt dar, denn sie lassen sich als Kennzeichen für den Beziehungsgrad bewerten (vgl. Schmidt/Androutsopoulos 2004: 59). Interaktionspartner verwenden un-terschiedliche Begrüßungs- bzw. Verabschiedungsformen zur Anrede ihres Partners. Auch das Weglassen dieser Formen ist als Indiz für Nähe aufzu-fassen (vgl. Günthner 2011: 12). Um dies zu untersuchen wurde aus der SMS-Datenbank am Centrum Spra-che und Interaktion ein Korpus von 60 SMS-Dialogen erstellt, deren Aus-wahl randomisiert erfolgte. Das Korpus – unterteilt in je 20 Dialoge der Ka-tegorien männlich-männlich (m/m), weiblich-weiblich (w/w) und männlich-weiblich (m/w) – dient als Grundlage der Arbeit. Metadaten über Ge-schlecht, Alter, Bildungsgrad, den Eingabemodus des Handys, über die Be-ziehung der Personen zueinander sowie die Thematik der Konversation lie-gen in der Datenbank des CeSI vor und werden bei der Untersuchung be-rücksichtigt. Die untersuchten Nachrichten wurden bei der Eingabe in die Datenbank von den Studierenden anonymisiert. Die Verfasserinnen und Verfasser der SMS sind Studierende aus dem Raum Münster im Alter von 22-26 Jahren. Die Nachrichten lassen sich in die Kategorie privater Kom-munikation zwischen Freunden und Familie einordnen. Die untersuchten SMS-Dialoge sind dabei schwerpunktmäßig dem Themenbereich „Verabre-dung“ zugeordnet.

3.1 Anrede- und Verabschiedungsformeln

Zu den Anrede- und Verabschiedungsformeln werden im Folgenden sowohl sprachliche Variationen einer Begrüßung bzw. die Namensnennung des Rezipienten als auch Verabschiedungsfloskeln und gegebenenfalls die Namensnennung des Senders gezählt. Der Gebrauch dieser Formeln hat eine überwiegend phatische Funktion und ist in den untersuchten Daten bei Männern und Frauen nicht immer identisch (vgl. Siever/Schlobinski/ Runkehl 2005: 77). Vergleicht man die SMS-Dialoge in den Kategorien m/m, m/w, w/w untereinander, so fällt auf, dass sowohl in der Kommuni-kation zwischen den Untersuchungsgruppen aber auch innerhalb der Grup-

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pen sprachliche Variationen, jedoch keine eindeutigen Muster zu erkennen sind (vgl. Tabelle im Anhang). Im Folgenden können daher nur beobachtete Tendenzen beschrieben werden. So zeigt sich beispielsweise in der Kommunikation weiblicher Gesprächs-partner, dass diese häufig Anredeformen in Kombination mit einem Kose-namen wählen. Im Vergleich zur gleichgeschlechtlich weiblichen (w/w) und der gemischt geschlechtlichen Gruppe (m/w) fällt dagegen auf, dass in den gleichgeschlechtlich männlichen Dialogsequenzen tendenziell auf eine Be-grüßungs- bzw. eine Verabschiedungsformel verzichtet wird (vgl. Tabelle 1). Ein Beispiel hierfür ist der folgende Dialog: Dialog 434 „Verabredung“ 16 uhr vorm bhof?SchreiberIn M1 (15:01)

Ja sia

SchreiberIn M2 (15:53)

Hast du lust hinterher im [Kneipe]schalke zu gucken?SchreiberIn M1 (16:23)

Die Sequenz des Dialogs (1) beginnt mit einer an M2 gerichtete Frage, ob ein Treffen stattfindet. Ohne einen Einwand bestätigt M2 sowohl die Uhr-zeit als auch den Treffpunkt. Die Bestätigung erfolgt in der Umgangsspra-che und wird durch ein Ausrufezeichen markiert. Aufgrund der Bestätigung ist zu vermuten, dass das Treffen zwischen M1 und M2 bereits geplant war. Der Dialog endet mit der unbeantworteten Frage, ob M2 Interesse am ge-meinsamen Fußballgucken habe. Weder eine Anrede noch eine Verab-schiedung, die der Etablierung sozialer Beziehungen dienen (vgl. Schwital-la 1996: 291), markieren den Dialog. Das Fehlen impliziert zwar Unmittel-barkeit, lässt jedoch auch auf ein stabiles Verhältnis schließen (vgl. Günthner 2011: 13). Schon bei der Formulierung der eingangs gestellten Frage lassen sich eine durchgehende Kleinschreibung und der Gebrauch von Abkürzungen „bhof“ für „Bahnhof“ feststellen, die von beiden Kom-

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munikationspartnern verwendet werden. Der Verzicht auf eine standard-konforme Schreibweise kann ebenfalls als ein Merkmal von Nähe und Ver-trautheit aufgefasst werden (vgl. Schlobinski et. al. 2001: 17). Durch die angegebenen Zeiten und die fehlende Spezifizierung wird deutlich, dass es sich bei diesem Dialog um eine Bestätigung der Verabredung handeln muss und bereits eine Verabredung erfolgt ist. Die fehlende Begrüßung kann also auch ein Zeichen einer Anbindung an eine zuvor bereits erfolgte Absprache sein. Die variierende Anrede bzw. Verabschiedung wird als SMS-typisches Mittel der konzeptionellen Mündlichkeit in SMS-Nachrichten gewertet (vgl. Ditt-mann 2006: 80f.). Dies lässt sich als Indikator für den Beziehungsgrad wer-ten (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2004: 56). Hierbei gilt es zu beachten, dass das Fehlen einer Anrede bzw. Verabschiedung nicht aus Unhöflichkeit geschieht, sondern als Folge des schnellen kontextbezogenen SMS-Austausches zu werten ist (vgl. Dürscheid 2002b: 3). Dass das Fehlen je-doch kein Phänomen der m/m Kommunikation ist, lässt sich durch folgen-des Beispiel belegen:

Dialog 401 13 uhr nen ründchen joggen?SchreiberIn M1 (10:00)

besser 14 uhr

SchreiberIn W1 (10:06)

oki doki

SchreiberIn M1 (16:23)

ok also 14 uhr promi

SchreiberIn W1 (10:15)

Der Dialog beginnt mit der Frage von M1 an W1, ob sie um 13 Uhr Lust hät-te zu joggen. Daraufhin schlägt W1 eine alternative Uhrzeit vor, M1 erklärt sich bereit. Abschließend sichert W1 sich noch einmal ab, indem sie die

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Verabredung bestätigt, sowie den Treffpunkt „promi“ (=Promenade in Münster) angibt. Wie auch schon in dem bereits angeführten Beispiel der männlichen SMS-Partner fehlt auch hier die Anrede- bzw. Verabschiedungsformel bei der Kombination m/w. Die Sequenz beschränkt sich auf den reinen Informati-onsaustausch. Da der Dialog keine explizite Anrede enthält, ist also davon auszugehen, dass sich die SMS-Partner gut kennen (vgl. Schmitz 2004: 62). Auf diese Weise kann sowohl auf die Anrede- als auch auf die Verab-schiedungsformel verzichtet werden, ohne dass das Fehlen dieser eine größere Rolle spielt. Ein typisch knapp gehaltener SMS-Stil ist als weiteres Merkmal einer stabilen Beziehung aufzufassen. Anhand des Beispiels liegt es nahe zu vermuten, dass sich das Anrede- bzw. Verabschiedungsverhal-ten kontextspezifisch verhält. Vergleicht man die Dialogsequenz jedoch mit der zweier weiblicher Personen, so lassen sich bezüglich des untersuchten Merkmals deutliche Unterschiede erkennen.

Dialog 546 „Verabredung zum Kaffeetrinken und zum Sport Hey lotta, können wir unser treffenam do auch vorverlegen.habe bis halb zwei vorlesung,und dann bis kurz vor vier zeit.nach hause fahren lohnt sich da nicht.lg linaSchreiberIn W1 (12:40)

Hey!Ist eigentlich ne gute Idee,werdeaber am Do schon eher fahren,da ich noch zu nem Geburtstag eingeladen bin. Wär das ok,wenn wir das Treffen um 2 Wochen verschieben? GLGSchreiberIn W2 (16:58)

Hey,ja klar kein problem.sehen aber am dienstag,oder?dann können wir ja noch mal drüber quatschen.lg lina

SchreiberIn W1 (21:34)

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Alles klar!Ja,zum Sport komme natürlich ;-)Können uns ja wieder vor der Halle treffen. Bis dann :-) LG

SchreiberIn W2 (21:37)

