analysen zu luigi nonos werk “non hay caminos, hay que caminar... andrej tarkovskj”
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8/9/2019 Analysen zu Luigi Nonos Werk Non hay caminos, hay que caminar... Andrej Tarkovskj
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Mit herzlichem Dank an
das Archivio Luigi Nono, Venedig; Frau Dr. Erika Schaller,
Cordula Stepp und Sandra Kirschenhofer
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Inhalt
1. Einleitung .................1
2. Hintergrnde der Entstehung ... 2
2.1. Entstehung und Urauffhrung . ..2
2.2. Tarkovskys Leben und Werk .... .3
3. Die formale Konzeption des Werkes .........5
3.1. Formverlauf . .5
3.2. Instrumentarium .. ...12
3.3. Orchesteraufstellung ............13
3.4. Rhythmische Strukturen .......15
3.5. Mikrointervalle .....18
3.6. Klangmaterial . .....22
4. Schlussbemerkungen ..27
5. Anhang .............28
5.1. Studium der Skizzen......28
5.2. Schematische Darstellung der Klangbewegungen .30
6. Literaturverzeichnis ...40
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2. Hintergrnde der Entstehung
2.1 Entstehung und Urauffhrung
Whrend seiner Spanienreise (1985) hatte Nono auf einer Klostermauer in Toledo eine
Inschrift gefunden, die er fr mittelalterlich hielt und unmittelbar auf sich selbst bezog:
"Caminante no hay caminos hay que caminar" ("Wanderer. Es gibt keineWege. Es gibt nur das Gehen").
In Wirklichkeit handelte es sich bei dieser Mauerinschrift um ein verndertes Zitat aus
einem Gedicht von Antonio Machado welches dieser selbst bereits 1960 und 1962/63
vertont hatte:
Caminante, son tus huellas Wanderer, deine Spuren
al camino y nada ms: sind der Weg, sonst nichts:
caminante no hay camino, Wanderer es gibt keinen Weg,
se hace camino al andar. Weg entsteht im Gehen.
Al andar se hace camino Im Gehen entsteht der Weg y al volver la vista atrs und schaust du zurck
se ve la senda que nunca siehst du den Pfad
se ha de volver a pisar. den du nie mehr betreten kannst.
Carninante no hay camino, Wanderer es gibt keinen Weg,
sino estelas en la mar. nur eine Kielspur im Meer.
Nono war von diesen Worten tief berhrt und zitierte sie oft. Er verstand sie als Metapher
seines Ichs! Die Titel seines Streichquartetts3 und von Prometeo4, sowie aller Werke, die
zwischen 1987 und 1989 entstanden sind, beziehen sich auf die zitierten Verse von Antonio
Machado.
3 Fragmente Stille, an Diotima fr Streichquartett (1979/80)
4 Prometeo. Tragedia dell'ascolto 1. Fassung (1981/1984), 2. definitive Fassung (1985)
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Der Komponist Luigi Nono ist ein Wanderer, unterwegs zu Klangwelten, in die sich noch
niemand vorgewagt hat. Aber als Wanderer bewegt er sich auch in der Zeit, der Geschichte
und der Musikgeschichte. Dass man Nono auch als Wanderer in der Todeslandschaft von
Franz Schuberts Winterreise(D 911,1827), sehen kann, bezeugt folgendes Zitat:
"die Winterreise von F. Schubert, p - fff- ppp - f - ppppppp fffff inmeinem Herzen",
notierte Nono im Turiner Programm zu den Risonanze erranti5.
Bereits whrend der Entstehungszeit des Prometeo lag die Partitur ber einen anderen
liebeskranken Wanderer immer wieder auf Nonos Arbeitstisch: Manfred von Lord Byron in
Robert Schumanns khner Vertonung 6.
2.2 Tarkovskys Leben und Werk
"Ich bin fr eine Kunst, die dem Menschen Hoffnung und Glauben gibt. Jehoffnungsloser die Welt ist, von der ein Knstler erzhlt, um so deutlicherwird er vielleicht das ihr Entgegengesetzte Ideal erspren lassen - sonstlohnt es sich nicht zu leben" 7
Andrej Tarkovsky, knstlerisch eigenwilliger Filmregisseur und Autor, war einer der
groen Visionre dieses Jahrhunderts: Sein Ausdrucksmittel war eine visionre
Bildersprache, mit der er sein Publikum unmittelbar erreichte.