Die 24- bzw. 25-jährigen Dialogpartnerinnen sind befreundet. Die Kurzmit-teilung von W1 wird mit einem Grußwort und der Namensnennung von W2 eingeleitet. Diese Begrüßung scheint zu implizieren, dass W1 und W2 nicht einem anhaltenden SMS-Austausch stehen bzw. dass der Nachricht kein unmittelbares Treffen vorausgegangen ist. Direkt im Anschluss erfolgt die Frage, ob das am Donnerstag geplante Treffen auch vorzuverlegen sei, da W1 einen Freiraum hat und sich ein Treffen anbietet. Sie ergänzt, dass es sich für sie nicht lohne, nach Hause zu fahren. W1 schließt die Kurzmittei-lung mit einem Gruß und ihrer Namensnennung. Wie bereits erwähnt sind Anrede- und Verabschiedungsformel grundsätzlich als Mittel zu werten, die die Beziehungsgestaltung beschreiben (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2004: 50). Sie dienen der Einleitung eines neuen Dialog, in dem eine un-angenehme Nachricht überbracht werden muss: W2 muss die Verabredung verschieben. Diese Annahme lässt sich jedoch in dem dargestellten Bei-spiel durch die nicht standardmäßige Verwendung der Groß- und Klein-schreibung, der falschen Interpunktion sowie durch den Gebrauch von Ab-kürzung nicht belegen. Diese „nähesprachlichen“ Merkmale können als Indiz für eine private Kommunikation aufgefasst werden (vgl. Ditt-mann/Siebert 2007; vgl. Tabelle 1). In der folgenden SMS von W2 wird W1 ebenfalls begrüßt, W2 nennt jedoch nicht den Namen. Die von W2 erteilte Absage wird durch die Einleitung und die Abtönungspartikel „eigentlich“ gedämpft. Auf diese Weise gelingt es W2 ihre im Folgenden vorgebrachte Ablehnung des Terminvorschlags von W1 durch ein Lob, dass es sich um eine gute Idee handle, abzumildern. Durch das „eigentlich“ wird W1 bereits auf eine Eingrenzung vorbereitet. Noch im gleichen Satz erfolgt die Begrün-dung, dass W2 zu dem vorgeschlagenen Ausweichtermin nicht kommen kann. Hierauf folgt der Vorschlag, das Treffen um zwei Wochen zu ver-schieben. Durch die nach Zustimmung suchende indirekte Frage verdeut-licht W2, dass sie aber wirklich an einem Treffen interessiert ist und die Absage keine Ausrede darstellt. Der zunächst entstandene Eindruck, dass

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es sich auf Grund der vollständigen Grußformel, der Beachtung der Groß- und Kleinschreibung, sowie der Einhaltung der Orthographie um eine förm-liche SMS handelt, wird sowohl durch sprachliche als auch inhaltliche Mit-tel revidiert. Obwohl der Dialog potenziell beziehungs- oder gesichtsbedro-hende Aktivitäten aufweist, wird durch die Anreden und die häufig vor-kommenden Grußakronyme wie „LG“ (liebe Grüße) oder sogar „GLG“ (ganz liebe Grüße) nochmals soziale Nähe hergestellt. Die verwendeten Formeln dienen also der nochmaligen Bestätigung und Absicherung der sozialen Beziehung der Schreiberinnen. W1 vervollständigt ihre Aussage, indem sie W2 an das Treffen am Dienstag erinnert. Ihren Aussagesatz wandelt W1 jedoch in eine Frage um, indem sie ihre Aussage durch die Ergänzung „oder“ in Frage stellt. Auf diese Weise wird die zunächst sicher festgestellte Aussage von W1, dass es am Diens-tag ein Treffen geben wird, in Frage gestellt. Die Umformung des Aussage-satzes in eine Frage kann als mögliche Folge auf die vorausgegangene Ab-sage aufgefasst werden. W1 ist sich mitunter unsicher, ob W2 nicht auch diesen Termin möglicherweise absagen wird. Dass die Umformulierung in eine Frage jedoch ein Zeichen von mangelndem Selbstbewusstseins ist (so auch bei Grimm 2008: 386), lässt sich an Hand dieses Beispiels nicht be-legen. Vielmehr lässt sich die als Frage umgeformte Aussage als Rückversi-cherungsstrategie auffassen, die eine Fortsetzung der Unterhaltung zu ei-nem späteren Zeitpunkt impliziert. Obwohl die SMS-Sequenz noch nicht beendet ist, weisen die Nachrichten von W1 und W2 bereits sprachliche Merkmale auf, die der Aufrechterhaltung und Bestätigung der (potenziell bedrohten) Beziehung dienen. Der anschließende Satz in Nachricht 3, dass W1 und W2 dann noch einmal darüber sprechen können, signalisiert W2, dass W1 mit dem Vorschlag ein-verstanden sei, aber noch keine endgültige Zusage geben wolle. Die Ver-wendung der Wörter „drüber“ und „quatschen“ macht deutlich, dass noch einmal über die Details der Angelegenheit geredet werden müsse. Hierbei wird jedoch eine umgangssprachliche Ausdrucksweise verwendet, um der Aussage die Ernsthaftigkeit zu nehmen. Dass W1 die Absage von W2 nicht als gesichtsverletzend empfindet, wird durch die Ergänzung einer ausführ-lichen Verabschiedungsformel deutlich. Der alternative Vorschlag und die

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verwendete Verabschiedung signalisieren, dass W1 nicht enttäuscht ist. Diese wäre nicht verwendet worden, wenn W1 die Absage von W2 nicht ak-zeptiert hätte. W2 willigt ein, indem sie dem Vorschlag von W1 mit einer Bestätigungsformel zustimmt, die sie durch die Verwendung eines Ausrufe-zeichens hervorhebt. Ebenso bestätigt sie, dass sie zum Sport gehen werde und schlägt als Treffpunkt vor, sich vor der Halle zu treffen. Sie schließt ihre Kurzmitteilung mit einem Verweis auf das Treffen „bis dann“ sowie der Verwendung der verstärkten Verabschiedungsformel. Die von W2 verwen-deten Smileys, vor allem nach der komplexen Verabschiedung, markieren die Freude auf ein Treffen und schließen den Dialog. Die soziale Beziehung zwischen W1 und W2 ist trotz der Absage der Verabredung nicht gestört. Somit lässt sich vermuten, dass es eher situationsgebundene Belange sind, die zu einem abweichenden Kommunikationsverhalten bei der Ver-wendung von Anrede- bzw. Grußformeln führen können. Durch die Verab-schiedung sowie die Verwendung des Smileys versucht W2 nach der erfolg-ten Absage, die Beziehung zu W1 abzusichern bzw. wieder zu stärken. An-hand dieses Beispiels lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass es sich bei den Personen W1 und W2 um zwei grundsätzlich zueinander distanzier-te Personen handelt, die ihre Beziehung zueinander erst noch aufbauen müssen. Zunächst stellen Anrede und Verabschiedung grundsätzlich die Möglichkeit dar, eine emotionale Beziehung aufzubauen, zu stärken und schließlich auch abzusichern. Durch eine komplexe Anrede oder auch Ver-abschiedung, die für den Sender immer mit Mehraufwand verbunden ist, kann dem Empfänger gezeigt werden, dass es dem Sender die Arbeit wert ist, den Adressaten zu begrüßen bzw. zu verabschieden. Besonders bei po-tenziell beziehungs- oder gesichtsbedrohende Aktivitäten, wie die Analyse einer Verabredungsverschiebung in Dialog (3) zeigt, sind sprachliche Mit-tel, die soziale Nähe herstellen, relevant. Auch die in diesem Beispiel vor-genommene Terminverschiebung wird durch eine Bestätigung der neuen Verabredung zum Sport treiben genutzt, um die fehlende Nähe wiederher-zustellen.

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4. Fazit und Ausblick

In Bezug auf die Anrede- und Verabschiedungsformeln lassen sich in den untersuchten SMS-Dialogen keine stereotypen weiblichen oder männlichen Verwendungsweisen feststellen – meist scheinen sie durch den Bekannt-heitsgrad der Interaktionsteilnehmer und durch das Interaktionsthema selbst bestimmt (vgl. Schmitz 2004: 64). Obwohl das männliche Sprach-verhalten oft als objektiv, analytisch und statusorientiert beschrieben wird (Aries 1984: 114), lassen sich diese Merkmale nicht eindeutig in der SMS-Kommunikation nachweisen. Es lässt sich ebenso festhalten, dass sowohl von weiblichen als auch von männlichen Kommunikationspartnern Begrü-ßungs- bzw. Verabschiedungsformeln optional verwendet werden. Die An-nahme, dass Frauen jedoch wesentlich mehr Wert auf die Verwendung von Gruß und Verabschiedung legen, lässt sich nicht ohne Weiteres belegen. Zwar weisen sie in der Untersuchung des Datenkorpus eine größere Gruppe derer aus, die sowohl auf eine Begrüßung als auch auf Verabschiedung achten, dennoch zeigt der Vergleich mit den männlich-weiblichen SMS-Sequenzen, dass der Sprechstil der Geschlechter durchaus variiert. Die Verwendung von Begrüßungs- bzw. Verabschiedungsformeln scheint sich – wie die Analyse von SMS-Dialog (3) zeigen sollte, vielmehr an der jeweili-gen Kommunikationssituation zu orientieren (vgl. Samel 2000: 218). Weist ein Dialog potenziell beziehungs- oder gesichtsbedrohende Aktivitäten auf, so erscheinen ausführliche Anrede- und Verabschiedungsformen als not-wendiges Mittel, um soziale Nähe herstellen zu können. Abschließend kann also festgestellt werden, dass die Frage, welche Ge-meinsamkeiten und Unterschiede in der SMS-Kommunikation von Männern und Frauen vorliegen, differenziert beantwortet werden muss. Einerseits muss die sprachliche Struktur der Nachrichten berücksichtigt werden. Es lassen sich syntaktische, morphologische und lexikalische Abweichungen in der schriftlichen SMS-Kommunikationsform feststellen. Diese dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind immer im Kontext und unter der Beachtung der Kontextualisierungskonventionen zu interpretieren. Die Analyse von Dialog (1) verdeutlicht, dass ein reduzierter Schreibstil als Marker für soziale Nähe und Vertrautheit zu verstehen ist (vgl. Androutsop-

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oulos/Schmidt 2004: 52). Interaktionspartner können durch die Verwen-dung von Kontextualisierungshinweisen Beziehungen gestalten, indem sie die Äußerungen des Partners wahrnehmen. Andererseits müssen auch die Aktivitäten, die in den SMS-Dialogen realisiert werden, in die Interpretation einbezogen werden. Da davon auszugehen ist, dass Männer und Frauen über ein gleiches Repertoire sprachlicher Mittel verfügen, können etwaige die Unterschiede auch auf individuelle Präferenzen in der Verwendung zu-rückgeführt werden (vgl. Grimm 2008: 8). Auch in der SMS-Kommunikation ist nicht von einer eigenen, allgemeingültigen Männer- bzw. Frauensprache auszugehen. In der vorliegenden Arbeit konnte mit Hilfe einer Analyse von Anrede- und Verabschiedungsformeln in SMS-Dialogen somit exemplarisch belegt wer-den, dass sich das Schreibverhalten von Männern und Frauen nicht als ste-reotyp beschreiben lässt. Dies fügt sich in die allgemeine Beobachtung von Ayaß (2008: 184) ein, dass sich nur wenige Merkmale in der Sprache aus-schließlich einem Geschlecht zuordnen lassen. Aus diesem Grund ist für das hier untersuchte Korpus nicht von einer typisch männlichen oder ty-pisch weiblichen Nutzung sprachlicher Mittel der Anrede und Verabschie-dung in SMS auszugehen.

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Anhang

männlich – männlich

männlich – weiblich

weiblich – weiblich

Merkmal Anrede- bzw. Verabschiedung Komplexe Form (Formel + Name)

3 11 11

Reduzierte Form der Anrede bzw. Verab-schiedung

15 21 23

Fehlen von Anrede und Verabschiedung

20 13 6

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„Funktionen unterschiedlicher Codes in nieder-deutscher SMS-Kommunikation von L1-Sprechern“ KKathrin Weber und Timo Schürmann

1. Einleitung

Die neueste Untersuchung zum Stand des Plattdeutschen im 21. Jahrhun-dert, welche von Möller (2008) und dem Institut für Niederdeutsche Sprachforschung in Bremen (INS-Umfrage) durchgeführt wurde, belegt in Form einer Mikrozensusbefragung den Trend des Niederdeutschen als mo-ribunder Sprache. Der Einsatzbereich des Niederdeutschen beschränkt sich weitestgehend auf Familie und Nachbarn und ist demnach im Sinne Koch/Oesterreichers (1994) eine Sprache der Nähe. Obgleich die größte Zahl an Untersuchungen zum Niederdeutschen den Struktur und Funkti-onsverlust dieser Varietät fokussiert (vgl. u.a. Elmentaler 2008), soll in die-ser Arbeit der Funktionsbereich niederdeutscher Schriftlichkeit in der SMS-Kommunikation betrachtet werden, der in der bisherigen Niederdeutsch-forschung ein Desiderat darstellt. Wir werden versuchen, ein anderes Licht auf authentisches Material des schriftlichen Sprachgebrauchs im Nieder-deutschen zu werfen, welcher in Form des Kommunikationsmediums SMS einen neuen Bereich der Kommunikationsmöglichkeit v.a. unter jüngeren Sprechern erschließt. Diese jugendlichen Niederdeutschsprecher zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Niederdeutsche als Erstsprache erworben haben und den gemeinsamen niederdeutschen Code im familiären Bereich in die schriftliche Kommunikation übertragen. Im Gegensatz zu Untersu-chungen von Chatkommunikationen, welche das Niederdeutsche meist nur punktuell und unter dem Gesichtspunkt identitätsstiftender Funktion ver-wendet wird, ist in den vorliegenden Daten der niederdeutsche Dialekt als grundlegender Code verwendet, wodurch sich die Frage nach dem Nieder-deutschen in der Schriftlichkeit neu stellt. Im Folgenden sollen also Potenziale einer variationslinguistischen Untersu-chung von SMS-Kommunikation im Hinblick auf Dialektgebrauch innerhalb einer Sprechergruppe aus dem niederdeutschen Sprachgebiet anhand ei-

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194 Kathrin Weber/Timo Schürmann

nes kleinen Korpus aufgezeigt werden. Der Fokus soll dabei auf Phänome-nen des Code-Switchings (u.a. Auer 2009) liegen. In Abgrenzung zu bisherigen Forschungen zu Code-Switching im Nieder-deutschen (vgl. Abschnitt 2.1) gilt nicht zu untersuchen, welche Funktionen das Niederdeutsche in der konzeptionell mündlichen Kommunikation von Nicht-Dialektsprechern heutzutage noch erfüllt, sondern umgekehrt welche Funktionen es in der Dialektkommunikation nicht mehr erfüllen kann. Theo-retische Fragestellungen an das Korpus können daher wie folgt zusammen-gefasst werden:

1. Welche Funktion haben Codes unterschiedlicher Varietäten in der SMS-Kommunikation von Jugendlichen mit niederdeutscher Erstspra-che?

2. Welche Funktionen kann dabei speziell das Niederdeutsche als grundlegender Code nicht erfüllen?

3. Sind Aushandlungsprozesse um die Verwendung eines grundlegen-den Schreibcodes in den Daten festzustellen, obgleich der nieder-deutsche Sprachcode die alltägliche mündliche Interaktion der Schreiber prägt?

2. Theorie 2.1 Code-Switching-Forschung

Wenn es um die Verwendung mehrerer Sprachen oder mehrerer Codes im Sinne von Varietätenkontakt geht, ist man sich in der heutigen Forschung einig, dass es so etwas wie einen „monolingualen Sprecher“ nicht gibt (vgl. Auer/Wei 2007). Jeder Mensch ist als Sprecher zumindest mehrerer Varie-täten innerhalb einer historisch gewachsenen Einzelsprache wie dem Deut-schen zu klassifizieren. Dabei ist zu fragen, ob Mehrsprachigkeit einfach eine Sache der Kompetenz und damit des Sprachwissens im kognitiven Sinne, oder ob es eine Form des Sprachgebrauchs ist. Die Arbeiten von Haarmann (1980: 71) verbinden Bilingualismus und Sprachgebrauch. Er definiert hierzu:

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Zweisprachigkeit eines Individuums bedeutet dessen Fähigkeit, zwei Kom-munikationsmedien entsprechend den Bedingungen verschiedener kommu-nikativer Situationen […] als Gebrauchssprachen zu verwenden.

Multilingualismus ist bei Haarmann also sowohl ein Phänomen der Sprach-kompetenz als auch des Sprachgebrauchs. Codes haben demnach unter-schiedliche Funktionen, die im Sprachgebrauch unterschiedlich eingesetzt werden können. Zudem muss nach (Haarmann 1980) eine Unterscheidung zwischen Multilingualismus des individuellen Sprechers und Multilingua-lismus von Sprechergruppen unterschieden werden.1 In dieser Arbeit wer-den daher beide Perspektiven – jene des individuellen Sprechers als auch der community of practice (vgl. Wenger 2000) Berücksichtigung finden. Neben Fragen der Sprachkompetenz prägt die Forschung nach Mehrspra-chigkeit auch die Frage nach Sprachdominanz. Grosjean (1982: 190) ver-bindet Sprachdominanz mit Kriterien des Entwicklungsstadiums der jewei-ligen Sprache, aber auch mit dem Einflussgefälle der stärkeren auf die schwächere Sprache.

The main effect of dominance is not only that the stronger language is more developed than the weaker one (more sounds are isolated, more words are learned, more grammatical rules are inferred), but also that the stronger lan-guage interferes with or influences the weaker language. In this sense, dom-inance retards differentiation by imposing aspects of the dominant language on the weaker one. (Grosjean 1982: 89)

Cantone (2007) konnte nachweisen, dass obgleich des Vorliegens eines Stärkegefälles der unterschiedlichen Sprachen, eine bidirektionale Mi-schung nicht ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf Sprachmischung halten Müller et al. (2011: 79) daher fest:

1 Auf der Basis von Kloss (1976a: 319) Differenzierung von personal und impersonal bilingualism und des societal bilingualism von Fishman (1969) entwickelte Haar-mann (1980: 45) folgende Spannweite für den Multilingualismus: persönlicher Multi-lingualismus als (1) individueller Multilingualismus, (2) Gruppenmultilingualismus, (3) Gesellschaftlicher Multilingualismus; unpersönlicher Multilingualismus als (4) staatlicher Multilingualismus (interregional, regional, lokal), (5) suprastaatlicher Mul-tilingualismus personeller (individueller und Gruppenbilingualismus) und unpersön-licher (governmental bilingualism (national, regional, local), associational) Bilingua-lismus.

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Wir möchten hier annehmen, dass die Dominanz in einer Sprache mit einer höheren Mischrate einhergeht, aber dass das Mischen in der anderen Spra-che trotzdem nicht ausgeschlossen ist.