Er wurde am 4. April 1932 als Sohn des bekannten russischen Dichters Arseniy Tarkovsky
in Zavraje geboren und wuchs in der Knstlerkolonie von Peredelkino bei Moskau auf.
Zunchst absolvierte er ein weit gefchertes Studium mit den Fchern Geologie, Malerei,
Musik und Bildhauerei. Whrend der politischen Tauwetterperiode nach Stalins Tod,
5 Risonanze erranti. Liederzyklus a Massimo Cacciari. (1986)
6 Manfred op. 115, Robert Schumann, dramatisches Gedicht fr Sprecher, Soli, Chor und Orchester nachLord Byron
7 Tarkovsky, Andrej
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studierte Tarkovsky an der staatlichen Filmschule VGIK 8. Sein erster Spielfilm Ivanovo
detstvo ( Iwans Kindheit ) erhielt 1963 den "Goldenen Lwen" der Filmfestspiele in
Venedig. Im selben Jahr schrieb er zusammen mit Andrej Kontschalowsky das Buch zu
dem Film Andrej Rubljow, den er 1966 drehte und der 1969 bei den Filmfestspielen in
Cannes gezeigt und mit dem Internationalen Kritikerpreis ausgezeichnet wurde. In der
Sowjetunion war der Film wegen Mystizismus verboten.
Bekannt wurden auerdem seine Filme Solaris (1971/72 , nach dem Roman von Stanislaw
Lem), Zerkalo (1974 , Der Spiegel ), Stalker (1979), Nostalghia (1983) und Opfer (1986).
Ab 1980 lebte Tarkovsky vorwiegend in Italien. 1985 erschien sein vielbeachtetes Buch
Die versiegelte Zeit: Gedanken zur Kunst, zur sthetik und Poetik des Films. 1986 drehte
Tarkovsky in Schweden seinen letzten Film, die politisch-religise Parabel Offret (Opfer ), in der er ein dsteres Bild der Welt nach einem vernichtenden Atomschlag zeichnete. Ende
desselben Jahres, nach den Dreharbeiten zu Opfer in Schweden, kehrte er nach Italien
zurck, bereits gezeichnet von seinem Krebsleiden, dem er am 29. Dezember 1986 in Paris
erlag.
8 VGIK: Vserossuyski Godsudarstvenni Institut Kinematografi, Moskau.
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3. Die formale Konzeption des Werkes
3.1 Formverlauf
Das ganze Stck besteht aus 26 (= 13x2) Abschnitten mit jeweils 2 bis 14 Takten (13
Stufen). Insgesamt gibt es 169 (= 13x13 ) Takte.
In jedem Abschnitt existieren weitere kleine Teile, die aus 1, 2, 3, oder 5 Takten aufgebaut
sind. (Abb. 3.1.1). Der lngste Abschnitt mit 14 Takten ist Abschnitt 9.
Abschnitt ab Takt bis Taktzahl tempo fermata Zeitdauer Zeitdauer
1 1 5 5 30 00:00:442 6 18 13 5+5+3 30 00:01:443 19 30 12 3+3+3+3 30 00:01:364 31 32 2 2 30 120 5" 7" 00:00:215 33 40 8 3+5 30 00:01:046 41 44 4 30 00:00:327 45 46 2 30 00:00:168 47 53 7 7 30 00:00:569 54 67 14 30 00:01:5210 68 75 8 3+5 30 00:01:0411 76 79 4 1+3 120 60 120 7" 00:00:2012 80 87 8 5+3 30 00:01:0413 88 93 6 3+3 30 00:00:4814 94 101 8 3+1+3+1 30 00:01:0415 102 109 8 (3+2)+3 30 00:01:0416 110 115 6 30 00:01:4817 116 120 5 5 30 60 120 7" 00:00:3218 121 128 8 3+5 30 00:01:0419 129 133 5 5 30 7" 00:00:4720 134 138 5 5 120 60 120 7" 00:00:1921 139 143 5 5 30 00:00:40
22 144 155 12 30 00:01:3623 156 159 4 1+3 120 60 120 7" 4" 00:00:2424 160 164 5 2+3 30 60 120 8" 00:00:3425 165 166 2 (1+1)+(1+2) 30 120 16" 00:00:2626 167 169 3 3(1+2) 60 120 7" 00:00:15
sum 169 82 00:22:54
Abb. 3.1.1
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Mit Abb. 3.1.2 wird ersichtlich, dass die Abschnitte mit jeweils 2-14 Takten einem
mathematischen Prinzip folgen: So erscheinen zum Beispiel die Abschnitte mit 2 Takten
3x, die mit 3 Takten 1x, usw.
Die Serie [ 3 - 1 ] wird zuerst wiederholt und dann variiert, indem die Abschnitte
verdoppelt werden: [ 3 - 1 ] wird zu [ 6 - 2 - 1 ].
Abschnittslnge in Takten 2 3 4 5 6 7 8 12 13 14Erscheinen der Abschnitte 3 1 3 6 2 1 6 2 1 1
Abb. 3.1.2
Die wichtigste Zahl in diesem Stck ist die Sieben: Das Werk ist fr 7 Chre geschrieben,
die an 7 verschiedenen Orten positioniert werden. Der zentrale Ton ist g, allerdings mit
viertel- und halbtnigen Erniedrigungen und Erhhungen, so dass insgesamt 7 Tne im
Vierteltonabstand zur Verfgung stehen und das innerhalb von 7 Oktaven.
Abb.3.1.3
Die Dynamik geht von einem siebenfachen Piano bis zum fnffachen Fortissimo.
Insgesamt enthlt das Stck also vierzehn verschiedene Dynamikbezeichnungen (= 7x2).
Wenn man piano als -1 und mezzopiano als 1 bezeichnet, gibt es Stufen von -1 bis -7 und+1 bis + 7.
ppppppp pppppp ppppp pppp ppp pp p P F f ff fff ff
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
-7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 1 2 3 4 5 6 7
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Abb. 3.1.4
In Abb.3.1.5 lsst sich der dynamische Verlauf innerhalb jedes einzelnen Abschnittesnachvollziehen. In Abb.3.1.6 und 3.1.7 sind die dynamischen Bezeichnungen durch Zahlen
ersetzt worden, um die Analyse zu erleichtern.
Abschni tt
1 ppp pp p ppppp P2 ppppp ppp pp f3 ppp pp P ppppp p4 ppp fff p ppp5 ppppp ppp ppppp6 p ppp p P F P pppp F7 ppppp8 ppp ffff fff ff fff ffff ppp pppp9 p P p pppp p fffff
10 ppppp ff11 ffff ppp f ff fff ffff12 ppppppp ppppp13 ppp14 p pp ppp pppp ppppp ppp15 ppp pp p fff ff f fff f ffff16 ppppp17 pp P f ff ffff18 ppppp19 ppp20 ffff pp ffff ppp21 pppp ff fff22 ppppp23 ffff ppp ff fff ffff24 ppp pp p F ffff25 pppp ffff26 f ffff ppppppp
Abb. 3.1.5
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bschnitt ppppppp pppppp ppppp pppp ppp pp p P F f ff fff ffff fffffffff
1 * * * * * *2 * * * * * * * * * * **3 * * * * * *4 * * *5 * * * *6 * * * * * *7 *8 * * * *9 * * * * **10 * *
11* * * *
12 * *13 *
14 * * * * *
15* * * < * > < * < * * *
16 *
17* * * * > *
18 *19 *20 * > > > > > > > *
21* * *
22 *
23* * * *
24* * * * > > > *
25 * * > * *26 * > > > > > * > > * > > *
sum 2 2 10 8 16 8 12 6 3 5 7 7 11 2
Abb. 3.1.6
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Abschni tt
1 5 6 7 3 82 3 5 6 103 5 6 8 3 74 5 12 7 55 3 5 36 7 5 7 8 9 8 4 97 38 5 13 12 11 12 13 5 49 7 6 7 4 7 14
10 3 1111 13 5 10 11 12 1312 1 313 514 7 6 5 4 3 515 5 6 7 12 11 10 12 19 1316 317 6 8 10 11 1318 319 520 13 6 13 521 4 11 1222 323 13 5 11 12 1324 5 6 7 9 1325 4 1326 10 13 1
Abb. 3.1.7
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Abschni tt sum
1 3 2 1 5 1 -102 5 3 2 3 -73 3 2 1 5 1 -104 3 5 1 3 -25 5 3 5
-13
6 1 3 1 1 2 1 3 2-2
7 5-5
8 3 6 5 4 5 6 3 4 169 1 1 1 4 1 7 110 5 4
-1
11 6 3 3 4 5 621
12 7 5 -1213 3
-3
14 1 2 3 4 5 3 -1815 3 2 1 5 4 3 5 3 62016 5 -517 2 1 3 4 6 1218 5 -519 3 -320 6 2 6 3 721 4 4 5
522 5 -523 6 3 4 5 6 1824 3 2 1 2 6 225 4 6
2
26 3 6 7 2
Abb. 3.1.8
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144 des 169 Takte umfassenden Werkes verlaufen in einem sehr langsamen Grundtempo
= 30 (144 = 12x12). Die restlichen 25 Takte sind im doppelten oder vierfachen Tempo (25
= 5x5) notiert. Davon stehen 9 Takte im Tempo = 60 (9 = 3x3) und 12 Takte im Tempo
= 120 (12=3x4). Die verbleibenden 4 Takte sind mit Accelerando berschreiben (4=2x2).