Der kausale Zusammenhang von Sprachdominanz und Spracheinfluss wird in einigen Ansätzen infrage gestellt (vgl. Müller/Hulk 2001). Dass die einfa-che Gleichung von Sprachdominanz = Spracheinfluss nicht tragfähig ist, zeigen Studien zu Code-Switching [CS] und Code-Mixing. Dabei bildeten Sprachmischungen in Form von Code-Switching oder Mixing v.a. in der älte-ren Forschung (u.a. Bloomfield 1984) keine linguistische Untersuchungs-grundlage. Mit der Arbeit von Gumperz (1982) erfuhr das CS im soziologischen Rah-men eine funktionale Perspektive und wurde nicht mehr als defizitär klassi-fiziert. Auer übertrug den Ansatz von Gumperz auf die Konversationsanaly-se und definierte CS als „locally functional use of two languages in an in-teractional episode“ (Auer 2009: 491). CS unterliegt in diesem Ansatz se-quenziellen Ordnungsprinzipien und hat damit eine interaktionale Funkti-on. Code-Switching kann dabei in verschiedenen Formen eingesetzt wer-den: a) zwischen zwei turns oder turnintern, b) beschränkt auf eine definierte Einheit oder Wechsel der gesamten

Interaktionssprache, c) zwischen Argumenten oder ganzen Sätzen, d) Unterscheidung funktional (Code-Switching) vs. (lokal) nicht funktio-

nal (Code-Mixing)

Dazu unterscheidet Auer (2009: 491) zwei Paare von CS-Prozeduren: inser-tionelles vs. alternierendes und sprecher- vs. diskursspezifisches CS. Um die unterschiedlichen Formen von Code-Wechseln differenzieren zu kön-nen, ist es wichtig zu unterscheiden, ob sich der Codewechsel auf ein punktuelles Switchen (Insertion) oder eine unit (Alternation) bezieht. Bei der sprecherbezogenen Sprachalternation haben wir es für die Spre-cher mit einem konversationell unmarkierten CS zu tun. Es handelt sich dabei meist um ein inter-turn-switching, welches Aushandlungsprozesse

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zwischen zwei Varietäten darstellt. Auer untersuchte dies anhand von „lan-guage negotiation sequences“ (Auer 2009: 497), in welchen sich zwei Sprachen oder Varietäten im Aushandlungsprozess befinden und schließ-lich in einer Terminierung einer language negotiation sequence resultieren können. Die Grenzen zwischen den CS-Typen sind jedoch nicht so klar, wie es scheinen mag. Auer (2009: 502) unterscheidet zudem zwei Zwischentypen von den bereits beschriebenen: Zwischen Sprecher und diskursrelevantem Switchen und zwischen Insertion und Alternation. Im Hinblick auf participant and discourse-related-switching ist vor allem die Einordnung von Antwortpartikeln oder das Switchen in face-verletzen-den Situationen – im Sinne von defensivem CS (Auer 2009: 506) – weder eindeutig dem sprecherbezogenen noch diskursrelevantem CS zuzuord-nen. Das Unterscheidungskriterium zwischen Alternation und Insertion im Hinblick auf (a) point oder unit, und (b) Zusammenhang von Sprachalterna-tion und language negotiation, wird vor allem in der Betrachtung von Ein-Wort-TCUs, in denen keine klare Unterscheidung von point und unit zu tref-fen ist, oder auch bei sehr frequentem Wechsel zwischen den beiden Spra-chen, was noch nicht unter Code-Mixing zu zählen ist, schwierig. Demnach entwickeln sich aus der Theorie bisher folgende Forschungsfra-gen:

1. Welche Rolle spielen Phänomene des Code-Wechsels auf der Ebene des Sprechers oder der Ebene der Gruppe?

2. Wie setzen die Sprecher die unterschiedlichen Codes (nieder-deutsch-dialektaler Code vs. Code des Standards bzw. Substandard) auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen ein?

2.2 SMS-Kommunikation und Variation

Die Forschung zur SMS-Kommunikation im deutschsprachigen Raum erfolg-te bisher grundlegend auf drei Ebenen. Dabei sind zum einen die ethno-graphische Gattungsanalyse (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002) als auch die eher interaktionsspezifische Gattungsanalyse mit besonderem Fokus auf Dialogizität (exemplarisch: Günthner 2011) zu konstatieren. Ne-

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ben diesen eher qualitativ ausgerichteten Ansätzen werden quantitative Ansätze verfolgt. Als Beispiel dienen hier Nutzungsanalysen im Rahmen von Fragebogenuntersuchungen (vgl. Schlobinski et al. 2001). Auch die Zu-sammenstellung spezifisch sprachlicher Strukturen der Kommunikations-form SMS in Form einer deskriptiven Korpusanalyse lässt sich hier ver-zeichnen (vgl. Schlobinski et al. 2001). Dialektgebrauch wird in den Untersuchungen zur SMS-Kommunikation und den Neuen Medien generell häufig nur als Element der Nähesprache im Sinne Koch/Oesterreichers (1994) beschrieben (vgl. Androutsopoulos/ Schmidt 2002, Schmidt 2006, Siever 2006, Dittmann et al. 2007). Eigene Betrachtungen von Code-Switching zwischen Standardvarietät und Dialekt wurden für das Schweizerdeutsche in der Chatkommunikation untersucht. Aschwanden (2001) sieht durch die zunehmende Verwendung von Dialekt im Chat die bis dato vorherrschende mediale Diglossie aufgehoben und durch eine konzeptionelle Diglossie ersetzt. Dabei besetzt der Dialekt den Nähepol, die Standardsprache den Distanzpol. Siebenhaar (2005) diffe-renziert den Dialektgebrauch weiter und stellt eine Abhängigkeit von The-menwahl und Vorgabe des Themeninitiators fest. In Abgrenzung zu Aschwanden (2001) stellt Gerber (2006) die Verwendung von Dialekt als regionales Identitätsmerkmal heraus und sieht funktionales Code-Switching als bestimmendes Element der Chatkommunikation. Code-Switching etabliere den unterhaltenden Charakter der Chatkommunikation. Christen/Tophinke/Ziegler (2005) sehen Dialekt ebenfalls primär als iden-titätsstiftendes Element. Weiter dient Dialekt vor allem der Kontextualisie-rung. Regionale Zugehörigkeit kann durch Pseudonymwahl und Begrü-ßung/Verabschiedungsphrasen angezeigt werden. Dialekt wird zudem zur Abschwächung face-bedrohender Aussagen und zur funktionalen Markie-rung eingesetzt. Generell kann durch Dialekt eine spielerische Modalität etabliert werden (Christen/Tophinke/Ziegeler 2005:430-435). Aufgrund der abweichenden Sprachsituation in der Deutschschweiz sind diese Ergebnis-se jedoch nur begrenzt auf die vorliegende Forschungsfrage übertragbar.2

2 Aschwanden (2001), Siebenhaar (2005), Gerber (2006) und Christen/Tophinke/Zie-geler (2005) stellen gemeinsam eine Diglossiesituation in der Deutschschweiz fest. Diskutiert wird allerdings, ob für diese Diglossie die Begriffe medial und konzeptio-nell zutreffend sind. Im Niederdeutschen spricht Stellmacher (1987) eher von einer

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 199

Sie werden jedoch als erste Anhaltspunkte für die Erforschung des Code-Switching bei niederdeutschen L1-Sprechern dienen. Weitet man die Kommunikation in den neuen Medien auch auf den Bereich von Internetforen aus, findet man von Reershemius (2011) eine Studie zum Niederdeutschen. Mit Blick auf die Chancen des Internets für den Erhalt des Plattdeutschen untersucht sie in Anlehnung an Andresen (2008) ein niederdeutsches Diskussionsforum und damit das Internet als sozialen Handlungsraum für das Niederdeutsche. Die Beiträge in diesen Foren sind nach Reershemius mehrheitlich im Substandard abgefasst, kommen doch dialektale Beiträge vor sind diese häufig durch Anführungszeichen mar-kiert. Schriftlichkeit ist dabei ein Kommunikationshindernis, insofern Schriftkompetenz zumeist gering ausgeprägt ist und auch fehlende Normie-rung die Dialektverschriftung hemmt. Wie die Untersuchungen zum Schweizerdeutschen, so führt auch Reershemius den identitätsstiftenden Charakter dialektaler Sprachstrukturen an. Rein dialektale Nachrichten wurden bisher lediglich mit Blick auf Dialektverschriftung (Müller 2011, Dürscheidt/Stark 2013) und dialektale Besonderheiten auf lexikalischer und grammatischer Ebene (Spycher 2004) im schweizerdeutschen Raum betrachtet. Allen aufgeführten Untersuchungen ist gemein, dass die Standardsprache den grundlegenden Code der SMS- und Chatkommunikation darstellt. Die niederdeutsche Varietät hat dabei immer die Funktion, identitätsstiftend zu wirken. Zwar besitzt das Plattdeutsche als Nähesprache implizit identitäts-stiftenden Charakter, was auch in der SMS-Kommunikation von L1-Sprechern zu erwarten ist. In den vorliegenden Daten ist das Niederdeut-sche als Ausgangsschreibung (im Sinne Myers-Scottons (2009) als Matrix-sprache) verwendet, in welche der standardnahe Code punktuell interve-niert. Zu untersuchen ist daher nicht, welche Funktionen der Dialekt erfüllt, sondern vielmehr welche er – aufgrund seiner (sprachlichen) Beschaffen-heit – nicht erfüllen kann beziehungsweise welche Funktionen die stan-dardnahe Variante übernehmen muss. Die unterschiedlichen Funktionen

verborgenen Zweisprachigkeit, da im Gegensatz zum Schweizerdeutschen keine strikte funktionale Trennung in der Alltagskommunikation mehr zu beobachten ist.