Sie bestehen aus einem Takt mit einem Accelerando von 30 bis 60 und drei Takten mit
einem Accelerando. von 60 bis 120.
tempo TaktTakt30 144rest 2560 9120 12
accel.30-60 1accel.60-120 3
Abb. 3.1.9
Takt fermata tempo fermata32 5 120 776 120 777 6078 6079 accel.60-120117 accel.30-60118 60119 60120 120 7134 7 120135 120 7136 60137 120138 120
156 120 7157 60158 60159 accel.60-120 4162 60163 accel.60-120164 120 8166 120 16167 60168 120169 120 725 12 70
Abb. 3.1.10
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3.2 Instrumentarium
Die Orchestergruppen werden rund um die Zuhrer postiert: an der Stirnseite des Saales
befindet sich die erste Gruppe (drei Posaunen, groe Trommel und Pauken), vor ihr die
zweite (chorisch besetzte Streicher: 7 erste und 7 zweite Geigen, 6 Bratschen, 7 Violoncelli
und 6 Kontrabsse); an den Lngswnden die Gruppen 3 bis 6, von denen jeweils zwei
gleich besetzt sind, und zwar 3 und 5 mit Flte/Piccolo, Trompete und einer Violine. 4 und
6 mit Klarinette/kleiner Klarinette, Trompete und gleichfalls einer Violine. Jede dieser vier
seitlichen Gruppen enthlt berdies zwei Bongos unterschiedlicher Klanghhe. An der
rckwrtigen Wand des Saales befindet sich die siebte Gruppe (Posaune, Bratsche,
Violoncello, Kontrabass und symmetrisch zur ersten Gruppe groe Trommel und
Pauken). Von den sieben Chren ist nur der zweite homogen (Streicher), die andern mit
ihren Verbindungen von Blas-, Streich- und Schlaginstrumenten extrem inhomogen. Im
weiteren Verlauf des Werks lsst Luigi Nono auch homogene Chre entstehen etwa die
Bongos aus den Gruppen 3 bis 6 und gewinnt damit genau jene Mobilitt des Klanges im
Raum, welche er in seinen vorangegangenen Werken mittels der Live-Elektronik realisiert
hatte.
coro 1 coro 2 coro 3 coro 4 coro 5 coro 6 coro 7 sumFlten 1 1 2
Klarinetten 1 1 2Trompeten 1 1 1 1 4Posaounen 3 1 4
Gr.Tr. 1 1 2Pauken 1 1 2Bongo 2 2 2 2 8
Violinen I 7 1 1 9Violinen II 7 1 1 9Braschen 6 1 7
ViolonCelli 7 1 8Kontrabsse 6 1 7
sum 5 33 5 5 5 5 6 64
Abb. 3.2.1
Insgesamt sind 64 Instrumente beteiligt (64 = 8x8). Fr jedes Instrument existiert eine
Zahlenreihe: 2, 4, 7, 8, 9 die zweimal erscheint (2 erklingt viermal). In diesen
fnf im Raum verteilten Gruppen spielen jeweils fnf Instrumente (5x5 = 25). Somit
verbleiben noch 39 Instrumentalisten (39 = 13x3).
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3.3 Orchesteraufstellung
Bereits diese Form der Orchesteraufstellung lsst entscheidende Differenzen zwischen der
Komposition Gruppen von Stockhausen und Nonos Tarkowsky-Komposition erkennen. In
beiden Werken ist das Publikum dem Orchesterklang von mehreren Seiten ausgesetzt, es
befindet sich quasi im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens selbst und wird auf diese
Weise wesentlich unmittelbarer in die Auffhrungssituation einbezogen. Nono geht in
seiner Absicht, die traditionell klare Trennung zwischen Podium und Zuhrerraum
aufzuheben, noch einen Schritt weiter, da nicht nur das Orchester in insgesamt sieben
Chre, sondern auch der Publikumsblock in fnf Abteilungen gegliedert ist. Hier ergeben
sich vielfltige Mglichkeiten, je nach Platzwahl bewusst andere Hrperspektiven zum
Werk einzunehmen.
Abb. 3.3.1
Diese Positionierung bewirkt nicht nur rumliche Klangbewegungen, sondern hat auch
den Effekt von mikrotonaler Tonhhen-Vernderung, die sich in stndiger Bewegung
befinden. Mit dieser Technik trgt Nono dem Zitat Machados Rechnung: Sie vermittelt ein
Gefhl von stetiger Wanderung.
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In Abb. 3.3.2 sind die verschiedenen Klangbewegungen zwischen den einzelnen Gruppen
und die Verteilung der Mikrotne auf die Gruppen innerhalb der verschiedenen Abschnitte
abgebildet. 9
Abschni tt Klangbewegung Klangbewegung plus Klangnderung Statikeklang Klangnderung in Gr. sum sum
1 * * * 32 * * 23 * * 24 * 15 * * * 36 * 17 * 18 * 19 * 1
10 * 111 * 112 * 113 * * 214 * * 215 * 116 * 117 * 1
18 * 119 * 120 * 121 * 122 * 123 * 124 * * 225 * * 226 * 1
sum 10 12 7 7 36
Abb. 3.3.2
9 Fr die schematische Darstellung der Klangbewegungen innerhalb der einzelnen Gruppen siehe Anhang,5.2 Schematische Darstellung der Klangbewegungen, S.30
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3.4 Rhythmische Strukturen
Luigi Nono hat in sein Werk horizontale, vertikale und diagonale Rhythmusstrukturen
eingebaut.
Innerhalb der vertikalen Rhythmusstruktur versucht Nono durch unterschiedliche
Rhythmen und Tondauern zwischen den Instrumenten eine Klangbewegung von einer
Gruppe zu anderen zu realisieren. Dieser Effekt wird durch die Schlaginstrumente oder
durch kurze und schnelle Noten in anderen Instrumenten verstrkt (Bsp.Abb3.4.1). Dieser
kleine pulsierende Rhythmus wird variiert.
Abb. 3.4.1
Die horizontale Rhythmusstruktur liegt in den Blsern und Streichern. Innerhalb des
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Rhythmus wird die Tonhhe schleichend verndert (Bsp. Abb.3.4.2). Dadurch wird der
Frequenzbereich zwischen zwei Instrumenten enger oder breiter. Dieser Wechsel von
Mikrointervallen und rhythmischen Strukturen wird mit anderen Tonfolgen in anderen
Instrumenten imitiert oder variiert. Diese rhythmische Struktur basiert auf drei Rhythmen:
Sechzehntel oder Zweiunddreiigstel, Triolen und Quintolen.
Abb. 3.4.2
Die Rhythmen auf der horizontalen Ebene konstruiert Nono auf unterschiedliche Art und
Weise: Die eine Technik besteht darin, aus einer Folge von Zahlen einen Rhythmus zu
kreieren die zweite Konstruktionsmglichkeit besteht in der symmetrischen Spiegelung der
Zahlen an einer imaginren y-Achse. (Abb.3.4.2)
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In der diagonalen Rhythmusstruktur wandern die Tne mit ihrer Tondauer von einen
Instrument zum anderen oder von Gruppe zu Gruppe.