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200 Kathrin Weber/Timo Schürmann

der Codes in der SMS-Kommunikation sollen dabei neutral und nicht im Sinne von dialect levelling nach Hinskens (1998)3 betrachtet werden.

3. Methode und Korpus

Das Korpus umfasst 228 SMS und WhatsApp-Nachrichten4 in 61 Sequen-zen. Die Nachrichten wurden dabei als Screenshots zugänglich gemacht und digitalisiert. Die Erhebung erfolgte von Januar bis Mai 2013. Die Aus-wahl der zugesandten Nachrichten lag im Ermessen der vier Hauptinfor-manten und unterlag lediglich der Bedingung, dass die Nachrichten auf Niederdeutsch verfasst sein sollten. Der Großteil der Nachrichten stammt von Theresia, Marion, Ulf und Hermann.5 Marion ist 22 Jahre, Theresia 19 Jahre, und Ulf 23 Jahre. Bis auf Hermann studieren alle in unterschiedlichen Städten. Hermann ist 17 Jahre alt und Auszubildender. Theresia und Maren sind Schwestern und die Cousinen der Brüder Ulf und Hermann. Die Schreiber stammen aus dem Ort Börger im Emsland und bezeichnen das Börger Platt6 als ihre Muttersprache. Alltagssprache in der Familie und da-mit auch innerhalb dieser Gruppe ist der niederdeutsche Dialekt. Alle Schreiber geben an, miteinander nicht in der standardnahen Varietät kommunizieren zu können.

3 Vgl. Hinskens (1998: 36): „[L]evelling can affect both variation in the dialect- stand-ard language dimension and variation across related dialects. […] the leveling of dif-ferences between related dialects can be independent from the leveling of variation in the dialect- standard language dimension.”

4 Dürscheid/Frick (2014) summieren sowohl SMS als auch WhatsApp-Nachrichten un-ter Keyboard-to-Screen-Kommunikation. Ihre Gegenüberstellung von SMS und WhatsApp-Nachrichten beruht allerdings auf dem Vergleich von SMS-Eingabe über eine numerische Tastatur und der Nachrichteneingabe im Messenger WhatsApp über die QUWERTZ Tastatur. Die daraus resultierenden Abgrenzungen beider Kommunika-tionsformen halten die Autoren daher für nur in sehr beschränktem Maße gültig. Die Autoren des vorliegenden Beitrags verzichten auf eine getrennte Betrachtung von SMS- und WhatsApp-Nachrichten aufgrund der für unsere Untersuchung maßgebli-chen Übereinstimmung, dass beide Nachrichtenarten über QWERTZ-Tastatur und oh-ne Autokorrekturfunktion eingegeben werden. Zudem werden bei allen verwendeten Handys, wie beim Messenger WhatsApp, SMS Nachrichten eines Absenders als Chat dargestellt. Auch die Zeichenbegrenzung für SMS-Nachrichten ist durch SMS-Flat-rates obsolet geworden (vgl. Dürscheid/Frick 2014: 164).

5 Namen geändert. 6 Nordniedersächsischer Dialekt (vgl. Taubken 1985: 1)

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 201

In Abgrenzung zu älteren Forschungen der SMS-Kommunikation entspre-chen die technischen Bedingungen eher den von Dürscheid/Frick (2014: 154ff.) als Keyboard-to-Screen-Kommunikation bezeichneten Gegebenhei-ten. Die Eingabe erfolgte nicht mehr über eine numerische, sondern über eine virtuelle Schreibmaschinentastatur. Die häufig als Grund für Sprach-ökonomie angeführte Zeichenbegrenzung von 160 Zeichen pro SMS ist durch SMS-Flatrates und WhatsApp obsolet geworden. Die zur Verfügung stehende Autovervollständigung nutzt lediglich Hermann. Er lässt platt-deutsche Wörter in das Wortverzeichnis der Autovervollständigung auf-nehmen. Ulf, Theresia und Marion geben die Nachrichten manuell ein. Im Korpus tauchen weiterhin die Sprecher Thea, Susanne und Johann auf. Thea (53 Jahre alt) ist die Mutter von Marion und, die Tante von Ulf und Hermann. Susanne ist 61 Jahre alt und die Tante von Marion, Theresia, Ulf und Hermann. Wichtig ist weiterhin zu wissen, dass Susanne als Lehrerin arbeitet. Johann ist der Bruder von Ulf und Hermann und 26 Jahre. Auch für diese Sprecher ist Plattdeutsch Mutter- und Alltagssprache. Die Sprechergruppe ist durch ihr verwandtschaftliches Verhältnis zueinan-der zusammenfassend als geschlossene Gruppe zu klassifizieren, welcher nach der Definition von Wenger (2000) als community of practice zu be-schreiben ist. Gemein ist diesen Gruppen, dass sie sich durch drei wech-selseitig beeinflussende Kriterien auszeichnen: mutual engagement, joint enterprise und shared repertoire. Die Gruppe bildet gemeinsame (sprachli-che) Normen und (soziolinguistisch gesprochen) Beziehungsgefüge aus (mutual engagement), welche gemeinsame Wertvorstellungen (joint enter-prise) und geteilte kommunikative Ressourcen (shared repertoire) aufwei-sen. Obgleich alle Schreiber das Plattdeutsche als Muttersprache bezeich-nen und als einzige familiäre Sprache angeben, sind alle Schreiber der hochdeutschen Sprache mächtig und allein in dieser schreibsozialisiert. Dennoch geben die Sprecher im Interview an, dass sie mit ihren Familien-mitgliedern nicht nur auf Plattdeutsch sprechen, sondern auch schreiben. Die Daten authentischen schriftlichen Sprachgebrauchs sollen demnach auf folgende Kriterien hin untersucht werden:

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202 Kathrin Weber/Timo Schürmann

1. Wann lassen sich Formen des Code-Switchings oder des Transfers von

einem Code in den anderen bei L1-Schreibern des Niederdeutschen feststellen? Welche Funktion hat dieser Code-Wechsel?

2. Obgleich die Schreiber nur in der Standardsprache schreibsozialisiert wurden und man damit von einer medialen Trennung von Dialekt und Standardsprache im Hinblick auf mündliche (Dialekt-) und schriftliche (Standard-) Kommunikation ausgehen könnte, ist die Frage nach Aus-handlungsprozessen innerhalb des Korpus zu fragen.

4. Empirische Auswertung

Die empirischen Auswertungen des Korpus werden nun auf funktionale Un-terschiede im Gebrauch unterschiedlicher Codes untersucht. Dabei wird der Fokus vor allem auf Insertionen und Formen von Aushandlungsprozes-sen gelegt.

4.1 Sprecherspezifische Code-Wechsel: Insertionen lexikalischer Konstruktionen der Dialekt- und Standardvarietät

LLexikalische Insertionen Wenn ein Sprecher im Falle von Wortfindungsschwierigkeiten oder der anaphorischen Wiederaufnahme im Dialog in einen anderen Sprech- bzw. Schreibcode wechselt, wird das im Ansatz von Auer als Insertion bezeich-net (vgl. Abschnitt 2.1). Es handelt sich hierbei um points in interaction, wobei der turn nach der Insertion eines Lexems aus Varietät B in A, trotz-dem in Varietät A weitergeführt werden kann. Diese Form von Codewechsel findet sich im Korpus vor allem im Bereich der Lexik. Für das gesamte Korpus gesprochen kann im Bereich der Lexik vor allem in folgenden Bereichen ein notwendiger Wechsel vom Plattdeutschen in die Standardsprache verzeichnet werden: Fachsprachen, Komposita und Ge-sprächspartikeln.

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 203

Kommunikation 1 Top sache

Top Sache

SchreiberIn U (15:04)

scheiße ik schik di dat nacher ;-)dor is noch wat tüsken kom…uprümen bla bla

scheiße ich schick dir das nachher ;-) da ist noch was dazwischen gekom-men....aufräumen bla bla

SchreiberIn M (16:57)

ja kein problem. Hab all n bietken wattlöser

ja kein Problem. Hab schon ´n bisschen was gelöstSchreiberIn U (16:58)

t

tSchreiberIn U (16:59)

oh cool ;-)Top Sache

oh cool ;-)

SchreiberIn M (16:59)

has du eijne formelsammlungvan jaue uni?

hast du eine Formelsammlungvon deiner uniSchreiberIn U (unbekannt)

ik drop alles mit inne prüfung nehmen

ich darf alles mit in die Prüfung nehmen

SchreiberIn M (17:00)

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204 Kathrin Weber/Timo Schürmann

hab aber uk ne formelsammlung ^^

hab aber auch ´ne Formelsammlung^^SchreiberIn U (17:01)

Fachsprachliche Begriffe außerhalb des handwerklich-landwirtschaftlichen Bereichs werden in der vorliegenden SMS-Kommunikation in der Stan-dardvarietät realisiert. Für den Begriff Formelsammlung aus der mathema-tischen Fachsprache stellt das Niederdeutsche keine adäquate Begrifflich-keit zur Verfügung und ist damit als grundlegender Schreibcode nicht ge-eignet. Auch im folgenden Beispiel wird die niederdeutsche Varietät vor allem durch lexikalisches Material der fachsprachlichen Varietät unterbro-chen.

Kommunikation 2 oh geil danke dor kann ik all masse mit anfangen ik sit nu an computer

oh geil danke :) da kann ich schon viel mitanfangen ich sitz nun am computerSchreiberIn M (17:51)

goud

gutSchreiberIn M (17:52)

wenn dor erklärungen fehlt einfach frogen

wenn da erklärungen fehlen einfach fragenSchreiberIn U (17:53)

top mok ik

top mach ichSchreiberIn M (17:53)

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 205

[Bild Matheaufgaben]:)kritzel kritzel

[Bild Matheaufgaben]:)kritzel kritzelSchreiberIn U (18:15)

ik finn keine geometrischen reihen…deij formelsammlung deik ik hab kump van den verkehren prof

ich find keine geometrischen reihen...die formelsammlung die ich hab kommt von dem falschen profSchreiberIn M (18:17)

Geometrische Reihen und Formelsammlung stellen zentrale Fachbegriffe innerhalb der Mathematik dar und speisen sich allein aus einem standard-sprachlichen Repertoire. Aber auch für Lexeme, welche für diesen Frame frequent auftreten (wie das Lexem Erklärungen), werden standardnah reali-siert. Es findet kein Rückgriff auf lexikalische Konstruktionen aus dem sub-set der Dialektvarietät statt. Eine quantitative Auswertung des Korpus ergibt eine klare Verteilung des Fachwortschatzes auf die Standardvarietät: Fachtermini Realisierung durch Lexeme der

Standardvarietät Realisierung durch Lexeme aus Dialektvarietät

Total: 22 22 0

Zu bedenken ist an dieser Stelle, dass alle Gewährspersonen Studierende sind und demnach im Hinblick auf Fachsprachen ein differenziertes Voka-bular im Bereich der wissenschaftlichen Kommunikation verwenden. Wenn ein Fachgespräch von Gewährspersonen aus dem landwirtschaftlichen Be-reich untersucht worden wäre, würde von den Autoren eine Verteilung mit stärkerer Ausrichtung zur Dialektvarietät hin vermutet werden. Für den landwirtschaftlich-handwerklichen Bereich stellt das Niederdeutsche durchaus Begriffe zur Fachkommunikation bereit. Die These müsste jedoch an anderer Stelle untersucht werden.

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206 Kathrin Weber/Timo Schürmann

Neben Begriffen aus der Fachsprache werden häufig auch Komposita in der Standardvarietät realisiert. Komposita dienen in erster Linie der Erweite-rung des Wortschatzes und damit dem Ausbau des Substantiv- und Adjek-tivinventars. Kommunikation 3 Herrmann, tino froch of seij n Ladegerät holen kann! Geijt dat?

Herrmann, tino fragt ob sie ´n Ladegerät holen kann! Geht das?SchreiberIn M (10:31)

Mut Sey dörn Wintergarten ien Miene Komma kegen dat Berre is dat ien döüse

Muss sie durch den Wintergarten in mein Zimmer neben dem Bett ist das in der SteckdoseSchreiberIn H (10:33)

ok

okSchreiberIn M (10:35)

In Kommunikation 3 sind lediglich die Komposita Ladegerät und Wintergar-ten in der Standardvarietät. Eine intendierte Übersetzung in dialektale Va-rianten findet nicht statt. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Kommuni-kation zwischen einem Freund der Familie Albert und Theresia.

Kommunikation 4 Hey! Freidach Lopschaue inpacken? :-) LG

Hey! Freitag Laufschuhe einpacken? :-) LG

SchreiberIn A (14:35)

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 207

Moin! Klar kön wir gerne moken :) Lg tourüggge

Moin! Klar können wir gerne machen :) Lg zurückSchreiberIn T (14:52)

LÄUFT!!!

LÄUFT!!!

SchreiberIn A (16:16)

Dann mok wi eijnen weinprobenlaufanne mosel :)

Dann machen wir einen weinprobenlauf an der Mosel :)SchreiberIn T (18:36)

Obwohl lop- bereits vorher als Kompositumsbestandteil in Lopschaue ver-wendet wird, greift Theresia bei der Bildung des scherzhaften Weinproben-lauf auf die Standardvariante zurück. Auch in diesem Fall könnten also Be-standteil auf Plattdeutsch realisiert werden, dennoch wird bei der Komposi-tabildung offensichtlich das Standarddeutsche bevorzugt. Dass Komposita vornehmlich in der Standardvarietät realisiert werden, lässt darauf schließen, dass sich das Niederdeutsche im Bereich der Lexik nicht weiterentwickelt und damit im Hinblick auf seine Vitalität als Sprache stagniert oder eher rückläufig angelegt ist (vgl. auch hier die Ergebnisse von Elmentaler 2008). Im Gegensatz zu Komposita weist die Verwendung von Partikeln keine ein-deutige Präferenz auf. Folgende Partikelformen wurden dazu untersucht: Begrüßungs- und Verabschiedungspartikeln, Fokus-, Modal- und Negati-onspartikeln. Begrüßungen und Verabschiedungen sind in der SMS-Kommunikation kei-ne obligatorischen Kommunikationsstrukturen (vgl. Schmid 2001). Wenn Begrüßungen im vorliegenden Korpus verwendet werden, dann ist keine klare Präferenz für eine Varietät festzustellen, wobei bei standardnäheren Begrüßungsformeln auch Anglizismen im Rahmen einer jugendsprachli-

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208 Kathrin Weber/Timo Schürmann

chen Varietät zu verzeichnen sind. In der Dialektvarietät bildet „moin“ die einzige Variante einer Begrüßungsformel. Begrüßungen Standard Begrüßungen Platt Token: 4 Type: Hallo (2), Hi, Hey

Token: 4 Type: moin

Verabschiedungspartikeln konnten im vorliegenden Korpus in keiner Form verzeichnet werden. Interessant ist weiterhin auch die Betrachtung von Fokus- und Modal- und Negationspartikeln. Auf der Ebene der Tokenfrequenz werden mehr Parti-keln in Form von nieder- als hochdeutschen Lexemen verwendet. Lexem der Dialektvarietät (Plattdeutsch) Types Types nur (1), ja (4), mal (2), eben (3), denn (1), bloß (1), doch (1),

all (13), wall (7), nu (7), nett (6), net (2), gor (1)

Gesamt: 13 (Token) Gesamt: 36 Token

Auf Type-Ebene fällt auf, dass die Partikel (aber auch das Adverb) all (hd. schon) durchgängig in der Dialektvarietät realisiert wird und – genau wie wall (hd. wohl) eine typische Partikel bzw. ein typisches Adverb des Nie-derdeutschen darstellt. Elmentaler (2008: 73f.) sieht vor allem im Bereich der Partikeln eine starke Konvergenz des Hochdeutschen. Insgesamt ist aber festzuhalten, dass bei frequenten Partikeln des Niederdeutschen in den vorliegenden Daten keine Verdrängung durch die standardnahe Form stattfindet. Lediglich bei wenig frequenten Formen werden, trotz bekannter plattdeutscher Form, die Nie-derdeutsche vorgezogen.

4.2 Code-Wechsel als funktionales Code-Switching an der Schnittstelle zwischen Sprecher und ccommunity of practice

Code-Switching, welches eine intendiert pragmatische Funktion auch in Form von Aushandlungsphänomenen erfüllt, finden im Korpus tendenziell selten statt. Meist ist der grundlegende Code, in welchem die SMS ge-schrieben wird, von jenem abhängig, welcher auch in der mündlichen

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 209

Kommunikation bevorzugt ist. Adressatenspezifik spielt hier also eine ent-scheidende Rolle. Aushandlungsprozesse sind im Gegensatz zu den be-reits beschriebenen Insertionen im Rahmen der language alternation zu fassen. Nach Auer kreiert der Sprecher – in diesem Fall der Schreiber – ei-nen sprachlichen Kontext für einen zweiten Sprecher bzw. Schreiber im Sinne des Anbietens einer Interaktionsmodalität in Varietät A. Sprecher B erneuert diesen Kontext durch die Bereitstellung einer Lesart des vorgege-benen Kontextes von A. Sprecher B kann die angebotene Sprache von A also ratifizieren oder ablehnen und damit einen neuen Kontext oder eine Projektion für den nächsten turn kreieren. Eine gewisse Bandbreite an mög-lichen Sprachen zwischen zwei Sprechern bzw. Schreibern kann die Präfe-renz für eine gemeinsame Sprache in der Interaktion nicht negieren (vgl. Auer 2009: 499). Ein Beispiel für die Markierung einer Interaktionsmodalität, welche durch Code-Switching von der Dialektvarietät in die Standardvarietät gekenn-zeichnet ist, ist in folgendem Beispiel ersichtlich: Kommunikation 5 Büs du inus?

Bist du zu Haus?