In Takt 6 in 7.Gruppe : Cb. : 5 ; Vc. : 7 ; Vla. : 9
In Takt 8 in 2.Gruppe : Cb. : 13 ; Vc. : 10 ; Vle. : 7
In Takt 11 in 1.Gruppe : 1. 2. 3. Trb. : 6
In Takt 36 in 7.Gruppe : Cb. : 24 ; Vc. : 16 ; Vla. : 17
In Takt 11 in 5. und 6.Gruppe :
2.Vno I : 8 2.Vno II : 11
2.Cl. : 11 2.Fl. II : 8
In Takt 37 in 5 4 6 3
In Takt 51 : 3.Gr. Vl. : 18 , 4.Gr. Vl. : 16
5.Gr. Vl. : 21 , 6.Gr. Vl. : 16
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3.5 Die Mikrointervalle
Die bereits erwhnten 7 Tne die im Stck angewandt werden 10, erscheinen in allen
Oktavlagen, manchmal ber sieben Oktaven gespreizt, dann wieder clusterartig auf engem
Raum zusammengepresst. Durch diese Reduktion der Tonhhen wird die Unterscheidung
in Tonhhe und Klangfarbe weitgehend hinfllig. Ein Werk dieser Art hren heit, die
Ohren auf Tonfarben im Raum und deren minimale Vernderungen zu richten. 11 Das ist
wie Nono im Programmheft 12 schrieb das Ziel des Komponisten:
Gestern heute: Ablehnung der Dogmen fixierter Modelle
Menschliche Notwendigkeit schaffen
Gefahren eingehen
berwinden ohne Grenzen
das verschiedene das andere Hren schaffen um andere
Gefhle zu erfinden andere Techniken andere Sprachen
In der menschlichen technischen Transformation
fr andere Mglichkeiten Lebensnotwendigkeiten
fr andere Utopien.
In Abb.3.5.1 sind die Oktavlagen der jeweiligen Abschnitte notiert, in Abb.3.5.2 die
Tonhhen in allen Oktaven im jeweiligen Abschnitt und in Abb.3.5.3 sind diese beidenTabellen zusammenfassend dargestellt.
10 Siehe S.6
11 Stenzl, Jrg: Luigi Nono. Hamburg 1998
12 Programmheft Donaueschinger Musiktage 1989, S.59 f.
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Abschnitt sum 1G G g g1 g2 g3 g4 andereandere
1 1 * battutobattuto2 3 * * *3 1 *
4 7 * * * * * * *5 1 * puntepunte6 1 * puntepunte7 1 *8 4 * * * * puntepunte9 4 * * * *
10 1 *11 1 *12 2 * * puntepunte13 1 *14 1 *15 2 * *
16 1 *17 1 *18 1 *19 1 * puntepunte20 7 * * * * * * *21 2 * *22 3 * * *23 1 *24 1 *25 7 * * * * * * *26 7 * * * * * * *
Abb. 3.5.1
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Abschni tt sum T.h.. 1 2 3 4 5 6 7-3 -2 -1 0 1 2 3
1 4 * * * *2 3 * * *3 7 * * * * * * **
4 7 * * * * * * **5 7 * * * * * * **6 1 *7 1 *8 5 * * * * *9 4 * * * *
10 1 *11 4 * * * *12 2 * *13 3 * * *14 5 * * * * *15 5 * * * * *
16 3 * * *17 5 * * * * *18 3 * * *19 3 * * *20 7 * * * * * * **21 2 * *22 3 * * *23 4 * * * *24 5 * * * * *25 7 * * * * * * **26 7 * * * * * * **
sum 108 6 17 19 24 19 17 6
Abb. 3.5.2
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bschnitt sum Ok. 1 2 3 4 5 6 7 um T.h.
1 1 -2 , -1 , 0 , 1 42 3 0 1 0 , 2 33 1 -3 , -2 , -1,0 , 1, 2 , 3 7
4 7 0 1 -1 2 -2 3 -3 75 1 -3 ,-2 , -1 , 0 , 1 , 2 , 3 76 1 (0) 07 1 2 18 4 -2 , (0) 0 1 -1, 1 , 2 59 4 1 -2 -1 0 4
10 1 -2 111 1 -1 , 0 , 1 , 2 412 2 -2 0 213 1 -1 , 0 , 1 314 1 -2 , -1 , 0 , 1 , 2 515 2 -2 , 0 , 2 -1 , 1 516 1 -1 , 0 , 1 317 1 -2 , -1, 0, 1, 2 518 1 -1, 0, 1 319 1 -2, 0, 2 320 7 -3 3 -2 2 -1 1 0 721 2 2 0 222 3 -2 -1 0 323 1 -1, 0, 1, 2 424 1 -2, -1, 0, 1, 2 525 7 0 1 -1 2 -2 3 -3 726 7 -3 3 -2 2 -1 1 0 7
sum 26 5 13 9 10 14 7 5 107
Abb. 3.5.3
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3.6 Klangmaterial
Als weiteren Parameter verwendet Nono in seinem Werk verschiedene Spieltechniken und
erreicht dadurch ganz unterschiedliche Klangfarben.