SchreiberIn U (14:03)

ja warum?

ja warum?SchreiberIn H (14:03)

Ich stehe bei euch vor verschlossenen türen

Ich stehe bei euch vor verschlossenen Türen

SchreiberIn U (14:05)

Die Schreiber Ulf und Hermann sind verabredet. Hermann klingelt zum ver-abredeten Zeitpunkt an der Tür von Ulf; dieser öffnet jedoch nicht. Schrei-ber Ulf eröffnet die WhatsApp-Interaktion in der Dialektvarietät. Dies scheint der normal ausgehandelte Code für die schriftliche Interaktion zu

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210 Kathrin Weber/Timo Schürmann

sein. Hermann antwortet jedoch in der Standardvarietät und negiert damit den angebotenen Interaktionscode (negotiation). Solche negotiations kön-nen entweder adressatenspezifisch sein, oder aber kontextuell-funktional gebunden. Im Gegensatz zu den bereits besprochenen Insertionen, be-zeichnet Auer Switches, welche sich auf units of interaction erstrecken, als „echtes“ Code-Switching. Schreiber Ulf ratifiziert dieses Code-Switching und antwortet ebenfalls in der Standardvarietät. Die teilidiomatische Wen-dung „vor verschlossenen Türen stehen“ wird hier in der Standardvarietät geäußert und eröffnet eine spielerischer Modalität. Die Frage, ob Hermann zu Hause sei, bildet den Beginn des Dialogs und wird von Ulf auf Plattdeutsch – dem bereits ausgehandelten Code – kom-muniziert. Hermann negiert jedoch den vorgeschlagenen Code von Ulf und antwortet in der Standardvarietät. Ulf nimmt in der darauf folgenden Se-quenz den durch Hermann initiierten Code an. Die Kritik, den Interaktions-partner zum verabredeten Zeitpunkt im Haus nicht angetroffen zu haben, wird dadurch face-wahrend, aber in Distanzsprache geäußert. Die Stan-dardsprache hat hier in der dritten Sequenz also eine eindeutige pragmati-sche Funktion, obgleich sie durch Hermann initiiert wurde. Die teilidiomati-sche Wendung, welche ein eher formelles Register impliziert, trägt zu einer Abschwächung durch implizierte Spaßmodalität bei. Dieses funktionale Code-Switching stellt weniger ein adressatenspezifisches Code-Switching als mehr ein funktionales, kontextgebundenes CS dar. Ähnlich verhält es sich auch im folgenden Beispiel: Kommunikation 6 Aaaaauufmerksamkeit

AufmerksamkeitSchreiberIn M (18:03)

Kuuuuurs

Kurs!SchreiberIn T (18:04)

Das Sprachspiel unter Zuhilfenahme von emulierter Prosodie, wird eben-falls in der Standardvarietät durchgeführt. Anders als in Kommunikation 1

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„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 211

wird hier allerdings keine facebewahrende Funktion erfüllt, sondern ledig-lich in expressiver Form Mündlichkeit nachgeahmt. Das folgende Beispiel zeigt, dass der Wechsel in die Dialektvarietät eng an frames gebunden sein kann. Kommunikation 7 Heute Nachmittag zum Fußballtunier bzw. erste gucken???

Heute Nachmittag zum Fußballtunier bzw. erste gucken???SchreiberIn AS (13:11)

familienaufstand! :D

familienaufstand! :DSchreiberIn KG (13:29)

bi mi uk

bei mir auchSchreiberIn M (13:32)

Haha kein Stress ;)

Haha kein Stress ;)SchreiberIn W (13:30)

Marina schickte interessanterweise eine Nachricht aus der Freundes-gruppe. Innerhalb dieser Gruppe gilt die Standardvarietät grundsätzlich als Kommunikationssprache. Maria wechselt aber bei der Nennung der Familie ins Plattdeutsche, wodurch ein Zusammenhang von semantischen frames und Varietätenverwendung bei der Schreiberin deutlich wird.

4.3 Aushandlungsprozesse – Der Zusammenhang von Code-Wechsel und ccommunity of practice

Weniger kontextuell gebunden als adressatenspezifisch ist der folgende Aushandlungsprozess um einen gemeinsamen Schreibcode zwischen Susanne (Tante) und Theresia (Nichte). Obgleich die Schreiber angeben,

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212 Kathrin Weber/Timo Schürmann

dass die Dialektvarietät den gemeinsamen familiären Sprechcode darstel-le, ist die Standardvarietät dennoch die Varietät, in welcher die kontrollier-te Schreibsozialisation stattgefunden hat. Dies verbindet sich vor allem bei Susanne in ihrer Rolle als Lehrerin mit einem gewissen Normverständnis und standardsprachlichen Varietätengebundenheit von Schriftlichkeit. Das folgende Beispiel zeigt das Spannungsfeld zwischen standardsprachlicher Schreibsozialisation und mündlich ausgehandeltem Code.

Kommunikation 8 Wann fährst du denn nach Köln?

Wann fährst du denn nach Köln?

SchreiberIn S (15:53)

Ik föhr van omnd mit peter hen münster un morgen dann wieder hen köln ;)

Ich fahr heut Abend mit Peter nach Münster und morgen dann weiter nach Köln ;)SchreiberIn T (15:54)

Ick froch bloß weil du sons uck mit schuldes hen tou äten :)

Ich frag bloß weil du sonst auch mit solltest zum essen :)SchreiberIn S (15:55)

Oh schade dat geiht leider nich :(

Oh schade das geht leider nicht :(SchreiberIn T (15:55)

Dann dou wi dat noch’n annermal wenn du de wer büss- wo hab ich gistern überhaupt speelt?

Dann machen wir das noch ein anderes Mal, wenn du wieder hier bist- wie habt ihr gestern überhaupt gespielt?SchreiberIn S (16:59)

Page 222: SMS, WhatsApp und Co

„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 213

Ja cool :) leider 3:1 verloren

Ja cool :) leider 3:1 verlorenSchreiberIn T (17:20)

Susanne beginnt die Nachricht in der Standardvarietät, welche ihrer Schreibsozialisation entspricht. Theresia negiert diesen Code im Sinne ei-ner language negotation und bietet durch die Antwort in der Dialektvarietät den mündlich ausgehandelten Code als schriftlichen an. Susanne ratifiziert dieses Code-Switching und antwortet ebenfalls in der Dialektvarietät. Der dialektale Code bleibt bis zu einer längeren Pause (zwischen 16:59 und 17:20) der dominierende und stellt demnach eine längere Einheit in der switched-to-language dar. Die Sequenz „Ja cool :) leider 3:1 verloren“ zeigt jedoch, dass Theresia in der Interaktion mit Susanne nicht immer den Dia-lektcode forciert. Auch in der mündlichen Kommunikation haben die Spre-cher (potenziell) die Möglichkeit in beiden Codes zu kommunizieren. Selbst, wenn die Schreiber angeben, allein in der Dialektvarietät im Fami-lienkreis zu kommunizieren, schließt dies die Kommunikation in einer standardnahen Varietät zwischen den Schreibern in der gesprochenen Sprache nicht aus.

Kommunikation 9

Hallo :) büs du nett ihne schoule? Ik bün ihn duisburg an“ hbf un kunn eben vabi kieken :) lg zucker!

Hallo :) bist du grade in der schule? Ich bin in Duisburg am Hbf. und kann eben vor-beischauen :) lg zucker!

SchreiberIn T (14:44)

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Hallo ZuckerHab deine sms zu spaet seijn wor buess du nu bliffet bi Touken Waeke? Up Platt buent de Woerde kaater hierall ok alta

Hallo ZuckerHab deine sms zu spät gesehen wo bist du jetzt bleibt es bei nächster Woche? Auf Platt sind die Wörter kürzer hier schon ok altaSchreiberIn S (16:37)

Wie schon in Kommunikation 8 ist es auch hier Theresia, die die Kommuni-kation im dialektalen Code beginnt, und auch hier nimmt Susanne den ein-geführten Code auf. Allerdings zeigt sich auch hier, dass für die Lehrerin Susanne das Plattdeutsche als Schriftsprache ein gewisses Konfliktpoten-zial darstellt. Sie thematisiert die für sie ungewohnte Verwendung des Dia-lekts mithilfe eines Vergleichs der unterschiedlichen Wortlängen in den je-weiligen Varietäten (Auf Platt sind die Wörter kürzer hier schon ok). Diese Relevanzsetzungen unterschiedlicher Schreibweisen kommen in der Kom-munikation der jugendlichen Schreiber nicht vor. Schegloff (1991: 49ff.) nennt diese Setzung von Handlungs- und Interpretationsrelevanz „the problem of relevance“. Die Schreiberin legt im Sinne der display-Theorie offen, dass sie bei der Formulierung des SMS-Textes von lexikalischen Schriftbildern aus der Standardsprache geprägt ist und dass die Schreibe-rin Abweichungen konzeptionell schriftlicher und konzeptionell mündlicher Strukturen als salient empfindet. Möglicherweise ist hier ein unterschiedlicher Umgang mit der Kommunika-tionsform SMS, oder eine unterschiedliche Funktionsannahme von Schrift-lichkeit als Grund für das Unbehagen der Schreiberin in der Dialektschrei-bung anzuführen. Während für die jüngere Generation die SMS informeller Kommunikation dient und damit konzeptionell mündlich assoziiert ist, ist der Umgang mit der SMS für die ältere Schreiberin mit normkonformer As-soziation im Schriftlichen kein alltäglicher, sondern dient eher dem Infor-mationsaustausch (vgl. Kommunikation 8, 9) und scheint in allen Kommu-nikationssituationen eher dem konzeptionell Schriftlichen näher zu stehen. Die mediale Trennung von Dialekt – mündlich – und Standardvarietät –

Page 224: SMS, WhatsApp und Co

„Niederdeutsche SMS-Kommunikation“ 215

schriftlich – erscheint so präsenter und dient als Kriterium für die Verwen-dung des Standardcodes bei der älteren Schreiberin.

5. Fazit

Mit Blick auf die Fragestellung, welche Funktionen das Standarddeutsche in der niederdeutschen SMS-Kommunikation von L1-Sprechern erfüllt bzw. welche durch das Niederdeutsche nicht erfüllt werden kann, lassen sich aus der Korpusanalyse folgende Aussagen auf lexikalischer Ebene treffen: 1. Fachtermini werden hier ausschließlich in der Standardvarietät reali-

siert. Aufgrund der Dominanz des Hochdeutschen in der Bildung und der öffentlichen Kommunikation kann dieses Ergebnis nicht überra-schen. Inwiefern das vorhandene Repertoire an Fachbegriffen aus dem Agrarbereich noch Verwendung findet, bedarf einer eigenen Un-tersuchung.

2. Kompositabildungen finden ebenfalls in der Standardvarietät statt. Selbst vorhandene Kompositabestandteile finden bei Neubildungen keine Verwendung. Dies hat Konsequenzen für die Entwicklung des niederdeutschen Wortschatzes und bestätigt die Charakterisierung des Niederdeutschen als morbunder Sprache (Müller 2008).

3. Different zeigt sich die Partikelverwendung. Begrüßungen werden gleichermaßen in beiden Varietäten realisiert. Frequente Partikeln und Adverbien des Dialekts (wie wall oder all) werden weiterhin nicht von den hochdeutschen Formen verdrängt.

4. Die standardnahe Varietät wird in facebewahrender Funktion (Kom-munikation 5) oder zur Demonstration von Emphase (Kommuni-kation 6) eingesetzt. Bei Siebenhaar (2005) erfüllt der Dialekt genau diese Funktion.

5. Die enge Bindung an den familiären Rahmen kann auch in Form von Code-Switching auslösenden frames beobachtet werden.

6. Mit Bezug auf Aushandlungssequenzen kann für das Korpus konsta-tiert werden, dass vor allem die älteren Schreiber zur Verwendung der Standardvarietät in der SMS-Kommunikation tendieren, obgleich die mündlich ausgehandelte Alltagssprache das Börger Platt darstellt.

Page 225: SMS, WhatsApp und Co

216 Kathrin Weber/Timo Schürmann

Zu überprüfen bleibt die These, ob eine stärkere Assoziation der Kommuni-kationsform SMS mit medialer Schriftlichkeit und damit der Standardvarie-tät bei den älteren Schreibern gegenüber den jüngeren Schreibern, die SMS vor allem zur informellen Kommunikation und damit konzeptionell münd-lich verwenden, als Grund dafür gelten kann.

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Spycher, Samuel (2004): „I schribdr de no…“. Schweizerdeutsche Um-gangsformen in der SMS-Kommunikation. In: Networx 36, 3-36.

Stellmacher, Dieter (1987): Wer spricht Platt? Zur Lage des Niederdeut-schen heute. Eine kurzgefasste Bestandsaufnahme. Bremen.

Taubken, Hans (1985): Die Mundarten der Kreise Emsland und Grafschaft Bentheim. Teil 1: Zur Laut- und Formengeographie. In: Emsländische Landschaft für die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim (Hg.): Emsland/Bentheim. Sögel: Verlag der Emsländischen Landschaft, 271-404.

Wenger, Etienne (2000): Communities of practice and social learning sys-tems. In: Organization 7(2), 225-246.

Page 228: SMS, WhatsApp und Co

Liste der Beitragenden

KATJA ARENS, Bachelor-Studium der Germanistik und Kommunikations wis-senschaft an der WWU Münster. Bachelorarbeit zum Thema „Expressivität in der WhatsApp-Kommunikation“; derzeit Studium des Masterstudien-gangs „Angewandte Sprachwissenschaft“ an der WWU Münster. NILS BAHLO, Studium der Germanistik und Geschichte an der Freien Universi-tät Berlin, 1. Staatsexamen für das Lehramt des Studienrats und Magister Artium; Promotion in der Germanistischen Sprachwissenschaft mit einer Arbeit zum „Sprachlichen und sozialen Selbstverständnis Berliner Jugend-licher“; seit Mai 2013 Studienrat im Hochschuldienst am Germanistischen Institut der WWU Münster. JULIAN GRAFFE, Studium des Bachelor of Arts mit den Fächern Germanistik und Soziologie an der WWU Münster (Abschluss Sommersemester 2013); Bachelor-Arbeit zu dem Thema „Gattungsanalyse von Gesprächen im Nach-richtendienst des sozialen Netzwerks Facebook.“ SARAH KIM, Studienabschluss als Diplom-Orchestermusikerin und Diplom-Instrumentalpädagogin für Klarinette, derzeit Studium im Zwei-Fach-Bachelor in den Fächern Germanistik und Musik, Klarinetten- und Saxofon-lehrerin an der Musikschule Coesfeld, Vertretungslehrkraft im Fach Musik am Pius-Gymnasium in Coesfeld (2009-2010) und am Wilhelm-Hittorf-Gym-nasium in Münster (2010-2011). KATHARINA KÖNIG, Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie und Pä-dagogik an der WWU Münster und dem Trinity College Dublin; Promotion in der Germanistischen Sprachwissenschaft zum Thema „Spracheinstellun-gen und Identitätskonstruktion. Eine gesprächsanalytische Untersuchung sprachbiographischer Interviews mit Deutsch-Vietnamesen.“, seit Oktober 2013 Studienrätin im Hochschuldienst am Germanistischen Institut der WWU Münster.

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220 Liste der Beitragenden

EIKE KRABBENHÖFT, Studium des 2-Fach-Bachelor in den Fächern Germanistik und Ökonomik an der WWU Münster, Bachelor-Arbeit zum Thema „SMS-Gattungen im Vergleich. Eine empirisch-dialogische Untersuchung“; da-nach Master of Education Gymnasium/Gesamtschule in den Fächern Deutsch und Sozialwissenschaften; derzeit Referendariat an einem Gym-nasium. YING MA, Bachelor- und Master-Studium der Germanistik an der Xi’an Inter-national Studies University in China; Oktober 2010- August 2011 Gaststu-dentin bei Prof. Dr. Susanne Günthner an der WWU Münster und Mitglied des vom DAAD und China Scholarship Council geförderten PPP-Projekts „Kommunikation in den Neuen Medien: Kontrastive Untersuchungen chi-nesischer und deutscher SMS-Nachrichten“; derzeit Doktorandin und Wis-senschaftliche Hilfskraft bei Prof. Dr. Evelyn Ziegler (Universität Duisburg-Essen). WIEBKE QUADER, Studium der Germanistik und Chinastudien als 2-Fach-Bachelor an der WWU Münster; Studienschwerpunkte interkulturelle Kom-munikation, Linguistik und gesprochene Sprache; Arbeit als studentische Hilfskraft im Forschungslabor Gesprochene Sprache (Leitung Prof. Dr. Susanne Günthner) und beim Deutschen Orientalistentag. TIMO SCHÜRMANN, Studium des 2-Fach-Bachelor Germanistik und katholi-sche Theologie an der WWU Münster, Abschluss voraussichtlich im Winter-semester 2014/15. Tutor für die Vorlesung „Einführung in die germanisti-sche Sprachwissenschaft. CHRISTINE WALL, Studium der Fächer Deutsch und Französisch im 2-Fach-Bachelor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. KRISTINA WARDENGA, Studium der Fächer Deutsch und Spanisch im Zwei-Fach-Bachelor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Münster.

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Liste der Beitragenden 221

KATHRIN WEBER, Magister- und Lehramts-Studium der Germanistik, Geschich-te und Philosophie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Prof. Dr. Helmut Spie-kermann an der WWU Münster und Mitarbeiterin am Centrum für Nieder-deutsch. Laufende Promotion in der Germanistischen Sprachwissenschaft zum Thema „Variationslinguistik und Konstruktionsgrammatik“. MARIANNE WIECZOREK, Bachelor-Studium der Germanistik und Geschichte an der WWU Münster; Bachelor-Arbeit zu dem Thema „Sprache und Ge-schlecht: Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der SMS –Kommuni-kation von Männern und Frauen“; derzeit Studium im Master of Education Gymnasium und Gesamtschule an der WWU Münster. QIANG ZHU, Studium der Germanistik an der Xi’an International Studies Uni-versity (VR China) und Promotion in der Germanistischen Sprachwissen-schaft zu dem Thema „Anmoderationen der wissenschaftlichen Konferenz-vorträge. Ein Vergleich des Chinesischen mit dem Deutschen“ an der WWU Münster, derzeit Assistent für Deutsch an der Fakultät für Deutsch der Xi’an International Studies University.

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SMS, WhatsApp & Co.

Katharina König und Nils Bahlo (Hrsg.)

Seit 1992 die erste SMS verschickt wurde, hat die schriftliche handy-vermittelte Kommunikation immer mehr an Bedeutung in der Alltags-interaktion gewonnen. Technische Neuerungen wie die Einführung von internetfähigen smart phones sowie der hiermit verbundenen internetgestützten messenger-Systeme (wie z.B. WhatsApp) haben

Die Beiträge in dem vorliegenden Band nähern sich diesem For-schungsgegenstand aus verschiedenen linguistischen Perspekti-ven: Es werden verfestigte kommunikative Muster und Gattungen in SMS-, WhatsApp- und Facebook-Dialogen in den Blick genommen (z.B. Begrüßungen, Verabredungen, Klatsch). Deutsch-chinesisch

in der Vorwurfskommunikation auf. Unter variationslinguistischen Gesichtspunkten wird zudem die Bedeutung sprachlicher Variation

schriftlichen Kommunikation diskutiert.