1. Klangtypus:
Im erstem Abschnitt beginnt jeder Klang in jeder Gruppe mit einem Impuls von einem
auenstehenden Schlaginstrument (1), gefolgt von einem Liegeton in der Geige (g) (2).
Daraufhin spielen die Holzblser einen rhythmisierten liegenden Ton, der auf g beginnt,
herumschwebt und wieder zu g zurckkehrt (3). Diese Klangflle endet mit tremoloartigen
Impulsen in den Bongos (4). (Abb. 3.5.1)
Abb. 3.6.1
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2. Klangtypus:
Diese Klangfarbe, die im 2., Abschnitt vorkommt, ist aufgebaut aus liegenden Tnen, die
aus engen, vierteltnigen Intervallen bestehen, die in weiter Lage gesetzt sind (Abb.3.6.2).
Abb. 3.6.2
3. Klangtypus:
Der dritte und einfachste Klang innerhalb der Komposition besteht aus Clustern mitvariierenden Spieltechniken: sul ponte, armonici sul ponte, testo arco lentiss, crini sulla
corda, sordina(zBs. Abschnitt 3,5,11).
Weitere Klangmuster, die in Abschnitt 4,20,25,26 vorkommen, baut Nono aus einer Art
auf mehrere Instrumente verteiltem auf- und absteigenden Arpeggio auf.(Abb.3.6.3)
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Abb. 3.6.3
4. Klangtypus:
Dieser Klangtypus besteht aus einer Klangflche, die ber mehrere Instrumente verteilt ist
und einer rhythmischen Bewegung in den auf mehrere Gruppen verteilten Bongos. Somit
ist dieser Typus ein fast reiner Schlagzeugklang (zBs.Abschnitt 6,12). Durch andere
Spieltechniken wie dietro al ponte wird diese Klangflche mit neuen Farben angereichert.
5. Klang Typus:
Dieser Typus ist eine Variation des vorherigen Klangmusters: Hier wird der rhythmisierte
Ton bzw. das Tremolo nur in den Streichern gespielt und tremoloartige, schnelle
Tonwiederholung erklingen in den Blsern. (Abschnitt 7, Beginn von Abschnitt 11)
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6. Klangtypus:
Im 10. Abschnitt versucht der Komponist aus drei verschiedenen Spieltechniken eineKlangmixtur zu bauen. Jeder liegende Ton beginnt mit einem Tremolo und endet mit einem
Pizzicato. (Takt 69,70 in Vn. I.2). Diese Reihenfolge von drei Elementen wird zunchst in
verschiedenen Instrumenten gespielt und setzt dann im weiteren Verlauf versptet ein oder
wird vertauscht. (Takt 71) (Abb.3.6.4)
Abb. 3.6.4
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7. Klangtypus:
Der letzte Klangtypus ist eigentlich ein Crescendo auf Liegetnen. Dieses Crescendo
erstreckt sich entweder ber drei bis vier Takte oder vollzieht sich ganz schnell innerhalb
eines Vierteltones. Diese Crescendi werden teilweise zu Beginn, meist aber am Ende durch
einen Schlag in den Perkussionsinstrumenten verstrkt. Der 17. und der 24. Abschnitt
bestehen nur aus Crescendi und Accelerandi. Sie beginnen im Tempo q = 30 im zweifachen
bzw. dreifachen Pianissimo und enden im Tempo q = 120 und qsffff bzw. ffff.
Abbschnitt Takt Dynamik cresc. Taktzahl Ziel Dynamik
11 77,79 ppp 2+1 sffff14,15 98,104 ppppp 6+1 fff
106 f 1 sfff108 f 1+1/4 sffff
17 119 pp 3+2 sffff21 143 sff 1/423 159 f 1 sffff24 163 ppp 3+2 ffff26 168 f 1/4 ffff
Abb. 3.6.5
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4. Schlussbemerkungen
Die ausfhrliche Auseinandersetzung mit dem Werk hat deutlich gemacht, wie vielseitig
Luigi Nono mit den ihm zur Verfgung stehenden Parametern hantiert und welcheKlangflle er dadurch erreicht. Das Programm des Werkes das Wandern des
Komponisten und des Ichs wird auf verschiedenste Art und Weise vergegenwrtigt: Ob
es das Wandern der Tne innerhalb einer Gruppe ist, oder das Wandern der Klangfarben im
Raum, das Publikum begibt sich zusammen mit den Ausfhrenden bei der Musik Nonos
auf eine Wanderung mit dem eigenen Hrerlebnis.
Durch die Analyse ist deutlich geworden, mit wie vielen unterschiedlichen Mitteln Nono
den Zuhrer auf diese Reise schickt. Bei aller Klangflle ist die Komposition sehr przise
geplant und konstruiert.
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5. Anhang
5.1 Studium der Skizzen
Die Skizzen zum vorliegenden Werk wurden freundlicherweise vom das Archivio Luigi
Nono , Venedig, zur Verfgung gestellt. Da das Material leider nicht vollstndig zugesandt
wurde, konnte es nur als Zusatzmaterial in diese Arbeit miteinflieen. Im Folgenden wurde
versucht, die Skizzen auf die formale Anlage hin zu untersuchen.
Form:
Die Skizzen zeigen, dass dieses Stck aus zwei Teilen aufgebaut ist: Der erste Teil (A) besteht aus 13 Abschnitten und der zweite Teil (B) aus 11 Abschnitten. Die Lnge der
Abschnitte ist unterschiedlich.
A
1 00:00:402 00:01:203 00:01:204 00:00:30 00:00:405 00:00:106 00:00:10 00:00:407 00:00:308 00:00:20 00:01:209 00:00:20
10 00:00:2011 00:00:2012 00:00:4013 00:00:40
sum 00:07:20
B
1 00:01:042 00:01:04 00:02:083 00:01:044 00:01:445 00:01:04 00:02:086 00:01:047 00:00:52 00:01:448 00:00:529 00:01:04
10 00:01:0411 00:01:44
sum 00:12:40
Abb. 5.1.1
Nono baut aus diesen zwei Teilen ein 13-teiliges Stck.
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FormMaterial Zeit
1 A1 00:00:402 A2 00:01:203 A3 00:01:20
4 B1 00:01:045 A(4,5,6,7) 00:01:20 00:00:30 00:00:10 00:00:10 00:00:306 B4 00:01:447 A(12)B(2,3) A(13) 00:03:28 00:00:40 00:01:04 00:01:04 00:00:408 B(5,6) 00:02:08 00:01:04 00:01:049 B9 00:01:04
10 A(8,9,10,11) 00:01:20 00:00:20 00:00:20 00:00:20 00:00:2011 B(7,8) 00:01:44 00:00:52 00:00:5212 B10 00:01:0413 B11 00:01:44
sum 00:20:00
Abb. 5.1.2
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5.2 Schematische Darstellung der Klangbewegungen
Die Schemen verdeutlichen die Klangbewegung und das Auftreten der Vierteltne in
jeder einzelnen Gruppe.
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5. Literaturverzeichnis
5.1 Primrliteratur
MACHADO , Antonio: Obras completas.Madrid 1984
NONO , Luigi: Non hay caminos, hay que caminar...Andrej Tarkovskj. Fr siebenChre. Venedig 1987
NONO , Luigi: Skizzen. Venedig 1988
5.2 Sekundrliteratur
DREES , Stephan : Architektur und Fragment: Studien zu Kompositionen des spten Nono. Diss. Folkwang Hochschule. Essen 1997
K OLLERITSCH , Otto (Hg.): Die Musik Luigi Nonos. Wien 1991
METZGER , Heinz Klaus/R IEHN , Rainer (Hg.) : Luigi Nono, Musik-Konzepte, Hefte 20, Mailand 1981
MORELLI , Giovanni/B ORIO , Gianmario/V ENIERO Rizzardi (Hg.): Selbstreferentialittals Aspekt des Materialdenkens in den letzten Kompositionen Luigi
Nonos. Zur Darstellung werkbergreifender Zusammenhnge, in: Lanuova ricerca sull'opera di Luigi Nono, hrsg. von. Florenz: Leo S.Olschki 1999 (= Archivio Luigi Nono, Studi I/1998), S. 171-185.
Programmheft zu den Donaueschinger Musiktagen. Donaueschingen 1989, S.59 f.
SCHALLER , Erika : Klang und Zahl. Luigi Nonos serielles Komponieren zwischen1955 und 1959. Saarbrcken 1977
STENZL , Jrg: Luigi Nono. Hamburg 1998